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Das Hamburger Rathaus Eine schwere Geburt

September 2017
Von Susanne von Bargen

Eine schwere Geburt: Ganze 55 Jahre wurde das Hamburger Rathaus geplant, weil alle mitreden, aber niemand die Verantwortung übernehmen wollte. Das Ergebnis wird von den Bürgern geliebt.

Das Hamburger Rathaus kann man getrost als Glücksfall betrachten. 120 Jahre hat es nun überstanden, praktisch unbeschadet trotz Bombenkrieg und der hinlänglich bekannten Abrisswut der Hamburger Bürger. Bis heute zeugt es mit gelegentlicher Unterstützung der Restauratoren nahezu im Originalzustand vom Reichtum des hanseatischen Bürgertums und dem politischen Selbstverständnis der alten Stadtrepublik. 

Beileibe kein Ruhmesblatt 

Der Bau dieses Rathauses war beileibe kein Ruhmesblatt politischer Entscheidungsprozesse. Dabei drängte die Zeit: Sein Vorgänger war beim Großen Brand 1842 gesprengt worden, um die Flammen zu stoppen. Doch Planung und Verwirklichung des in der Geschichte der Hansestadt immerhin sechsten Rathausbaus zogen sich beachtliche 55 Jahre hin. Es kam so, wie man es bisweilen auch heute noch erlebt, alle wollten mitreden und keiner allein die Verantwortung übernehmen. Fest stand von Anfang an nur der Ort, an dem das neue Rathaus entstehen sollte: gleich neben der Börse, die den Brand unbeschadet überstanden hatte. 

Womöglich haben wir es vor allem der Hartnäckigkeit des Senatorensohns Martin Haller zu verdanken, dass es überhaupt voranging mit dem Rathausbau. Schon als Schüler fing er an zu planen und ließ sich allen Widrigkeiten zum Trotz einfach nicht entmutigen. Denn Haller war Senatorensohn, und im Wohnzimmer der Familie bekam er hautnah mit, was es einem Senator bedeuten würde, in einem richtigen Rathaus und nicht wie jetzt nach der vernichtenden Feuersbrunst in einem Provisorium zu arbeiten. Um möglichst vielen Anforderungen gerecht zu werden, gründete er schließlich mit mehreren Architekten den Rathausbaumeisterbund – und der führte dann zum Erfolg. 

Foto: Mediaserver Hamburg / Geheimtipp Hamburg 

647 Räume auf 4.000 Holzpfählen 

Was herauskam, war ein Bau mit beachtlichen Maßen, auf 4.000 Holzpfählen gegründet. 

Zwei Flügel, in der Mitte der Turm, 111 Meter lang von einem Ende der Fassade zum anderen und 112 Meter hoch bis zur Turmspitze. 647 Räume fanden in dem Monumentalbau Platz, Festsäle ebenso wie Arbeitsstuben und Tagungsräume. 5,6 Millionen Goldmark wurden veranschlagt, elf Millionen – man kennt das ja – sind es am Ende geworden.

Zu diesem gusseisernen Prunkschlüssel gibt es keine passende Tür. Womöglich ist er ein Symbol für die Schlüsselübergabe. Foto: Michael Zapf 

Der Entwurf mit den zwei Flügeln war perfekt für eine hanseatische Besonderheit: Hier arbeiten Legislative und Exekutive unter einem Dach – mit Blick auf die demokratische Gewaltenteilung keine Selbstverständlichkeit. Da reicht schon ein Blick über den Gartenzaun der Hansestadt. Hier zog nun das Parlament auf die eine Seite des Turms, die Regierung auf die andere. Womit dieses Rathaus zwei Hausherren hat: die Parlamentspräsidentin und den Bürgermeister. Geschäftsordnungen und protokollarische Benimmregeln bestimmen das weitgehend reibungslose Miteinander dieser besonderen Hausgemeinschaft. Das zumindest räumlich verbindende Element zwischen den politischen Instanzen ist die in typisch hanseatischer Zurückhaltung als „Diele“ bezeichnete Eingangshalle.

Tatsächlich ist sie eine von 16 mächtigen Sandsteinsäulen getragene Bogenhalle, an beiden Enden reichverzierte schmiedeeiserne Portale, hinter denen Senat und Bürgerschaft residieren. Wobei – Residieren ist hier gar nicht gewollt. Das Rathaus ist ein Bürgerhaus, die Diele außer bei besonderen Veranstaltungen für jedermann geöffnet und immer voller Leben.

Der Blick in die Rathausdiele lohnt sich allemal. Denn schon hier offenbart sich an der vielfältigen und üppigen Ausgestaltung, dass der hanseatische Wohlstand nicht versteckt werden sollte. Ohne Scheu wurde mit Farben und Formen hantiert, edles Material gewählt, wurden die besten Künstler verpflichtet und die geschicktesten Kunsthandwerker engagiert. Ranken, Rosetten und Skulpturen prägen jeden Winkel, jede Nische – ein Rathaus im Stile der Neorenaissance, wenn man es denn einem Stil zuordnen will. Für sein gelegentlich überladenes Interieur wird es heute ebenso bewundert wie belächelt.


Alles wie zum Anfassen und doch nur gemalt: der Turmsaal. Foto: Michael Zapf

Der Turmsaal 

Der Turmsaal im Hamburger Rathaus ist ein prachtvoller Saal, der für verschiedene Empfänge genutzt wird, u. a. für den Neujahrsempfang der Bürgerinnen und Bürger durch den Ersten Bürgermeister. Der Turmsaal verfügt über kunstvolle Wandmalereien, die den vier ältesten Stadtrepubliken Athen, Rom, Venedig und Amsterdam gewidmet sind, weswegen er auch „Saal der Republiken“ genannt wird. Die figürlichen und symbolischen Darstellungen greifen das Thema der Freiheit auf und würdigen Bürgerinnen und Bürger, die sich um politische und geistige Freiheit verdient gemacht haben. An der Decke symbolisieren weibliche Figuren die Gelehrte, die Humanitäre, die Anständige und die Patriotische.


Urlandschaft und Welthafen 

Thematisch haben sich die Künstler der hamburgischen Stadtgeschichte ebenso gewidmet wie der Weltverbundenheit der Hansestadt. Im Großen Festsaal im ersten Stock zeigen riesige Wandgemälde die Entwicklung von der Urlandschaft bis zum Welthafen. Gleich nebenan im Kaisersaal wird der Seefahrt regelrecht gehuldigt, Stuckreliefs symbolisieren Länder und Erdteile, mit denen die Hansestadt die engsten Handelsbeziehungen pflegte. Und an der Fassade zeigen die 20 bronzenen Kaiserfiguren die Verbundenheit der Hansestadt mit dem Deutschen Reich.

Erster Bürgermeister im neuen Rathaus: Johannes Versmann als Fensterschmuck im Bürgermeisteramtszimmer. Foto: Michael Zapf
Ein Glockenschlag des Parlamentspräsidenten besagt: die Sitzung beginnt. 

Üppiges Ambiente 

Tatsächlich muss das Auge des Besuchers im Hamburger Rathaus stets auf Wanderschaft sein, um alle Feinheiten zu entdecken. Ein üppiges Ambiente für große und kleine Festlichkeiten, zu denen Bürgerschaft und Senat immer wieder einladen. Darüber lässt sich leicht vergessen, dass hier auch Akten gewälzt, politische Pläne diskutiert und die Geschicke der Hansestadt gelenkt werden. Das aber ist der Alltag im Hamburger Rathaus, wenn auch in prächtiger Kulisse.

Wie sehr man sich dessen bewusst ist, ist vielfach in Stein gemeißelt, in Leder geprägt oder auf andere Art festgehalten: SPQH – senatus populusque hamburgensis, Senat und Volk von Hamburg.


Hamburgs politisches Zentrum: der Plenarsaal. Foto: Michael Zapf

Der Plenarsaal 

Der Plenarsaal des Hamburger Rathauses ist der Sitzungsort der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Einrichtung des Raumes stammt zu einem großen Teil noch aus der Erbauungszeit des Gebäudes in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die halbrunden Bänke der Abgeordneten sind in fünf Blöcken angeordnet. In Logen und auf Tribünen können Besucherinnen und Besucher die Sitzungen verfolgen.


BUCHTIPP:

Das Hamburger Rathaus

Susanne von Bargen und Michael Zapf

160 Seiten mit 90 Abbildungen

Klappenbroschur, Ellert & Richter Verlag