Von Björn Smertka
Im Grunde genommen ist es nicht mehr als ein Hefe-Plunderteig-Gebäck mit Zimt, und doch ist das Franzbrötchen für die Hamburger ein ganz besonderes Stück Backwerk. Mehrmals fand sogar schon ein Wettbewerb um das beste Franzbrötchen statt, bei dem Hamburger Bäckereien die verschiedensten Kreationen ins Rennen schickten, welche sich nicht nur vom Aussehen, sondern auch von den Zutaten und vor allem im Geschmack unterschieden.
Aber was genau macht ein gutes, gelungenes Franzbrötchen eigentlich aus? „Es muss auf jeden Fall handgemacht sein“, sagt Joachim Gideon, der Produktionsleiter der „Kleinen Konditorei“, die den Wettbewerb schon zweimal in Folge gewinnen konnte. Sein Wort hat Gewicht in der Franzbrötchen-Szene, er weiß, wovon er redet, wenn er auf die schmackhafte Hamburgensie angesprochen wird. „Wir in der Kleinen Konditorei benutzen seit über 50 Jahren das gleiche Rezept. Wir verwenden mittlerweile nur Butter statt Margarine auf den 164 Teigschichten. Und jedes einzelne unserer Franzbrötchen ist selbst gemacht. Maschinen kommen uns nicht ins Haus“, erzählt Gideon. „Nur wenn man das Franzbrötchen selbst in der Hand hat, kann man auf verschiedene Teigkonsistenzen reagieren, welche das Resultat am Ende entscheidend beeinflussen können. Fingerspitzengefühl ist das A und O in der Herstellung.“
In dieser Hinsicht macht die „Kleine Konditorei“ aus Kundensicht vieles richtig, schließlich werden in den vier Filialen im Hamburger Westen wöchentlich um die 10.000 der Hamburger Zimtkringel produziert, verkauft und verzehrt. Das Franzbrötchen scheint für Hamburg also wirklich unverzichtbar zu sein. Doch woher kommt es? Wie genau das in seiner Ur-Form entstanden ist, das ist bis heute ungeklärt. Es existieren aber allerhand Geschichten und Mythen, wie es seinen Weg als regionale Spezialität in die Hamburger Backstuben gefunden hat. Eine jede davon ist so (un-)möglich wie die andere.
Kam die Inspiration aus Frankreich oder Schweden?
Mal wird von drei Brüdern gesprochen, die im Wettstreit um eine Frau versuchten, sich im Backen zu übertrumpfen und dass der Gewinner der drei, Franz, sein Gebäck in der hauseigenen Backstube verkaufte. Es ist die Rede vom Hamburger Bäckermeister, der anlässlich der Befreiung Hamburgs von den Franzosen einen Freiheitskuchen kreieren wollte, welcher sein endgültiges Aussehen und seinen Namen schlussendlich aber dem Hintern des betrunkenen Gesellen verdankt, der sich ahnungslos auf den Teig gesetzt hatte. Eine weitere Erzählung besagt sogar, dass das Franzbrötchen dem Kaiser Franz von Österreich und seiner Sissi gewidmet sei, die ein typisch hamburgisches Frühstück wünschten, als sie der Stadt einen Besuch abstatteten. Allesamt spannende Geschichten; Belege oder Hinweise auf ein Fünkchen Wahrheit gibt es aber leider keine oder nur sporadisch.
So berichtet eine Kirchenchronik des 13. Jahrhunderts von einem Franziskanermönch, der mit einem Handwagen über die Dörfer ziehend, das nach ihm benannte „Franzbrot“ unter den Armen verteilt hatte. Dies könnte eine Vorlage für die mündlich überlieferte Geschichte des Hamburger Bäckermeisters sein, der auf dem Sterbebett beichtete, dem heiligen Franz von Assisi auf einer seiner Pilgerfahrten ein Rezept für eine süße Teigware gestohlen und es als Franzbrot selbst verkauft zu haben. Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass selbst gebürtigen Hamburgern diese „Franzbrot-Mythen“ unbekannt sind. Wird ein Einheimischer über das Franzbrötchen befragt, so bekommt man als Antwort meist eine von drei oft tradierten und wirklich bekannten Überlieferungen erzählt.
Die geläufigste berichtet von gewissen Hamburger Bäckern, die am Anfang des 19. Jahrhunderts, zu Zeiten der französischen Besatzung, angefangen haben, weißes Brot französischer Art zu backen. Einer jener Bäcker sei hätte dann auf die Idee gehabt, jenes Brot in einem Buttersud mit Zimt und Zucker in der Pfanne zu braten. Wörterbücher und sogar Wikipedia haben diese „Entstehungsgeschichte“ dankend angenommen. Ebenfalls gerne wird von der Verwandtschaft des Franzbrötchens zu den schwedischen Kanelsnäckor, von denen sich die Hamburger Bäcker inspirieren ließen, gehört und gesprochen. Diese Kanelsnäckor oder auch Kanelbullar sind tatsächlich eine besondere schwedische Spezialität, in der Wertigkeit vergleichbar mit den (vielen Menschen wohl von IKEA) bekannten Kötbullar, und sie sind wie das Franzbrötchen ein Hefe-Plunderteig-Gebäck mit Zimt.
Als dritte im Bunde hält sich hartnäckig die Überlieferung eines im damals noch zu Dänemark gehörenden Altona tätigen Bäckers, welcher nach Aussagen seiner Nachfahren das Franzbrötchen erfunden hat: der so genannte Franz´sche Bäcker. Und tatsächlich gab es gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Altona an der Großen Bergstraße Ecke Reeperbahn einen Bäcker namens Johann Hinrich Thielemann, welcher der Franz´sche Bäcker genannt wurde. Er liegt heute auf dem Friedhof an der Elbe begraben.
Ob es jetzt der Altonaer Bäcker oder ein schwedischer Wikinger war, ob wir das Franzbrötchen einem Gesellenpopo verdanken oder dem österreichischen Kaiser, das werden wir leider nie erfahren. Um das Franzbrötchen werden sich immer Legenden ranken. Und das ist auch gut so. Denn egal, welcher Mythen man Glauben schenkt, für das Gefühl, wenn man zum ersten Mal in ein Franzbrötchen beißt, kann es nur einen Ausdruck geben: Legendär.
In Hamburg gab es mehrere Wettbewerbe, bei denen eine Jury, bestehend aus Museumsbesucher*innen, zahlreiche Franzbrötchen probierte und die besten Bäckereien kürte.