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Braunes Gold aus Übersee

April 2016
Von Ralf Lange

Seit über drei Jahrhunderten ist Kaffee für Hamburg eines der beliebtesten Genussmittel und eines der wichtigsten Handelsgüter. Eine wechselvolle Geschichte mit bitteren Niederlagen und bedeutenden Erfolgen.

Was viele nicht wissen und worauf Hamburg stolz sein kann: Bereits 1677 und damit acht Jahre früher als in Wien wurde an der Elbe das erste Kaffeehaus eröffnet – damals übrigens noch eine komplette Männerdomäne. Und Bachs berühmte Kaffeekantate, in der der reichliche Kaffeekonsum von Lieschen zu einem Konflikt mit ihrem Vater führt, wurde 60 Jahre später sicherlich auch vom Bürgertum der Hansestadt mit viel Verständnis für Lieschens Nöte angestimmt. Das „gemeine Volk“ musste sich jedoch noch lange Zeit mit Surrogaten aus Getreide, Wurzelzichorie oder Eicheln begnügen und gönnte sich nur selten „echten“ Bohnenkaffee, wie unsere Großeltern noch zu betonen pflegten. Während sich die Kaffeekultur in Hamburg zu entfalten begann, entdeckten auch immer mehr Kaufleute Kaffee als lukratives Handelsgut. Allerdings unterlag der Kaffeemarkt noch lange Zeit Beschränkungen. Zum einen sahen es die deutschen Fürsten nämlich nicht gerne, wenn ihre Untertanen Geld für importierte Luxusgüter verschwendeten und versuchten den Kaffeekonsum zu drosseln. Zum anderen wurde die Welt unter den Großmächten aufgeteilt, die den Direkthandel unterbanden. 

Werbung für Kathreiner-Malzkaffee (1930er Jahre). Abbildung: Speicherstadtmuseum

Das änderte sich 1822, als Brasilien, das schon damals führend im Kaffeeanbau war, seine Unabhängigkeit von Portugal erklärte. Voll entfalten konnte sich der Brasilienhandel jedoch erst ab 1871, als die Hamburg-Südamerikanische Dampfschifffahrts-Gesellschaft – kurz Hamburg-Süd – gegründet wurde, die zum ersten Mal einen regelmäßigen Linienverkehr zwischen Hamburg und der südamerikanischen Ostküste gewährleistete.

Aufschwung im Kaiserreich 

Die große Zeit der Hamburger Kaffeekaufleute kam somit erst im Kaiserreich. Um 1900 kontrollierte die aufblühende Handels- und Hafenmetropole bereits 20 Prozent des weltweiten Kaffeemarktes – mit steigender Tendenz. 1913 wurden ganze 212.000 Tonnen Rohkaffee umgeschlagen, was bei dem üblichen Standardgewicht von 60 Kilo pro Einheit rund dreieinhalb Millionen Säcken entsprach. Gut 40 Prozent dieser gigantischen Menge ging damals als Transitware ins Ausland, was den Erfolg des Hamburger Kaffeehandels erklärt. Von hier aus wurde der gesamte Ostseeraum beliefert sowie ein Teil des Habsburgerreichs. Und auch im Hinblick auf den deutschen Binnenmarkt waren vor allem die Gebiete östlich der Elbe von Interesse, wie der Berliner Raum, Schlesien oder das sächsische Industrierevier, während der Westen seinen Kaffee vor allem aus Antwerpen oder Rotterdam bezog.

Kaffee und Speicherstadt

Die Speicherstadt entwickelte sich schnell nach ihrer Errichtung ab den 1880er-Jahren zum Zentrum des Hamburger Kaffeehandels. Die Handelskontore konzentrierten sich vor allem in Block O am Sandtorquai, wo auch 1887 die Kaffeebörse entstand.

Umschlag von Kaffeesäcken an Block R (um 1960), Staatsarchiv Hamburg

Zum Zentrum des Hamburger Kaffeehandels entwickelte sich die Speicherstadt. 1887 wurde hier Block O eröffnet, in dem sich die Handelskontore konzentrierten. Bald galt der Sandtorquai, an dem Block O lag, als gut eingeführte Adresse in der Kaffeewelt, vor allem, da das Gebäude auch die Kaffeebörse enthielt. Hier wurden nicht mehr die jeweils neuesten Ernten oder vorhandene Lagerbestände verkauft, sondern Termingeschäfte gemacht, d.h. der Preis wurde bereits bei Vertragsabschluss festgelegt, die Lieferung erfolgte aber erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt. Das eröffnete neue Spekulationsmöglichkeiten und entlastete den Kaufmann zugleich zumindest temporär vom Umgang mit realer Ware – wurde doch jetzt „Papierkaffee“ gehandelt. Die Gründung der Hamburger Kaffeebörse war eine Pioniertat, denn Warenterminbörsen für Rohkaffee gab es bis dahin nur in New York und Le Havre.

In der Hamburger Kaffeebörse, Lithografie von Carl Hermann Kuechler (1901). Wer als Kaufmann damals auf sich hielt, trug Bowler-Hut oder Zylinder. Abbildung: Speicherstadtmuseum

Die schweren Krisenjahre 

Der Absturz kam jäh. Der Kriegsausbruch 1914 brachte den Hafenumschlag zum Erliegen. Danach belastete die galoppierende Inflation den Außenhandel mit der Folge, dass die Kaffeebörse erst 1925 wieder geöffnet werden konnte. Außerdem hatte Deutschland durch den Versailler Vertrag nahezu die gesamte Handelsflotte und erheblichen Auslandsbesitz eingebüßt, darunter auch etliche Kaffeeplantagen. Und auch der kurze Aufschwung in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre wurde schon bald wieder durch die Weltwirtschaftskrise beendet.

Die Hamburger Kaffeebörse in der NS-Zeit. Auch der Außenhandel passte sich den neuen Machtverhältnissen an (1936). Foto: Speicherstadtmuseum

In der NS-Zeit konnte sich der Kaffeeimport zwar erholen und lag 1938 nahezu bei dem Stand von 1913, hatten doch die neuen Machthaber erkannt, dass das Volk nicht nur durch Ideologie und Propaganda, sondern auch durch die Erfüllung von Konsumbedürfnissen gewonnen werden wollte. Der Preis war aber eine rigide Wirtschaftslenkung, denn nun wurde die bereits 1931 eingeführte Devisenkontrolle so perfekt bürokratisiert, dass es seit 1937 in Hamburg eine „Überwachungsstelle für Kaffee“ gab. Die Devisenbewirtschaftung war übrigens auch ein probates Mittel, mit dem sich jüdische Firmen aus dem Markt drängen ließen, wurde doch nun auch am Sandtorkai skrupellos „arisiert“.

1945 lag alles in Trümmern. Vor allem aber hatte der Hamburger Kaffeehandel jetzt seine Märkte eingebüßt, denn die sozialistische Mangelwirtschaft machte Kaffee östlich der Elbe zu einem raren Luxusgut, während die Skandinavier sich längst andere Anbieter gesucht hatten oder direkt importierten. Erschwerend kam noch hinzu, dass der Kaffeekonsum in der jungen Bundesrepublik durch exorbitant hohe Verbrauchsteuern belastet wurde, so dass ein Röster 1950 für ein Kilo Rohkaffee 22,- DM bezahlen musste. Für den Hamburger Kaffeehandel war das fatal. Erst 1957 erreichte der Pro-Kopf-Verbrauch von Kaffee in der Bundesrepublik wieder den Stand von 1938, wovon Hamburg aber nur bedingt profitierte, weil an der Elbe immer noch nur halb so viel Kaffee umgeschlagen wurde wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Und davon gingen lediglich gut 400 Tonnen in den Transithandel!

Die Kaffeebörse wird wieder eröffnet 

Eine Zäsur für den Kaffeehandel bedeutete das Jahr 1955. Die Genehmigungspflicht für Importe, ein Relikt der Besatzungszeit, wurde endlich aufgehoben, und Hamburg investierte in ein neues Kaffeehandelszentrum. Das sollte wieder an Stelle des 1943 weitgehend zerstörten Blocks O in der Speicherstadt entstehen, der seit 1887 das Zentrum des Hamburger Kaffeehandels gewesen war. Bis 1956 entstand hier nicht nur ein neues Bürohaus für die Kaffeehändler, auch die Kaffeebörse wurde wieder eröffnet. Hierfür fand sich eine Fläche auf der gegenüberliegenden Seite des Brooksfleets, wo der Bombenkrieg eine Fläche freigeräumt hatte. Eine Glasbrücke, sorgte dafür, dass die Kaufleute die Börse über das Fleet hinweg auf kürzestem Wege und trockenen Fußes erreichen konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg erwies sich die Wiederbelebung der Kaffeebörse jedoch als illusorisch. 1957 wurden nur 109 Kontrakte geschlossen, im darauffolgenden Jahr kam der Hamburger Terminhandel völlig zum Erliegen. Die großen Handelshäuser kauften lieber an den Börsen in New York und London, und der kleine Mittelstand, der die zahlreichen Kaffeegeschäfte belieferte, die noch selbst rösteten, hatte eine zu geringe Bedeutung und wurde auch bald durch die Großröster vom Markt gefegt.

Das neue Kaffeehandelszentrum mit dem Bürohaus in Block O und der Kaffeebörse (links, um 1956), Hamburgisches Architekturarchiv

Kaffeehandel heute: wieder an der Weltspitze 

Der historische Ladenröster LE 3 von Probat im Speicherstadtmuseum, Foto: Ulrike Pfeiffer

Heute ist Hamburg zwar wieder Europas führender Umschlagplatz für Rohkaffee, der Handel wird aber nur noch von wenigen Globalplayern wie der Neumann Kaffee Gruppe dominiert, die in einem eigenen Bürohochhaus in der Hafen City residiert und nach eigenen Angaben 10 Prozent des Weltmarktes kontrolliert. Block O am Sandtorkai ist dagegen Geschichte. Das Gebäude wurde mitsamt der Kaffeebörse in das Ameron Hotel Speicherstadt umgewandelt. Die Hamburger Kaffeetradition kann man hier aber noch in den ehemaligen Börsenräumen nacherleben, deren originale Ausstattung sorgfältig restauriert wurde. Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von rund 7,3 Kilo Rohkaffee liegt Deutschland zwar weltweit in der Spitzengruppe – nur übertroffen von Österreich, der Schweiz und Skandinavien. ^

Der Markt ist aber weitgehend gesättigt. Außerdem hat sich das Konsumverhalten gewandelt. Statt des Frühstücks gibt es heute Coffee to Go und statt zum Kaffeeklatsch trifft man sich auswärts beim Latte Macchiato oder Cappuccino. Dabei können die italienischen Kaffeespezialitäten, die sich in den letzten 20 Jahren erfolgreich in Deutschland etabliert haben, aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Röstkaffee hier längst ein standardisiertes Massenprodukt ist. Sortenreine Provenienzen gibt es vor allem bei den kleinen Produzenten, die mittlerweile wieder voll im Trend liegen und den Kaffee noch traditionell rösten. Hier kann man noch die ganze Vielfalt der Aromen entdecken. Übrigens: Dass Kaffee nicht gleich Kaffee ist, erfährt man auch bei den beliebten Verkostungen im Speicherstadtmuseum.

Kaffeeverkostung im Speicherstadtmuseum, Foto: Elbe & Flut, Thomas Hampel