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Demokratie! Demokratie? Deutschland und Europa 2019 #DHMDemokratie

Mai 2019
Von Christina Lipke und Anne Lena Meyer

#DHMDemokratie

Von der Novemberrevolution 1918/19 zu den Fridays for future-Demos

Was eine Ausstellung über Demokratie ihre Macher lehrt

Unter dem Titel „Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19“ zeigte das Museum für Hamburgische Geschichte vom 25. April 2018 bis zum 25. Februar 2019 eine Sonderausstellung, die sich der turbulenten Zeit in Hamburg zwischen November 1918 und März 1919 widmete, die am Anfang der ersten deutschen Demokratie stand. Neben den formal-politischen Umbrüchen wurden dabei die Bewohner der Stadt mit ihren unterschiedlichen Erfahrungswelten und Rollen in den Vordergrund gestellt. Revolutionäre Akteur*innen, die basisdemokratische Strukturen nach russisch-bolschewistischem Vorbild etablieren wollten, ein liberales bis konservatives Großbürgertum, das um seine Machtposition in der Stadt bangen musste und zurückkehrende Soldaten, die nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren nach Zerstreuung und Unterhaltung suchten, stellten einige der wichtigen und einflussreichen Gruppen dar. Doch noch immer war der Alltag des Großteils der Bevölkerung in Hamburg und ganz Deutschland von der anhaltenden Mangelversorgung mit Lebensmitteln, Kleidung und Heizmaterial bestimmt. Der Winter 1918/19 stand im Zeichen von Angst und Unsicherheit, Aufbruchsstimmung und Hoffnung.

Erste demokratisch gewählte Bürgerschaft

Die Aufbruchsstimmung und Hoffnung auf bessere Zeiten speisten sich vor allem aus dem im November 1918 einsetzenden Demokratisierungsprozess. Nach der Abdankung des Kaisers begann das Ringen um die neue Staatsform – erst auf dem Reichsrätekongress Mitte Dezember 1918 beschlossen die Delegierten, statt einer Räterepublik ein parlamentarisches System einzuführen. Die ersten allgemeinen, freien und gleichen Wahlen wurden für den 19. Januar 1919 beschlossen. In Hamburg folgten die Wahlen zur ersten demokratisch gewählten Bürgerschaft am 16. März 1919.

Während dieser Prozess mit Sicherheit der wichtigste in der Reihe der als „Novemberrevolution“ in die Geschichte eingegangenen Ereignisse war, stellte er für die museale Darstellung gleichzeitig eine der größten Schwierigkeiten dar. Wie kann man ein Thema wie Demokratie und Wahlen in einer Stadt attraktiv und ansprechend vermitteln, in der die Wahlbeteiligung bei der letzten Bürgerschaftswahl im Jahr 2015 nur knapp über 50 % lag? Zumal, wenn die Objektgrundlage ausschließlich aus sogenannter „Flachware“ (Plakate, Zeitungsartikel, Fotografien,…) besteht, ohne besondere dreidimensionale Highlights? Und welche kleineren Unterthemen umfasst dieser Komplex, der heute mehr denn je auch für unsere politische Gegenwart großes Gewicht hat und dringend erneut in den Fokus gerückt werden sollte? Uns als Ausstellungsteam war es wichtig, zu zeigen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Vielmehr wurde sie erkämpft und muss verteidigt werden, vielleicht heute wieder mehr denn je.

“Uns als Ausstellungsteam war es wichtig zu zeigen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist.”

Der Demokratie-Kubus 

Am Ende dieses Fragenkatalogs stand der „Demokratie-Kubus“, ein eigenes Kabinett innerhalb des Ausstellungsraumes, der sich konzentriert den politischen Fragen der Zeit vor allem ab Januar 1919 widmete. Demokratie bedeutet für uns Partizipation und Interaktion und nach diesem Motto gestalteten wir den Kubus. Auf Tablets konnten die Besucher*innen die Parteiziele der verschiedenen Parteien von der Kommunistischen bis zur Deutschnationalen Volkspartei einsehen. Eine Grafik lud dazu ein, sich damit auseinanderzusetzen, unter welchen Bedingungen man vor 1919 (nicht) hätte wählen dürfen: Frauen waren zum Beispiel qua Geschlecht ausgeschlossen, sie erhielten das Wahlrecht nach langen Jahren des Kampfes erst im Rahmen der Revolution. Der Vergleich der verschiedenen Wahlrechte sorgte auch bei uns für Aha-Momente: So unterscheidet sich unser aktuelles Wahlrecht kaum von demjenigen, das 1919 eingeführt worden war. Noch überraschender war jedoch, wie wenig sich die Wahlprogramme der Parteien zur Nationalversammlung 1919 teilweise von denen zur Bundestagswahl 2017 unterschieden. In der Ausstellung luden wir dazu ein, anhand verschiedener Forderungen zu quizzen und zu staunen: Natürlich wollte die SPD kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges eine dem Frieden verpflichtete Außenpolitik – oder? Tatsächlich stammt diese Forderung aus dem Wahlprogramm von 2017.

Ausstellungsaufbau “Revolution!Revolution. Hamburg 1918/19” 

Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern war 1919 ein wichtiges Thema – doch auch vor zwei Jahren schrieb sich die Linke die Abschaffung noch bestehender Ungleichheiten auf die Fahnen und forderte die Gleichstellung. Nach mehreren Jahrzehnten des Friedens in Europa, aber gleichzeitig angesichts der vielen grausamen Kriege in der Welt, ist das Thema Abrüstung aus aktuellen politischen Debatten nicht wegzudenken – aber auch nach dem Ende des Ersten Weltkrieges stand es auf der Agenda, etwa 1919 bei der katholischen Zentrums-Partei.

In Zeiten der zunehmenden Bedrohung der Demokratie von verschiedenen Seiten ist heute auch eine Mahnung der Deutschen Demokratischen Partei von 1919 noch sehr zeitgemäß: „Jede nicht abgegebene Stimme stärkt den Radikalismus von links und rechts.“

Je länger man sich diese Forderungen und ihre Gültigkeit bis heute durch den Kopf gehen lässt, desto klarer wird, wie wichtig es ist, die eigene Stimme zu nutzen, die Wahllokale zu besuchen und weiter an die Demokratie zu glauben.


Frauenwahlrecht 

Die Einführung des Frauenwahlrechts im Zuge der Einführung freier, offener Wahlen gilt als die größte Errungenschaft für Frauen in Folge der Revolution. Nicht nur konnten Frauen wählen, sie konnten auch selbst gewählt werden. In der ersten Sitzung der neu gewählten Hamburgischen Bürgerschaft am 24. März 1919 fiel diese Zeitenwende dem Beobachter besonders ins Auge: Die Sitzung wurde von Alterspräsidentin Helene Lange eröffnet. Wegweisend wurde damit erstmals ein deutsches Parlament von einer Frau geleitet.

Darüber hinaus wurde die Gleichberechtigung der Geschlechter erstmalig in Artikel 109 der Weimarer Verfassung festgeschrieben. Was hier mit den Worten „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ formuliert wurde, bildet die Grundlage für eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind.


Ab wann ist Demokratie in Gefahr? 

Am Ende der Ausstellung wollten wir die Besucher*innen zu Wort kommen lassen. Sieben verschiedene Fragen zum Thema Revolution und Demokratie luden dazu ein, das Erfahrene und Gelernte zu reflektieren und die gewonnenen Einsichten oder gegensätzliche Meinungen mitzuteilen. Insgesamt wurden in den zehn Monaten Laufzeit der Ausstellung über 10 000 Fragenkarten ausgefüllt. Eine Frage lautete: „Ab wann ist die Demokratie in Gefahr?“ Es ist natürlich immer leichter zu behaupten, wegen der Belastungen durch den Versailler Vertrag oder die Inflation sei die Weimarer Republik von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Diese teleologische Betrachtungsweise wird jedoch den anfänglichen Erfolgen – in Form der Einführung der ersten deutschen Demokratie – und der Offenheit des Moments zu Beginn des Jahres 1919 nicht gerecht. Was war also schiefgegangen, dass die Demokratie 1933 an den Nationalsozialisten scheiterte? Andreas Wirsching hat jüngst in seinem Buch „Weimarer Verhältnisse? Historische Lektionen für unsere Demokratie“ nach Antworten auf diese Frage gesucht. Aber auch die Besucher*innen der Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte hatten einige. Letztlich lassen sich diese Antworten unter den drei großen Schlagworten Angst, Bequemlichkeit/Teilnahmslosigkeit und Egoismus/Profitgier zusammenfassen.

Demokratie hat mit Vertrauen zu tun 

„Wenn der einzelne Bürger aus Angst schweigt“; „Wenn der politische Diskurs, egal mit wem, nicht mehr funktioniert“ oder auch „Wenn die Meinungsfreiheit bedroht ist“ sind einige Antworten, aus denen dies deutlich hervorgeht und in denen sich gleichzeitig ein gewisses Maß an Angst vor dem Vertrauensverlust manifestiert. Das große Thema Fake-News, übrigens auch 1918 schon ein relevantes, wenn auch anders benanntes Problem, spielt hier mit hinein: „Wenn das Gleichgewicht zwischen tatsächlichen Inhalten und gefühlten Wahrheiten ins Wanken gerät.“ Wir brauchen Vertrauen in ein stabiles Grundgesetz, in die Parteien („Zurzeit ist unsere Demokratie in Gefahr. Parteien beschäftigen sich nur noch mit sich selbst & ihrem Machterhalt“; „Wenn Leute beginnen, sich nicht vertreten zu fühlen“; „Wenn die Bürger erkennen, dass Politik nur von Wahlperiode zu Wahlperiode agiert und damit die Zukunft verspielt“) und Vertrauen in den offenen und ehrlichen Dialog. Aus den Antworten wird auch deutlich, dass Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn sie von ihren Bürgern angenommen wird. „Demokratie ist immer in Gefahr, erst recht, wenn sie als selbstverständlich erachtet wird.“ Auf vielen Karten finden sich ähnliche Antworten, die in der Teilnahmslosigkeit der Wählerschaft die größte Gefahr für die Demokratie sehen. Dieser Zustand scheint leider mittlerweile wieder erreicht worden zu sein.

„Fridays for Future“ und der Wunsch nach Mitbestimmung 

Andererseits wird aus den Kommentaren der Besucher*innen unter der vorgeschlagenen Rubrik „Ich wünsche mir mehr Mitbestimmung bei…“ deutlich, dass viele Menschen unser System als zu wenig partizipativ empfinden und vielleicht gerade deshalb das Vertrauen in die Politiker*innen schwindet. So wünschten sich unsere Besucher*innen bei lokalen, bundesweiten und europäischen politischen Entscheidungen mehr Mitspracherechte. Dabei geht es sowohl um einzelne Themen („Ich wünsche mir mehr Mitbestimmung bei Datenschutz und digitaler Speicherung von Daten.“, „Ich wünsch mir mehr Mitbestimmung bei militärischen Auslandseinsätzen und bei der Erhöhung der Rüstungsausgaben!“) als auch um das „große Ganze“: „Ich wünsche mir mehr Mitbestimmung bei allen wichtigen Angelegenheiten. Demokratie ist mehr als nur wählen dürfen.“ Besonders Jugendliche äußerten sich dahingehend, dass sie sich wünschten, schon vor dem 18. Lebensjahr in die Wahlen, sprich, Entscheidungen einbezogen zu werden, die ja schließlich ihre eigene Zukunft betreffen. In Zeiten der „Fridays for Future“-Bewegung bringen sie zum Beispiel ihr Anliegen, mehr für den Umweltschutz zu tun, klar und deutlich zum Ausdruck. Die Ausstellung „Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19“ konnte sich großer Aufmerksamkeit erfreuen und wir hoffen, dass sie die Besucher*innen und Leser*innen dazu ermuntern konnte, sich mit den Werten und der Wertigkeit der Demokratie weiter auseinanderzusetzen.


Über die Autoren

Christina Lipke und Anne Lena Meyer gehörten zum wissenschaftlichen Team des Ausstellungsprojekts “Revolution! Revolution?” im Rahmen des Themenjahres der Freien und Hansestaft Hamburg. Unter dem Motto „Hamburg 1918.1919 – Aufbruch in die Demokratie“ gab es ein breit angelegtes Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Publikationsprogramm. Damit wurde ein umfassender Beitrag zur Kenntnis, zum Verständnis und zur Bedeutung dieser komplexen Zeit in der Freien und Hansestadt Hamburg vermittelt und gleichzeitig Aktualitätsbezüge zu Funktionsweisen demokratisch verfasster Gesellschaften geschaffen.


Blogparade #DHMDemokratie 

Was steckt dahinter? Das Deutsche Historische Museum hat Blogger und Kulturinstitutionen aufgerufen, ihre Erkenntnisse aus Ausstellungs-, Forschungs- oder Sammlungsprojekten zum Thema Demokratie zu teilen. Der Hashtag #DHMDemokratie steht für eine übergreifende Betrachtung der Demokratie, ihrer Bedeutung und ihren historischen Errungenschaften von 1919 bis heute. Die SHMH unterstützt das Projekt mit Ergebnissen der Ausstellung “Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19”, die vom 25. April 2018 bis 25. Februar 2019 im Museum für Hamburgische Geschichte zu sehen war.