Die Speicherstadt war das modernste Logistikzentrum ihrer Zeit. Die “Stadt der Lagerhäuser” mit ihrer ausgefeilten Umschlags- und Lagertechik sowie den auf das Löschen und Veredeln der Güter spezialisierten Arbeitern brachte Hamburg an die Spitze des Welthandels und machte die Stadt zum Zentrum für Luxusgüter wie Kaffee, Tee, Wein, Tabak und Teppiche.
Handel und Warenverkehr in der Speicherstadt
Der Hamburger Hafen ist heute ein Warenumschlagsplatz von immenser globaler Bedeutung. Diesen Stellenwert hat der Hafen hauptsächlich zwei Ereignissen zu verdanken, ohne die so eine Entwicklung nicht möglich gewesen wäre: Die erteile Zollfreiheit von Kaiser Barbarossa von 1189 und natürlich die Eröffnung des Freihafens nach dem Zollanschluss 700 Jahre später.
Bereits zu Beginn des 9. Jahrhunderts spielte die sächsische Befestigung Hammaburg als Stromübergang und Grenzhandelsplatz eine Rolle als Absicherung nach Norden und Osten gegen feindlich gesinnte Völker. Unter der Herrschaft der Grafen von Schauenburg stieg Hamburg zum Handelsplatz auf, als Adolf III von Schauenburg der 1188 gegründeten Neustadt direkt mit dem soeben erhaltenen Zollprivileg das Stadtrecht verlieh und an der Alster einen Hafen anlegen ließ. Die mit der Zollfreiheit und der Lage verbundene Attraktivität des Handelsplatzes sorgte für eine Ausdehnung von Handel und Wirtschaft und somit der ganzen Stadt.
Beim Eintritt Hamburgs in den Hansebund im Jahr 1358 hatte die Stadt bereits für den Ost-West-Handel unentbehrliche Beziehungen nach London, Skandinavien und an die atlantische Küste Südeuropas geknüpft. Der Hamburger Hafen war ein Knotenpunkt für die verschiedensten verhandelbaren Waren aus allen möglichen Regionen geworden. Das rund 100 Jahre später eingeführte Stapelrecht, welches alle durch Hamburg ziehenden Kaufleute zum Anbieten und Verkauf ihrer Waren in der Stadt verpflichtete, trug ebenfalls einen großen Teil zum florierenden Handel bei. Doch je mehr sich der Fernhandel und die Seeschifffahrt etablierten, wurde den Hamburgern die begrenzte Kapazität des bisherigen Hafens bewusst.
Ende des 18. Jahrhunderts hatte Hamburg seine Handelsrouten bis nach Amerika und die Westindischen Inseln, Ostindien und China sowie den europäischen Nordosten ausgeweitet. Der Hafen platzte aus allen Nähten. Durch Schaffung neuer Liegeplätze in Form von Duckdalben und Pfahlbündeln konnte der Niederhafen mehrmals in seiner Kapazität vergrößert werden. 1862 wurde schließlich am Sandtorkai ein moderner Kaihafen gebaut, welcher Hamburg endgültig in die Lage versetzte, dem nicht enden wollenden und immer stärker werdenden Warenverkehr Herr zu werden.
1881 gab die mittlerweile Freie und Hansestadt Hamburg ihre Zollprivilegien auf Druck des Deutschen Reiches auf und integrierte sich in das Deutsche Zollinland, allerdings nur unter Bedingung einer eigenen Freihandelszone – der Speicherstadt. 1888 wurden der Freihafen samt Speichern und Kontoren in einem feierlichen Akt durch Kaiser Wilhelm II. eröffnet. Vor den Toren der Stadt befand sich nun das zu der Zeit modernste Warenumschlags- und Logistikzentrum der Welt.
Bau der Speicherstadt als Motor für Handel und Warenverkehr
Die Errichtung der Speicherstadt barg auf den ersten Blick keine nennenswerten Vor- sondern nur Nachteile. Der Bau des Freihafens und der dazugehörigen Zollanschlussbauten bedeutete für die Stadt eine immense personelle und finanzielle Anstrengung, um einen jahrhundertelang gültigen Status Quo zu erhalten beziehungsweise wiederzuerlangen. Im Nachhinein betrachtet war die Speicherstadt aber genau das, was Hamburg gefehlt hatte, um in die Spitze des Welthandels vorzustoßen.
Die Hamburger Kaufleute profitierten nicht von dem Freihafen per se, da sie mit dieser Sonderrolle ja durchaus vertraut waren, aber sie konnten aus den modernen Bauten mit ihren nach neuester Technik gebauten Winden und Kränen sowie der direkten Lage am Wasser und der damit verbundenen kurzen Entfernungen der Schiffe zu den nach Warengattungen unterteilten konzentrierten Speicherblöcken ihr Kapital schlagen. Die neu eingerichtete Kaffeebörse zum Beispiel nutzte diese Vorteile, um den Handelsplatz Hamburg zum Marktführer im Kaffeehandel zu machen.
Die Vorteile der Speicher und Kontore
Die Kaischuppen und die Speicher dienten in ihren Funktionen verschiedenen Zwecken, dadurch unterschieden sich auch die dort benötigten Berufe für die zu verrichtende Arbeit. Die Kaischuppen sollten den schnellen Umschlag zwischen den Schiffen und dem Hafen gewährleisten, in den Speichern die Waren längerfristig aufbewahrt und veredelt werden.
In den Kaischuppen wurden die von Schiff oder Bahn zum Schuppen gebrachten Waren sortiert und bis zum Weitertransport in die Speicher aufbewahrt. Bereits während des Löschens der Ladung wurden die Güter an den Kaischuppen geliefert, welche in umgekehrter Richtung auf das Schiff oder die Bahnwaggons geladen werden sollten. Damit die Schuppen ihren Anforderungen gerecht werden konnten, wurden die Kaischuppen mit einer großen freien Fläche ohne viele einschränkende Träger oder Wände gebaut. So ließen die Waren sich gut zugänglich und übersichtlich stapeln. Zusätzlich wurde für eine gleichmäßig helle Tagesbeleuchtung gesorgt, um anfallende Aufgaben wie Wiegen, Markenlesen oder Sortieren jederzeit akkurat ausüben zu können. Für die Verwaltungs- und Schreibarbeiten wurde ein extra Raum hergerichtet.
In den Speicherbauten wurde das Erdgeschoss der im Durchschnitt sechsgeschossigen Bauten im Normalfall als Kontor verwendet, die restlichen Geschosse dienten als Warenlager. Im obersten Geschoss befanden sich zusätzlich die internen Hebeanlagen wie zum Beispiel hydraulische Winden, mit denen die Waren aus den Schuten oder Fuhrwerken in die einzelnen Geschosse, die „Böden“, gehievt wurden. Die einzelnen Böden hatten eine Tragfähigkeit von 1.800 kg pro m². Dazu waren die Speicher so konzipiert, dass dort jeden Tag im Jahr das gleiche Klima herrschen konnte und herrschte. Dieses Klima konnte den gelagerten Waren entsprechend angepasst werden. So war dauerhafter Schutz der gelagerten Güter gewährleistet und ermöglichte erst die Lagerung von Gewürzen, Nüssen, Kaffee, Tee, Tabak und Teppichen.
Quartiersleute
Die meisten Speicher und Speicherblöcke wurden nicht von der HFLG/HHLA genutzt, sondern vermietet, der Großteil davon an die so genannten Quartiersleute. Die Quartiersleute, wie sich die Lagerhalter im Hamburger Hafen sogar bis heute nennen, wurden mit der Lagerung und Veredelung der importierten Güter beauftragt. Sie handeln nicht „auf eigene Rechnung“, sondern arbeiten im Auftrag für verschiedene Kaufleute. Sie betreuen die Waren von der Anlieferung bis zur Abholung, führen fachgerechte Qualitätskontrollen durch und übernehmen jegliche Bearbeitung sowie die Einlagerung. Dazu sind sie für die reibungslose Abwicklung aller Formalitäten von der Verzollung bis zur Weiterleitung an den Kunden verantwortlich.Der Berufsstand der Quartiersleute ist seit 1693 in Hamburg nachgewiesen. Der Name leitet sich entweder vom Quartier im wörtlichen Sinne ab, wo die Quartiersleute ihre Utensilien lagerten oder vom lateinischen Begriff „Quarta“, da sich immer vier Quartiersleute zusammentaten. Der Name eines dieser Männer plus ein angehängtes „& Consorten“ gab der Firma ihren Namen, jedoch waren die meisten waren unter ihren „Ökelnamen“ (Spitznamen) bekannt, die sich aus dem Charakter, der Herkunft oder dem Glauben herausgebildet hatten, und bei deren Nennung jeder in diesem Metier sofort wusste, von wem die Rede war.
Ursprünglich sind sie noch von den Kaufleuten angeheuert worden, um in deren Speichern die jeweils anfallenden und in Auftrag gegebenen Arbeiten durchzuführen, was auch die Anlieferung der neuen Waren einschloss. Das Urteil der Quartiersleute über die Waren war für die Kaufleute die Grundlage ihrer Preiskalkulation. Der Bau der Speicherstadt gab ihnen die Gelegenheit, zusätzlich zu ihrer eigentlichen Tätigkeit eigene Lagerstätten zu eröffnen. Durch die Kaufleute wurde das mehr als begrüßt, da sie so von Beginn an vertraute und vor allem kompetente Ansprechpartner vorfanden, die eine sachgerechte Begutachtung, Lagerung und Bearbeitung der Güter garantieren konnten.
Einzelne Firmen schafften sich einen eigenen Fuhrpark an, so dass sie die in ihrem Betrieb sortierten, gesäuberten und gemischten Waren direkt an die Kunden der Kaufleute ausliefern konnten.
Zeitweise existierten mehr als 80 Gruppen von Quartiersleuten mit über 300 Mitgliedern. Die typische Berufskleidung der Quartiersleute bestand aus einer mit Silberknöpfen bestückten schwarzen Jacke, einem Schurzfell und einem Zylinder, der allerdings nur bei festlichen Anlässen zum Einsatz kam. Bei der Arbeit auf den Böden wurde eine aus Leinen gefertigte Mütze mit kurzem Schirm als Kopfschutz getragen.
Kaffeehandel
Der Handel mit Kaffee hatte für Hamburg eine immense Bedeutung. Hamburger Kaufleute und Reeder hatten durch mehrere Niederlassungen an den Exportplätzen einen direkten Zugang zu den Kaffeepflanzen hergestellt, was Hamburg zu einem der bedeutendsten Umschlagplätze für Kaffee in der ganzen Welt machte. Daher hatten sich die meisten Kaffeehändler bei der Diskussion über den etwaigen Zollanschluss auch strikt für die Beibehaltung der Freihafenstellung ausgesprochen. Und ihr Wort hatte Gewicht, bildeten sie doch die mit Abstand größte und wichtigste Lobby. Dies ist sogar im Geschäftsbericht der Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG) aus dem Jahr 1887 mit den Worten, „dass der Hauptartikel zur Lagerung der Kaffee sei“, fixiert. Der Kaffeehandel wurde mitsamt den Kaffeespeichern am östlichen Sandtorkai in den Blöcken O und N konzentriert. Das Zentrum des Kaffeehandels war die so genannte „Kaffeebörse“.
Der Kaffeehandel wurde mitsamt den Kaffeespeichern am östlichen Sandtorkai in den Blöcken O und N konzentriert. Das Zentrum des Kaffeehandels war die so genannte „Kaffeebörse“. 14% des weltweiten Kaffeehandels wurden an diesem Ort getätigt. Zollfrei handeln durften dort nur Mitglieder des Kaffeevereins. Mitglied konnte dort aber nur werden, wer internationalen Kaffeehandel betrieb und mindestens zwei Fürsprecher hatte. Das Termingeschäft mit dem Kaffee war recht lukrativ. Beispiel: 5000 Sack Bohnen Santos-Kaffee. Gekauft wird im März, mit geplanter Lieferung im Mai. Steigt der Preis bis dahin, gibt es satte Gewinne.
Als Grundlage für den Vertragsschluss galt nach hanseatischer Tradition das gesprochene Wort. Beim Handel an der Börse ging es rau zu. Wurde zu lange gezögert und man hatte das Nachsehen, wurden deftige Konversationen geführt, die auch mit Beleidigungen und gegenseitigem „Kontorverbot“ enden konnten.
Mit Beginn des „Großen Krieges“ wurde die Kaffeebörse geschlossen und erst elf Jahre später wieder eröffnet. Es war die Zeit in der der Kaffeemarkt einen erneuten Boom erleben sollte.
Wein-, Tee- und Tabakhandel
Im Gegensatz zum Kaffee war der Tee ein viel kleinerer Artikel, sowohl von der Menge als auch vom Handelsvolumen her. Ein Grund hierfür war die Ergiebigkeit des Tees. Ein Pfund Kaffee reichte vielleicht ein paar Tage, ein Pfund Tee einen ganzen Monat. Der Handel mit Tee galt als der elitärste Geschäftszweig in der Speicherstadt. Kleine Ware für einen kleinen, vornehmen Kreis. Passend dazu galt das britische Empire als hauptsächlicher Handelspartner. Beheimatet waren die Teehändler am Neuen Wandrahm und am Pickhuben.
Ebenfalls am Pickhuben befanden sich die Tabakhändler. Gehandelt wurden Tabaksorten aus Übersee und in große Mengen aus dem Orient, meist aus der Türkei. Nach dem Ersten Weltkrieg löste die „Orient“-Zigarette, die sich in den Schützengräben an der Front großer Beliebtheit erfreut hatte, bei den Konsumenten die Zigarre ab.
Ebenfalls bedeutsam und gemessen am Umfang gleichwertig zu Tee- oder Tabakhandel war der Handel mit Wein. Das Besondere am Weinhandel war die Lagerung. Weinhändler brauchten spezielle Speicherbauten, da der Wein, getrennt von anderen Waren, in anders zugeschnittenen Räumlichkeiten gelagert werden musste. Diese Bauten mussten von den Weinhändlern selbst beantragt, beauftragt und finanziert werden.
Teppichhandel
Beim Bau der Speicherstadt noch nicht berücksichtigt, erfüllen die heute in der Speicherstadt noch vielerorts gehandelten Orient-Teppiche alle Bedingungen, um dort gelagert zu werden. Ein Orientteppich muss häufig lange Zeit liegen, bis sich ein Käufer findet. Dafür eignen sich die klimatischen Bedingungen in den alten Speichern mit ihrer Kühle und Dunkelheit bei konstanter Luftfeuchtigkeit perfekt. Die Speicherstadt ist das größte Orientteppichlager der Welt. In Hochzeiten waren bis zu 60% der Lagerflächen an Teppichhändler vermietet.
Die ersten Orient-Teppiche fanden schon am Ende des 19. Jahrhunderts durch türkisch-sephardische Juden ihren Weg in die Wohnzimmer wohlhabender Hamburger.
Den Wandel zum rentablen Lagergut vollzog der Teppich aber erst seit Mitte der 1950er Jahre, als das Wirtschaftswunder die persische Knüpfware auch für die breite Masse, den Mittelstand, erschwinglich machte.
Angekurbelt und salonfähig gemacht wird das Geschäft durch iranische Studenten, die aus der Heimat stammende Teppiche erst zur Finanzierung ihres Medizinstudiums, später stattdessen verkauft haben. Es dauerte nicht lange, bis der Orientteppich sich als Statussymbol in Hamburger Haushalten etabliert hatte.
In den 1970er Jahren hatte Hamburg sich zur Welthauptstadt des Teppichhandels entwickelt. In den späten 1980er/frühen 1990er Jahren rangen fast 350 Unternehmen in der Speicherstadt um die Gunst der Kunden. Nach dem Iran und Indien importiert Deutschland seine Orientteppiche am häufigsten aus Nepal, China, Pakistan, der Türkei, Marokko und Afghanistan.