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Die große Kunst des Brückenbauens

August 2016
Von Jürgen Bönig

Hamburgs Brücken prägen die Stadt, ihre architektonische Vielfalt ist beeindruckend und man spürt die Leidenschaft ihrer Ingenieure.

Mit seinen fast 2.500 Brücken ist Hamburg die an Überführungen reichste Stadt Europas und verfügt heute über mehr Viadukte als die Wassermetropolen Venedig und Amsterdam zusammen. Nur die Hauptstadt Berlin hat annähernd so viele Brücken wie das deutlich kleinere Hamburg. Warum, so fragt man sich angesichts dieses europäischen Rekords, gibt es gerade in Hamburg so viele Brücken, die noch dazu durch ihre architektonische Vielfalt beeindrucken? Liegt es an den Stadtbaumeistern und Oberbaudirektoren, die in de­­r Vergangenheit eine große Leidenschaft für diese Form der Ingenieurbauwerke entwickelt haben? Wenn man an die Brücken denkt, für die der Bauinspektor Johann Hermann Maack (1809 – 1868) und der Oberingenieur bei der Baudeputation Franz Andreas Meyer (1837 – 1901) wunderschöne kolorierte Zeichnungen angefertigt haben, um den Senat von der Notwendigkeit teurer Steinbrücken zu überzeugen, und wenn man die große Zahl von Brücken bedenkt, die sie mit einem relativ kleinem Stab von Baumeistern und Handwerkern erstellt haben, dann drängt sich der Eindruck auf, die Stadtentwickler der Vergangenheit hätten das Stadtbild Hamburgs in der Zeit nach dem großen Brand im Jahr 1842 von den Brücken her entworfen.

Wie der Vergleich mit den sehr viel älteren und kleineren Handelsstädten Venedig und Amsterdam zeigt, geht es auch bei den Brücken in Hamburg in erster Linie um das Wasser als sehr wirtschaftlichen Transportweg. Hamburg als Hafenstadt am Zusammenfluss von Alster, Bille und Elbe hat heute noch so viele Brückenbauwerke, weil ihr Wachstum in eine Zeit fällt, in der das Wasser neben der Eisenbahn der wichtigste Transportweg für Güter und Personen war. Die anderen Verkehrswege wie Straßen, Eisenbahnen und Fußwege mussten deshalb so über die verschiedenen Gewässer – Flüsse, Fleete und später Hafenbecken – geführt werden, dass sie den Schiffsverkehr mit Ewern, Schuten, Segel- und Dampfschiffen nicht behinderten. Hamburgs Einwohnerschaft verdoppelte sich von 1880 bis 1910 auf über eine Million und das Material für den Bau neuer Häuser, Zweckbauten, Straßen und Brücken musste meist über den Wasserweg an Ort und Stelle geschafft werden. Und auch die neuen Wohnbauten in den bürgerlichen und kleinbürgerlichen neuen Stadtbezirken wurden auf dem Wasserweg mit Sand, Holz, Stein, Heiz- und Brennmaterial versorgt.

Zollenbrücke, Aquarell, 1941, Fritz Düsing. Museum für Hamburgische Geschichte
Kersten-Miles-Brücke über die Steilste und engste Kurve der Ringlinie der Hochbahn an der Rödingsmarktbrücke, 1930er Jahre.

Reesendammbrücke, um 1905

Filigrane Stahlkonstruktionen 

Der große Wachstumsimpuls für Hamburg ging vom Anschluss an das Deutsche Reich und der damit verbundenen Errichtung des Freihafengebietes aus. Die Speicherstadt wurde als von Fleeten durchzogene Insel geplant, auf deren Wasser Ewer und Schuten die ein- und ausgehenden Waren von den im Strom liegenden Schiffen in die Speicher und Läger schaffen konnten.

Die Brücken über diese Wasserverkehrswege mussten hoch genug sein, um einem Schiff mit umgelegtem Mast oder Schornstein Durchfahrt zu gewähren. Die Speicherstadt als Zollinsel war eine geplante Angelegenheit und ist trotz der Zerstörungen der Kriegszeit und der Verwandlung in die Hafencity zum Teil erhalten geblieben: der Zollkanal als Grenze zur Stadt wird von filigranen Stahlbrücken aus Gitterwerk überspannt, die eine Durchsicht wie entlang eines Burggrabens zulassen.

Heute fehlen nur die Zollgebäude zur Stadt hin, die wie Stadttore aus Backstein errichtet, den Zugang zur Speicherstadt bewachten. Eine ähnliche Inszenierung entstand 1887 mit den Straßenbrücken über die Norderelbe.

Hinter einem Brückenportal aus Backstein, das als Stadttor die Wappen der Hansestädte trägt, wölbt sich kühn der stählerne Brückenbogen – hinter dem mittelalterlich inszenierten Stadttor liegt Amerika. Der Wasserverkehrsweg musste möglichst immer zur Verfügung stehen.

Beim Bau einer Steinbrücke oder später von Beton- und Stahlbetonbrücken aber fußte das Lehrgerüst, in das die Steine zum Gewölbebogen gefügt wurden, im Wasser unter der künftigen Brücke. Eisen und Stahl hingegen konnte an Land zu Brückenteilen zusammengenietet, auf Kähne verladen und vor Ort in die Brückenlager eingeschwommen werden, ohne dass der Weg während der Bauarbeiten monatelang gesperrt blieb.

Straßenbrücke über die Norderelbe aus dem Jahr 1887.
Entwurfszeichnung des Portals vor der eisernen Straßenbrücke über die Norderelbe von 1887.

WIE OFT SIND SIE IN DEUTSCHLAND?
„Vielleicht zweimal im Jahr. Hamburg mag ich besonders gerne wegen des ganzen Wassers. Ich hatte früher keine Ahnung, dass es in Hamburg mehr Brücken gibt als in Venedig“.

Robert Redford

Der „deutsche Bogen“ entsteht 

Die neuen Materialien für den Brückenbau – Gusseisen, Schweißeisen und Stahl – waren das neue Betätigungsfeld der Ingenieure. Bisher hatten die Brückenbaumeister aus den Vorgängerbauten in Form von Faustregeln gelernt, wie stark Stein- und Holzbrücken sein mussten, um zu halten. Die Festigkeit von Eisen und Stahl musste systematisch erforscht und standardisiert werden, um auf der Basis dieser vorhersehbaren Eigenschaften Berechnungen anstellen zu können, wie und auf welche Weise das teure Material so zusammengefügt werden konnte, dass es den starken Belastungen durch Eisenbahn und Fuhrwerke standhielt. Dies geschah nicht mit Computern und 3D-Animationen, sondern durch Zeichnungen und Berechnungen von Hand auf dem Papier. Weil man auf diese Weise nur bestimmte Bogenformen berechnen konnte, haben die zahlreichen Brücken, die in zwei großen Schüben 1890 und um 1910 in Hamburg entstanden, eine ähnliche Form, häufig den Deutschen Bogen, der noch überall im Hafengebiet anzutreffen ist.

Hamburgs spektakulärste Brücke: 

Der Brückenzug der Köhlbrandbrücke ist einer Länge von 3618 Metern die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands. Ganze 81.000 Kubikmeter Beton und 12.700 Tonnen Stahl wurde beim Bau dieser Schrägseilbrücken-Konstruktion verwendet. 1974 durch den damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel einge- weiht, fasziniert sie bis heute beim Blick auf das Panorama des Hamburger Hafens.


Blick von der Lombardsbrücke auf die Stadt auf einer Postkarte um 1910.
Kersten Miles-Brücke und Seewarte 1897.

Europas größte Hubbrücke 

Als es die Dichte des Verkehrs erforderte, benutzte man in Hamburg besonders im Hafengebiet verschiedene Formen von beweglichen Brücken: Zug-, Klapp-, Dreh- und Hebebrücken, die dem Dampfschiffverkehr kein Hindernis entgegenstellten. Diese beweglichen Stahlbauwerke, die sich aus dem Strom drehten, hochklappten oder angehoben wurden, waren sehr störanfällig und erforderten dauernde Bedienung und Pflege. Viele der Bauten wurden deshalb in der Nachkriegszeit stillgelegt, abgerissen oder durch feste Brücken ersetzt, da der Wasserweg gegenüber dem Schienen- und Straßenverkehr eine geringere Rolle zu spielen begann.

Aktuell wird die Rethe-Hubbrücke, eine der wichtigsten Brücken im inneren Hafenverkehr, durch eine Vierfach-Klappbrücke ersetzt, die in Europa die größte ihrer Art stellen wird. Die alte Hubbrücke, 1933/34 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme errichtet, begrenzte trotz ihrer stattlichen Höhe von 50 Metern die Durchfahrtshöhe für Schiffe. Außerdem kreuzten sich in direkter Nähe Bahngleise und Fahrbahnen, so dass es nicht nur durch das Anheben der Brücken zwischen den Pylonen, sondern auch durch die Sperrung der Bahnschranken zu Verkehrsstockungen kam.

Aus welchem Material und in welchem Stil die Brücken Hamburgs auch errichtet worden sind und in Zukunft gebaut werden, sie prägen das Stadtbild auf sehr nachhaltige Weise. Neben der Funktion, Verkehrswege und Gewässer kreuzungsfrei zu überspannen, bieten sie auch immer das Bild eines Überschreitens, einer Spiegelung im Wasser oder einer Tragefunktion, die früher sehr bewusst als Bild geplant worden ist und deren ästhetische und stadtbildnerische Funktion in den letzten Jahren immer mehr erkannt und gepflegt wurde.

Köhlbrandbrücke, Druckgrafik, 1995, Museum für Hamburgische Geschichte
Köhlbrandbrücke am Abend, 1970 – 1979. Foto: Kurt Edler