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Der Hamburger – made in Hamburg?

Wer hat nicht irgendwann im Leben in einen Hamburger gebissen? Der Hamburger hat einen globalen Siegeszug hinter sich und gewann die Mägen unzähliger Menschen. Aber wo wurde er erfunden? Wie kam er zu seinem Namen? Stammt er etwa aus Hamburg? Eine Annäherung

 

Von Johanna Zobel

Schon Hollywood-Star Samuel L. Jackson sagte im Kultfilm „Pulp Fiction“ „I do love the taste of agood burger“, nachdem er genussvoll in den fiktiven „Big Kahuna Burger“ biss. Was in der Filmszene so souverän aussieht, ist im echten Leben meist anders: Kaum ein Biss gelingt, ohne dass Soße auf Hand, Hemd oder Hose tropft. Die Brötchenhälften sind schnell zerdrückt, Bulette, Salat, Zwiebeln und Tomaten drohen herauszurutschen. Einen Hamburger zu essen ist ein anarchischer, archaischer, ja fast animalischer Akt. Goethe würde es wohl so formulieren: „Hier ist Hamburgs wahrer Himmel, Zufrieden jauchzet groß und klein: Hier bin ich Raubaffe, hier darf ich’s sein.“

Die Frage ist bloß: Wo liegt des Hamburgers Kern? Auf der Spurensuche nach dem Erfinder des Hamburgers spielen Raubaffen zwar keine Rolle, dafür aber die Römer. So gab es in der Antike erstmals nachgewiesen Fleischbällchen, die „Isicia Omentata“. Die Speise aus Hackfleisch mit Pinienkernen, Pfeffer und Wein wurde mit Garum verfeinert, einem Gewürz der antiken römischen Küche, das aus Fischeingeweiden und Salzgemisch gewonnen wurde. Einfallsreich war auch die Praxis zur Herstellung des Steak Tatar: Im 13. Jahrhundert sollen die Mongolen dicke Rindfleisch-Scheiben zwischen Pferd und Sattelgelegt haben. Durch die Bewegung war das Fleisch am Ende des Tages zart und verzehrbereit– und vielleicht auch ein wenig warm. Dem klassischen Hamburger ganz nah kam ein Rezept der im 18. Jahrhundert lebenden britischen Kochbuchautorin Hannah Glasse, Verfasserin des 1747 anonym erschienenen Kochbuch-Klassikers „The Art of Cookery“. Darin beschrieb sie ein Rezept, das mit Rum, Wein und diversen Gewürzen verfeinertes Hackfleisch in Würstchen-Form auf einem Toast empfiehlt. Ein halbes Jahrhundert später, 1802, taucht der Begriff Hamburg Steak“ zum ersten Mal im „Oxford English Dictionary“ auf. Darin beschrieben wird gehacktes, gesalzenes Rindfleisch, das oft leicht geräuchert, gemischt mit Zwiebeln und Semmelbröseln zubereitet ist. Brot, Fleisch, Hamburg – die Grundzutaten des Burgers waren bereits alle da.

Der klassische Hamburger, wie man ihn kennt: Mit Fleisch, Käse und Salat.
Illustrationen: Patrick Rosche

Charlie Nagreen kam angeblich auf die Idee, Fleischklößchen zwischen zwei Brotscheiben zu klemmen und erfand so den Hamburger.

Dann aber war es soweit: Noch im selben Jahrhundert wurde der Hamburger erfunden – und zwar in Seymour, Wisconsin. Das beschloss zumindest die Staatsversammlung von Wisconsin, 122 Jahre später, im Jahr 2007. Die Erzählung dazu lautet wie folgt: Der 15-jährige Charlie Nagreen habe im Jahr 1885 Fleischklößchen auf einem Markt verkauft. In der Gegend lebten auch einige deutsche Immigranten. Nagreens Geschäft lief nicht gut, eine neue Geschäftsidee musste her. Als Nagreen bemerkte, dass seine Kunden beim Essen gerne über den Markt schlenderten, machte er die Klößchen transportfähig. Er besorgte Brot und klemmte die Fleischklößchen zwischen zwei Brotscheiben. Die Idee ging auf. Durch die deutschen Immigrantenwusste er, dass das Gericht in Deutschland verbreitet war. Und zwar in Hamburg. Charlie verpasste dem schnellen Snack daher den passenden Namen: „Hamburger“. Heute steht in Seymour eine über vier Meter hohe Statue von Charlie Nagreen, auch bekannt als „Hamburger Charlie“. Auf einem Podest thront er in weißer Kleidung mit roten Hosenträgern und roter Krawatte, darüber eine weiße Schürze. Auf dem Kopf trägt er eine weiße, spitz zulaufende Kochmütze, in der linken Hand hält er einen Burger, wie er im Bilder- oder Kochbuch steht. Jährlich veranstaltet die Stadt Seymour, die sich den Zusatz „Home of the Hamburger“ verpasst hat, ein Burger-Fest zu seinen Ehren.

Die Brüder Charles und Frank Menches aus Hamburg im Staat New York.

Doch es gibt noch mehr Anwärter auf den Hamburger-Thron: Zeitgleich mit Nagreen sollen auch die Brüder Menches den Hamburger erfunden haben, in Hamburg, im Staat New York. Charles und Frank Menches verkauften Würste im Brötchen auf einem Jahrmarkt. Als ihnen das Schweinefleisch ausging, mussten sie auf Rindfleisch zurückgreifen. Ihr Metzger wollte keine weiteren Schweine in der Sommerhitze schlachten. Um dem Fleisch mehr Pep zu verpassen, würzten die Menches es unter anderem mit Kaffee und braunem Zucker. Zufällig sei so der Hamburger entstanden. Noch heute gibt es eine nach ihnen benannte Restaurantkette mit drei Filialen und Foodtruck-Service. Der Original-Hamburger kostet 10,99 US-Dollar. „You call it a burger, we invented it!“, heißt es auf der Website. Die kreativen Brüder sollen übrigens auch das Waffelhörnchen erfunden haben, in dem bis heute Eis serviert wird.

Die Liste der potenziellen Erfinder ist fast solang wie die Liste der Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker. Denn: Auch das 2000 Kilometer entfernte Oklahoma hebt Anspruch darauf. In der Stadt Tulsa sollen Oscar Weber Bilby und seine Frau am 4. Juli 1891 Hamburger zubereitet haben. Sie grillten Pattys und legten sie zwischen Sauerteigbrot. Wie in Wisconsin wurde die Erfindung auch hier offiziell bestätigt. Und zwar im Jahr 1995, vom frisch ins Amt getretenen Gouverneur und Republikaner, Frank Keating, per Verkündung.

Der Hamburger – made in Hamburg? Der amtierende Erste Bürgermeister Peter Tschentscher hat sich zu dem Thema noch nichtgeäußert, aber eine heiße Spur führt auch nach Hamburg – und zwar zum „Rundstück warm“, ursprünglich ein Resteessen aus den Überbleibseln vom Sonntagsbraten. Diese wurden zwischen zwei Brötchenhälften, dem Rundstück, geklemmt und mit Bratensoße übergossen. Laut dem „Hamburger Abendblatt“ vom 29./30.Oktober 1983 wurde das „Rundstück warm“ 1904 erfunden – und zwar an der Ecke Reeperbahn und Hamburger Berg im „Bierhaus Heckel“. Ein Auszug: „Weil der Heckels ‚Köksch‘ krank geworden war und man die Gäste nicht wegschicken wollte, kam Wirt Heinrich Heckel auf die Idee, Rundstücke aufzuschneiden, sie mit Bratenstücken zu belegen und dann ‚Soße drauf und weg für 35 Pfennig!‘“. Was ein Preis! Über den Erfinder ist man sich allerdings nicht ganz einig: Angeblich habe Heinrich Heckel das Rezept von seinem Vorbesitzer Robert Renning übernommen. Renning soll 1890 Hafenarbeiter bedient haben, die Schweinebraten bestellten. Er entschied sich, Brötchenhälften zu rösten und sie mit dem Braten und Bratensoße zu belegen. Et voilà: das „Rundstück warm“. Von Hamburg aus, so die These, habe sich das „Rundstück warm“ dann weltweit etabliert. Über fünf Millionen europäische Auswanderergingen im 19. und frühen 20. Jahrhundert nach Amerika. Nicht wenige dieser Reisen starteten in Hamburg. Das „Rundstück warm“ eignete sich als Reiseproviant – und so liegt die Vermutung nahe, dass die Delikatesse in den USA den Namen der Stadt erhielt, aus der man sie kannte: Hamburg.

Für die “United State Library of Congress” gilt er als Erfinder des Hamburgers: Louis Lassen.

Zu dieser Schlussfolgerung verleitet eine Spur, die nach New Haven, Connecticut führt. Hier, im „Louis’ Lunch“, soll 1900 der erste Hamburger im Stile des „Rundstück warm“ serviert worden sein – allerdings zwischen zwei Toast-Scheiben. Inhaber war der deutschstämmige Louis Lassen. Und weil es in den USA nicht ohne offizielle Erklärung geht, gilt seit 2000 von der „United State Library of Congress“ anerkannt, von der US-amerikanischen Politikerin Rosa L. DeLauro unterstützt: Lassen hat den Hamburger erfunden.

Serviert: Der Hamburger in Hamburg In Hamburg gibt es keinen Stadtzusatz, à la „Home of the Hamburger“, zumal es unfreiwillig komisch klänge. Doch allein der Stadtname ist ein starkes Indiz, dass hier der Ursprung des Hamburgers liegen könnte. Ein Unternehmen, das früh diese Verbindung für sich in Anspruch nahm, ist die Burger-Kette Jim Block, die dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum feiert. Dabei war der angebliche Anlass der Gründung delikat: Weil bei der Steak-Herstellung der 1968 gegründeten Block House-Restaurants Fleischverschnitte anfielen, kam die Idee auf, diese zu Burger-Pattys weiterzuverarbeiten: Jim Block war geboren. Die erste Filiale der selbst ernannten „Better-Burger-Restaurantkette“ eröffnete im November1973 in der Spitalerstraße 28. Heute betreibt das Unternehmen zwölf Standorte, davon neun in Hamburg. Damit war das Hamburger Unternehmen noch vor McDonald’s mit einer Hamburger-Filiale in der Hansestadt vertreten. Take this, America!

Erst drei Jahre nach Jim Block eröffnete die erste McDonald’s-Filiale in Harburg – sie schloss im April 2005. Die älteste noch existierende Filiale befindet sich in Billstedt. Sie wurde im September 1977 eröffnet. Das Burger-Imperium expandierte schnell: Im Jahr 1999 zählte McDonald’s deutschlandweit 1000 Restaurants und ist nach einer repräsentativen Umfrage der Verbrauchs- und Medienanalyse VuMa von 2021 die mit Abstand beliebteste Fast-Food-Restaurantkette in Deutschland (32,1 Prozent) – deutlich vor der Konkurrenz Burger King (16,5 Prozent).Wie beliebt Burger noch heute sind, lässt sich am Stadtbild ablesen. Burger-Restaurants gibts an jeder Ecke: Otto’s Burger, Hans im Glück, Peter Pane, Dulf ’s Burger, Burgerlich, Burger Village, Most Wanted Burger, Shiso Burger,Williamsburger, Traumkuh – um nur einige zu nennen. Und auch die Amerikaner melden sich zurück: Five Guys, in den USA schon seit1986 bekannt, reichte ihre charakteristisch knatschigen Burger erstmals im Oktober 2021auf der Reeperbahn über den Tresen. Das Prinzip: Der Burger wird nach eigenen Vorstellungen belegt, Brötchenhälften können durch Salatblätterersetzt werden. Irgendwie unburgerlich. Andererseits: Der klassische Hamburger hat sich seit jeher entwickelt. Die bekannteste Form ist der Cheeseburger. Es gibt ihn aber auch mit Röstzwiebeln, doppelten und dreifachen Fleischpattys, in vegetarischer und veganer Variante: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.

Wie auch immer er zubereitet wird – der Hamburger ist ein Star, nicht nur geschmacklich. In der Zeichentrickserie „Die Simpsons“ wurde das Nationalgericht der Amerikaner als Krusty Burger zelebriert. Viele Promis ließen sich immer wieder mit dem beliebten Fast Food ablichten. Eine Fotografie von Marilyn Monroe beweist: Burgeressen geht auch ästhetisch. Box-Legende Muhammad Ali trat in einer TV-Werbung mit einem Hamburger auf. Einen besonderen Höhepunkt lieferte der Künstler Andy Warhol, der 1982 vor laufender Kamera einen Hamburger aß – und zwar sagenhafte viereinhalb Minuten lang. Vor einem weißen Tisch und einem weißen Hintergrund sitzend, packt er den Burger aus der Tüte, tunkt ihn kunstvoll in Ketchup, beißt hinein und kaut und kaut und kaut. Nach weiteren fünf Bissen legt er die untere Brötchenhälfte auf die Verpackung, faltet das Patty mit der anderen Brötchenhälfte und isst weiter. Ein paar Happen lässt er übrig, packt sie sorgfältig in die Tüte, zerknüllt diese, stellt die Verpackung neben sich, starrt eine gefühlte Ewigkeit hin und her und schließt mit den Worten: „My name is Andy Warhol and I just finished eating a hamburger.“