April 2016
Von Dr. Jürgen Bönig
Das Wagnis unter Wasser
Am 7. September 1914 wird Europas erster Unterwassertunnel eröffnet – der Elbtunnel. Eine technische Sensation und ein Bau mit großen Gefahren.
„Eines der eigenartigsten Bauwerke, das zwar nicht zu den schwierigsten, aber wohl zu den interessantesten Ausführungen der Ingenieurbaukunst in Deutschland gehört“
Otto Stockhausen, Baumeister des St. Pauli-Elbtunnel
Am Morgen des 24. Juni 1909 badeten die Gäste des Freibades fröhlich in der Elbe – da schoss mitten aus dem Fluss eine Fontäne empor und brachte die Schiffe zum Schwanken. Was war geschehen? Die seit Monaten unter einem Schutzschild und Druckluft Arbeitenden zum Bau der Elbtunnelröhre waren im Matsch des Urstromtales der Elbe auf eine leichte und luftdurchlässige Schicht gestoßen. Die im Schild gepresste Luft, die sonst den Grund trocknete und vom Eindringen in den Arbeitsraum abhielt, brach aus, schleuderte Sand und Geröll in einem Schwall von Luftblasen in einer Fontäne vom Elbgrund nach oben.
Die Männer, die am Schildmaul den Elbgrund mit der Schaufel abtrugen, waren in höchster Gefahr. Erst entwich ein Teil der Druckluft, dann kam das Wasser zurück und füllte das Tunnelbaugerät mit Wasser. In diesem Fall zum Glück nur zur Hälfte. Alle Arbeiter retteten sich auf die Laufgänge des Arbeitsgerüstes, die Trennwand mit Schleuse für Menschen und für Material hinderte das Wasser am weiteren Eindringen in das noch unfertige Tunnelbauwerk.
Der Baumeister des St. Pauli-Elbtunnel Otto Stockhausen, hielt ihn für eines der eigenartigsten Bauwerke, das zwar nicht zu den schwierigsten, aber wohl zu den interessantesten Ausführungen der Ingenieurbaukunst in Deutschland gehörte. Das Jahrhundertbauwerk interessiert Touristen heute noch wegen seiner eigentümlichen Form. Um lange Anfahrrampen zu vermeiden, gelangen Fuhrwerke und Menschen über Aufzüge auf die Tunnelsohle. Die zwei Tunnelröhren bestehen aus Eisentübbingen, Kreissegmenten aus Eisen von denen hinter dem Schild jeweils sechs zum Vollkreis mit über 6 Meter Durchmesser zusammengeschraubt und dann vernietet wurden. Alle Fugen zwischen den Eisenteilen wurden mit Blei verstemmt, ein Material, das sich nach 100 Jahren aufzulösen begann und wieder durch Blei ersetzt werden musste. Wegen der eingesetzten Druckluft, die das Wasser aus der Baustelle heraushalten sollte, war der erste Elbtunnel auch ein waghalsiges Bauvorhaben, für das es bisher kein so langes und in so widrigen unvorhersehbaren Grund gebohrtes Beispiel gab.
Auf dem kürzesten Weg zur Arbeit: mit dem Aufzug hinab und unter der Elbe hindurch
Späte Folge eines Streiks
Einer sozialen Explosion verdankt der heute mehr als hundert Jahre alte St. Pauli-Elbtunnel seine Existenz: Im Hafenarbeiterstreik 1896/97 kamen die Spannungen einer sehr rasch wachsenden Stadt für alle zu einem überraschenden Ausbruch in einem monatelangen Streik, der mit einer Niederlage für die Arbeitenden endete. In der seit dem Zollanschluss 1888 rasant wachsenden Stadt Hamburg hatte der Senat auf die Probleme durch die starke Zuwanderung bisher keine Antwort gefunden.
Es fehlten arbeitsplatznahe günstige Wohnungen, die hygienischen Verhältnisse bei der Arbeit waren unzumutbar, die Lebensmittelversorgung war schlecht und die bisherigen Verkehrsmittel dem wachsenden Strom von Arbeitskräften nicht mehr gewachsen. Nach der unerwarteten Explosion des Hafenarbeiterstreiks reagierten Arbeiterorganisationen, Unternehmer und Senat: Wohnungsbaugenossenschaften und Konsumgenossenschaften erstarkten, die neuen Umschlaganlagen sahen Duschen und Toiletten vor und für den Weg von und zu den Arbeitsplätzen am Hafen entstanden neue Verkehrsmittel. Die Hochbahn entstand mit ihrer Ringlinie um die Alster, die zu den Landungsbrücken führt. Dort gelangten die Arbeiter der Werften und des Hafens sicher und bei jedem Wetter auf die andere Elbseite mit den Schiffen der staatlichen HADAG und eben zum Elbtunnel, dessen Aufzüge Zehntausende Arbeiter und Arbeiterinnen nutzten.
Bei seinem Bau wurden auf der St. Pauli-Seite im festen Grund im offenen Schachtbauverfahren und auf der Steinwärderseite im Schlamm der Elbe unter Druckluft Schächte bis auf 15 m Tiefe in den Elbgrund getrieben. Von Steinwärder ließen die Ingenieure die Tunnelröhren im Schutze eines Schildes, einer Art größerer Blechdose mit Bühnen und Notschleusen, durch den Elbgrund graben.
Borsteinplatz
Der Bornsteinplatz ist ein Platz in Steinwerder. Er liegt vor dem Eingang des Alten Elbtunnels und ist nach dem Ärzteehepaar Arthur (1881–1932) und Olga Adele Bornstein (1881–1912) benannt, die während des Tunnelbaus dafür zuständig waren, die Dekompressionskrankheit unter den Arbeitern zu verhindern bzw. sie zu behandeln, wodurch sie viele Menschenleben retteten.
Gefahr in der Tiefe
Frühere Tunnelbauten und Gründungen unter Wasser, die sogenannten Caisson-Arbeiten, hatten zu zahlreichen Opfern geführt. Arbeitskräfte, die unter den Bedingungen von Überdruck arbeiten mussten, waren an der Taucherkrankheit erkrankt und starben. Bisher hatte man hingenommen, dass beim zu raschem Senken des Drucks in der Schleuse auf dem Rückweg das leichter gelöste Gas in Blut und Körperflüssigkeit zu mikrofeinen Perlen aufschäumen konnte und dabei die Blutgefäße verstopfte – die Arbeiter starben an Embolien.
Doch der Hamburger Tunnelbau stand unter öffentlicher Aufmerksamkeit. Als der Tunnelarzt Lauenstein die ersten Krankheits- und Todesfälle nicht verhindern konnte, wurde 1909 das Ärzteehepaar Arthur und Olga Bornstein berufen, die sich mit der Caissonkrankheit beschäftigt hatten. Sie hielten sich ständig auf Steinwärder auf und untersuchten jeden Arbeiter, der von der Druckluftbaustelle zurückkehrte – insgesamt waren beim Tunnelbau 4.400 Arbeiter eingesetzt. Traten Symptome der gefährlichen Krankheit wie Taubheit, Schwindel, Gliederschmerzen usw. auf, wurden die Arbeiter in eine gesonderte Behandlungskammer wieder unter den alten Luftdruck gebracht und langsam der Druck gesenkt, bis das gelöste Gas wieder aus dem Körper ausgetreten war. Über 700 Arbeiter behandelten sie auf diese Weise und bewahrten sie vor dem Schicksal zweier anderer Arbeitskräfte, die trotz Gliederschmerzen nach Hause gegangen waren und dort an Embolien starben. Der St. Pauli-Elbtunnel ist also nicht nur wegen seiner kühnen Tübbingkonstruktion und der Aufzüge ein Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst. Er ist ein hervorragendes Bauwerk der Handwerkskunst, die sich in den Keramikfliesen und Fliesen der Tunnelröhren zeigt, deren vielfältige Spiegelungen und Brechungen zum Hintergrund von Millionen Fotografien festgehalten wurden.
Wassereinbruch beim Bau
Am Morgen des 24. Juni 1909 kam es beim Bau des Alten Elbtunnels zu einem Wassereinbruch, nachdem die Arbeiter im Matsch des Urstromtales der Elbe auf eine leichte und luftdurchlässige Schicht gestoßen waren. Die Druckluft entwich und in Sekundenschnelle drang Wasser ein. Alle Arbeiter konnten sich aber zum Glück auf die Laufgänge des Arbeitsgerüstes retten. Eine Trennwand mit Schleuse verhinderte, dass das Wasser weiter in den noch unfertigen Tunnel laufen konnte.
Hafenarbeiterstreik 1896/97
1896/97 kam es in Hamburg zu einem Hafenarbeiterstreik, der mehrere Monate dauerte. Anlass für den Streik waren die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werftangestellten. In der seit dem Zollanschluss 1888 rasant wachsenden Stadt Hamburg fehlte es an arbeitsplatznahen, günstigen Wohnungen, die hygienischen Verhältnisse bei der Arbeit waren unzumutbar, die Lebensmittelversorgung war schlecht und die bisherigen Verkehrsmittel dem wachsenden Strom von Arbeitskräften nicht mehr gewachsen. Der Streik endete mit einer Niederlage für die Arbeiter. Dennoch nahm die Stadt im Anschluss einige Verbesserungen vor und baute u. a. den St. Pauli-Elbtunnel (heute Alter Elbtunnel), um eine Arbeitswegerleichterung für die Werftangestellten zu schaffen. Bisher hatte sie mit vollkommen überfüllten Fähren der HADAG auf die andere Elbseite übersetzen müssen.
Mehr Arbeitssicherheit
Er ist zugleich ein Denkmal der Vorsorge für die Arbeitssicherheit, das unter viel weniger Opfer errichtet werden konnte, als vormalige Unterwasserbauten forderten. Deshalb sollte nach der Wiederherstellung der ersten Tunnelröhre dieses technischen Denkmals der Platz in Steinwärder, auf dem die Tunnelärzte ihre Untersuchungen und Kontrollen durchführten, nach Olga Adele und Arthur Bornstein benannt werden, die durch sorgfältige Untersuchungen und die neue Behandlungsmethode mit der Druckkammer Schaden von den Arbeitern im Tunnelbau abwendeten. Bei der Wiederherstellung des St. Pauli-Elbtunnel seit 2010 möglichst nahe am Ursprungszustand wurde die Arbeitsweise der Erbauer erkennbar, mussten unvorhergesehene Schäden beseitigt und alte handwerkliche Arbeitsweisen wiederbelebt werden, ein Aufwand, den Stadt und Hamburg Port Authority stemmten, damit das für die Stadtgeschichte in vielfacher Hinsicht so bedeutsame Bauwerk im neuen Glanz erstrahlen kann.