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Die Sülzeunruhen 1919

November 2018
Von Stephanie Fleischer

Nahrungsmittel waren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg knapp. Um so wichtiger, dass die wenige vorhandene Nahrung von ausreichender Qualität war. Als selbst dies nicht mehr gewährleistet schien, lief das Fass – im wahrsten Sinne des Wortes – über.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs war die Not der Bevölkerung in Hamburg groß. Die Arbeitslosigkeit war hoch, und es herrschte Mangel an Verbrauchsgütern, vor allem an Nahrungsmitteln. Die Bevölkerung der Hansestadt befand sich in einem Zustand der Unterernährung, wie das Medizinalkollegium konstatierte. Krankheiten wie Blutarmut, allgemeine Erschöpfung und Hungerödeme waren an der Tagesordnung.

Zwar war die Exekutive am 6. November 1918 auf den Arbeiter- und Soldatenrat übergegangen, das bisherige Rationierungs- und Kartensystem des Kriegsversorgungsamtes für die Verteilung von Nahrungsmitteln wurde jedoch beibehalten. Dies rief Argwohn in der Bevölkerung hervor. Die Ernährungs-Misere bestand weiterhin, und der Schwarzmarkt blühte. Davon profitierten aber nur betuchtere Bevölkerungsschichten, und die sich verschärfende soziale Ungleichheit fachte den Unmut der Arbeiterschaft zusätzlich an. Immer wieder kam es zu Plünderungsaktionen und Tumulten. Am 23. April 1919 wurde schließlich der Belagerungszustand über Hamburg, Altona und Wandsbek verhängt, im Juni über das Hamburger Freihafengebiet. Der Befehl wurde ausgegeben, Plünderer auf der Stelle zu erschießen.


Die Situation eskalierte am 23. Juni, als vor der Heil´schen Fleischfabrik ein Fass mit Unrat, der als Dung vorgesehen war, umkippte und sich über den Bordstein ergoss. Schnell verbreitete sich das Gerücht, dass dort minderwertige Ware für die Arbeiter hergestellt würde. Eine Menschenmenge stürmte die Fabrik und fand schimmelige Kadaver, Kalbs- und Rinderköpfe sowie Lederabfälle, die für die Produktion von Sülze Verwendung fanden. In Selbstjustiz griff die Masse den Fabrikbesitzer und seine Angestellten an, die schließlich von der Volkswehr beschützt werden mussten. Ein Feuergefecht mit Toten und Verletzten war die Folge.

Firma Heil “vornehme Sülzefabrik”. Bild: Staatsarchiv Hamburg

Am 25. Juni 1919 wurde in Hamburg der Ausnahmezustand ausgerufen. Reichswehrminister Noske verfügte den Einmarsch der Truppen des Korps von Lettow-Vorbeck, des ehemaligen Kommandeurs der Schutztruppen in Deutsch-Ostafrika. Bei seiner Ankunft hatte sich die Lage bereits weitestgehend beruhigt. Offiziell wollte man gegen jegliche Art linksradikaler Putschversuche vorgehen. Inoffiziell ging es vermutlich um die Sicherung des Hafens und somit um die Sicherung der generellen Nahrungsmittelzufuhr in Deutschland.

Johann Jakob Heil wurde wegen des Verstoßes gegen das Nahrungsmittel- und Fleischbeschaugesetz zu drei Monaten Gefängnis und einer Geldbuße von 1.000 Mark verurteilt. Außerdem musste er die Prozesskosten tragen. Heil selbst betrachtete sich hingegen als eine Art Retter in der Not. Den Behörden wiederum waren die Zustände in der Fabrik bekannt gewesen; dennoch waren sie nicht eingeschritten. Eine neuerliche Revolution schien zum Greifen nahe, doch es gab niemanden, der die politische Macht hätte übernehmen können. Letztendlich bestand das Ziel der Demonstranten wohl vor allem in der Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung.