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Die PEKING und der Chilesalpeter

Mai 2020
Von Jasmin Alley

Die Viermastbark PEKING war ein gefragtes Frachtschiff, das vor allem zum Transport des Rohstoffes Salpeter eingesetzt wurde. Das historische Schiff PEKING ermöglicht also nicht nur Einblicke in die Geschichte der Frachtschifffahrt, sondern erzählt auch etwas über die Geschichte dieses Rohstoffes.


Chilesalpeter – als das Wundermittel aus der Wüste Konkurrenz bekommt

Die Peking erzählt Hamburgs Verflechtungen mit Chile – und damit eine von vielen Geschichten der Globalisierung. Für das neue Deutsche Hafenmuseum sind diese Geschichten von besonderer Relevanz, da es Häfen aus unterschiedlichen globalen Perspektiven erzählen möchte. Ihre letzte Chilesalpeterfahrt macht die Peking 1932 von Taltal über Santander in Spanien nach Hamburg. Die Boomjahre des Salpeters sind längst vorbei. Von 1880 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hat Chile das Monopol auf jener Rohstoff, der in der ganzen Welt gebraucht wird. Anfang der 1930er Jahre ist Chilesalpeter aber schon nicht mehr konkurrenzfähig, seitdem es künstlich produzierten Salpeter kostengünstiger und in großen Mengen gibt. Weite Transportwege werden überflüssig. Als die Peking 1911 von Stapel läuft, ist dies noch nicht absehbar.

Die PEKING in Fahrt, Foto: Laeisz Archiv

Was machte Chilesalpeter so wertvoll?

Chilesalpeter enthält reaktiven Stickstoff. Diesen gibt es in natürlichen Vorkommen auf der Erde nur selten. Zwar ist er auch in großen Mengen in unserer Luft vorhanden, aber für Pflanzen nicht nutzbar. Nur wenige Bakterien spalten Stickstoff auf und machen ihn auf diese Weise für Pflanzen verfügbar. Sein Nutzen für das Wachstum von Pflanzen und seine landwirtschaftliche Bedeutung wird Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt.

Die industrielle Revolution lässt die Bevölkerungen Europas rasant wachsen. Um einen Städter um 1800 satt zu bekommen, müssen drei Bauern ein ganzes Jahr arbeiten. Heißt: Die Böden müssen mehr Erträge liefern. Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckt der österreichische Gelehrte und Forschungsreisende Thaddäus Haenke (1761-1816) bei seinen Experimenten in der Atacamawüste in Chile Salpeter als Dünger. Das Wundermittel aus der Wüste, das Wachstum fördert, ist aber auch Mittel der Macht. Schießpulver, das zu dreiviertel aus Salpeter besteht, kann ebenfalls aus Chilesalpeter gewonnen werden. Der natürlich an Mauern in Kellern wachsende, in Höhlen und Ställen ausblühende und in Europa seit dem Mittelalter heiß begehrte Salpeter, ist damit Geschichte und der Beruf des Salpetersieders ebenso.

Salpeter in der Krise

Die erste Krise erlebt die Salpeterwirtschaft 1914 mit Beginn des Ersten Weltkrieges. Die Peking erreicht Valparaíso einen Monat nach Kriegsausbruch. Doch der Erste Weltkrieg ist auch in Chile einschneidend und die Peking wird von den Briten interniert und auf Reede gelegt. Plötzlich findet sich Chile zwischen Kriegsgegnern wieder. Die britische Kriegsflotte blockiert den Chilesalpeterhandel und errichtet eine Seeblockade. Damit verhindern sie die Einfuhr kriegswichtiger Rohstoffe nach Deutschland. Der Salpeterhandel kommt kurzzeitig zum Erliegen, denn die deutschen Produzenten finden keine Abnehmer. Britischen Kaufleuten ist es verboten, mit Kriegsgegnern Geschäfte zu machen und die Deutschen Kaufleute können wegen des Mangels an Transportmöglichkeit ebenfalls keinen Salpeter abnehmen. Für Chile, dessen Salpeterindustrie zu diesem Zeitpunkt 80 Prozent aller Exporte ausmacht, entspannt sich die Lage ab 1915 durch den erhöhten Salpeterbedarf der Alliierten. Das Deutsche Reich dagegen ist von der Chilesalpeterversorgung weiterhin abgeschnitten. Die sich in der Marneschlacht ankündigende Munitionskrise führt vor Augen, dass ohne den Import von Chilesalpeter der Krieg aufgrund mangelnden Schießpulvers schon 1915 zu Ende sein wird.

Salpeter und die deutsche Wirtschaft

Die BASF erkennt darin ihre Chance, die Oxidation von synthetischem Ammoniak zu entwickeln, um nach dem Krieg Kapazitäten zur Kunstdüngerproduktion zu haben. Fritz Haber, der mittlerweile mit der BASF zusammenarbeitet, hat sein Patent zur Herstellung der Ammoniaksynthese der BASF zur Verfügung gestellt. Um die künstliche Produktion von Salpeter auch industriell umsetzen zu können, unterzeichnen Carl Bosch für die BASF und die Oberste Heeresleitung Ende 1914 einen Vertrag, der Abnahmegarantien und ein Darlehen von 35 Millionen Mark seitens des Reiches vorsieht, wodurch der Bau entsprechender Anlagen ermöglicht wird.

Nach Ludwigshafen-Oppau wird rasch eine zweite, noch wesentlich größere Anlage gebaut, die 1917 im mitteldeutschen Leuna eröffnet wird. Dieses zweite Hochdruckwerk liegt außerhalb der Reichweite der Alliierten Militärflugzeuge und hat eine verkehrsgünstige Lage. Insgesamt unterstützt das Deutsche Reich mit 432 Millionen Reichsmark, die bei der Rückzahlung durch die galoppierende Inflation nicht mehr als ein paar Brote Wert sind. Im April 1917 gelingt es endlich künstlichen Salpeter mittels Haber-Bosch-Verfahren zu produzieren. Die Herstellung des künstlichen Salpeters ermöglicht die Versorgung des Militärs mit Sprengstoffen, für die Versorgung der Landwirtschaft reicht es hingegen nicht.

Montage des Reaktor für die HABER-BOSCH SYNTHESE, 1920er Jahre, Foto: BASF Firmenarchiv
Werk Oppau, 1914, Bild: BASF Firmenarchiv
Leuna-Werke um 1920, Foto: BASF Firmenarchiv
Ammoniakwerbung, 1920er Jahre, Foto: BASF Firmenarchiv

Obwohl Deutschland während des Krieges seinen Stickstoffbedarf, auch nicht mit Hilfe synthetischer Produktion, decken kann und die Vorräte aus der Landwirtschaft für Kriegszwecke nutzt, trägt der Erste Weltkrieg doch wesentlich zur Herstellung des künstlichen Salpeters bei und läutet langsam, aber sicher das Ende des Chilesalpeters ein.

Infolge der Weltwirtschaftskrise wird der Handel in den frühen 1930er Jahren fast vollständig eingestellt. Das bedeutet auch das Ende für die Salpeterfahrten der Peking, die 1932 als Internatsschiff an die Shaftesbury Homes and Arethusa Training Ship Company verkauft wird.

Heute besteht die Herausforderung weiterhin, die bald 9 Milliarden Menschen auf der Erde zu ernähren. Dabei spielen fruchtbare Böden eine entscheidende Rolle. Zur Steigerung der Erträge wird weltweit vor allem synthetischer Dünger eingesetzt, eine Gefahr für Boden und Umwelt. Weitaus nachhaltiger sind Techniken, die die Erhaltung und den Aufbau von Bodenhumus garantieren, wie zum Beispiel der Anbau von Leguminosen, Kompostierungsverfahren, tierische Dünger, Gründüngung und Intensivbrache.