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Tattoolegenden Der Hamburger Christian Warlich und die bunte Welt der Tätowierkunst

April 2016
Von Ole Wittmann

Der Hamburger Christian Warlich gilt als Koryphäe der Tattookunst des 20. Jahrhunderts. Über vierzig Jahre lang war er auf St. Pauli tätig und erlangte als ‚König der Tätowierer‘ internationale Bekanntheit. Bis heute inspiriert er Tätowierer auf der ganzen Welt.

Pathologisierung 

Die Geschichtsschreibung zu Tattoos ist von Kolportagen geprägt, entsprechend kursieren unzählige Irrtümer im Hinblick auf die Tätowierung. Man denke nur an das hartnäckige Gerücht, dass Hautbilder in Europa ursprünglich nur Seeleuten, Kriminellen oder der Unterschicht vorbehalten waren oder an die immer wieder zu lesende Behauptung, dass das Tattoo im Zuge von James Cooks Seereisen in den 1770er Jahren in Europa eingeführt wurde. All dies ist nicht richtig: Tätowierungen erfreuten sich im 19. Jahrhundert auch unter Aristokraten und Großbürgern großer Beliebtheit, sogar Kaiserin Sisi trug laut eines Tagebucheintrags einen gestochenen Anker. Und dass es Tattoos in Mitteleuropa schon lange vor Cook gab, wissen wir nicht erst seit dem Fund der gut fünf Jahrtausende alten und tätowierten Gletschermumie ‚Ötzi‘. Auch Pilger ließen sich schon im 17. Jahrhundert in Jerusalem und andernorts Tätowierungen stechen. Eine bis in das 19. Jahrhundert reichende Form der Diffamierung ist die Pathologisierung von Tattoo-Trägern. 

Der Kriminalanthropologe Cesare Lombroso propagierte ab den 1870er Jahren einen direkten Zusammenhang zwischen Tätowierungen und kriminellem Verhalten und nicht nur die Boulevardpresse attestiert mehrfach Tätowierten auch heute noch gerne eine „Tattoo-Sucht“. Daran zeigt sich, dass die Tätowierung von Vielen immer noch als eine abnorme Gewohnheit verstanden wird. Anhand des Hamburger Tätowierers Christian Warlich, einer Koryphäe, die über vierzig Jahre auf St. Pauli tätig war, lässt sich jedoch so mancher Irrtum korrigieren und ein vorurteilsfreier Blick auf die Kunst der Tätowierung eröffnen.

Böse Brüder: Wer Tattoos trug, wurde lange Zeit als Krimineller diffamiert. Foto: Museum für Hamburgische Geschichte

Tattoos als Kulturgut 

Die wichtigste Quelle zum bis heute eindrucksvollen Schaffen Christian Warlichs ist Adolf Spamers erstaunlich wertneutrale volkskundliche Bestandsaufnahme „Die Tätowierung in den deutschen Hafenstädten“ aus dem Jahr 1933. Das Wegweisende an dieser Studie ist, dass sie das Thema nicht von der tätowierten Person aus anging, sondern vom Bildgut der Produzenten: Also den Tätowierern selbst. Spamer gelang eine erhellende Beschreibung des damaligen Tätowierbrauchtums und legte damit den Grundstein dafür, dass die Tätowierung als ein wichtiges Kulturgut wahrgenommen wird. Seiner Schätzung nach gab es zum Zeitpunkt seiner Publikation etwa zwei Dutzend Berufstätowierer in Deutschland. Unter ihnen verkörperte Christian Warlich die neu aufkommende gewerbliche Professionalität. Zuvor wurden Tätowierungen oft an öffentlichen Orten wie Straßen und Parks gestochen, die Tätowierer arbeiteten eher auf einem niedrigen handwerklichen Niveau. Als Instrumente benutzten sie wahrscheinlich an Holzstäbchen gebundene Nadeln. In Hamburg war die Gegend am Bismarck-Denkmal auf St. Pauli angeblich ein Ort, an dem tätowiert wurde.

Professionalisierung der Tattookunst 

 Als Warlich um 1919 seine eigene Gaststätte eröffnete, veränderte sich die Situation: Er startete ein professionelles Tattoogeschäft in einem geeigneten Umfeld. In seiner Kneipe in der damaligen Kieler Straße 44 richtete er einen abgetrennten Bereich fürs Tätowieren ein. Er hatte Reklame im Fenster, eigene Werbemittel, einen Vertrieb für Tätowiermaterial und er stand im Kontakt mit Hautkliniken. Er führte angeblich sogar die elektrische Tätowiermaschine in Deutschland ein. Nachweislich stand er in regem Austausch mit Tätowierern aus anderen Ländern, u.a. mit den Legenden Tattoo-Ole aus Dänemark und wohl auch mit Charlie Wagner aus New York City. Warlich zeichnete Vorlagen für traditionelle Tätowierungen und hatte eine ausgeprägte künstlerische Handschrift. Beispielsweise lassen sich seine Schmetterlingsdarstellungen deutlich von denen seiner Zeitgenossen unterscheiden.

Wirt und Tätowierer: Warlich präsentiert das legendäre Vorlagealbum in seiner ‚Tattoo-Gaststätte‘ und zeigt auf das Motiv „Der Ruin des Mannes“. Foto: Museum für Hamburgische Geschichte.
Anpassung eines japanisches Briefs an die europäische Bildsprache. Foto: Museum für Hamburgische Geschichte

Die künstlerische Handschrift Warlichs

Er nahm fremde Bilder wie US-amerikanische ComicMotive und japanische Drachendarstellungen in sein Repertoire auf und passte sie an die europäische Bildsprache an. Warlich fiel nicht nur dadurch auf, die Tätowierung zu professionalisieren, er profilierte sich auch durch handwerkliches Können und einen künstlerischen Anspruch. So tätowierte er Disney-Figuren und Portraits nach Fotografien aus Illustrierten. Laut Spamer hat er sogar einige Blätter der „Grünen Passion“ von Albrecht Dürer als Tattoo umgesetzt. Die Übersetzung derartiger Arbeiten war nicht neu, Leonardo da Vincis „Abendmahl“ galt schon im 19. Jahrhundert als populäres Sujet. Für Deutschland war dieser Ansatz jedoch ein Novum: Die Einbindung der bildenden Kunst in das Tätowieren macht deshalb einen wichtigen Teil von Warlichs kulturhistorischer Bedeutung aus.

Christian Warlichs Schaffen ist bis heute Inspiration für Tätowierer weltweit, unter Sammlern und Aficionados gilt er als eine Ikone der Zunft. Das in mehreren Auflagen veröffentlichte Vorlagealbum von Warlich ist seit Jahren vergriffen und wird in Antiquariaten zu schwindelerregenden Preisen gehandelt. Qualitativ minderwertige Raubdrucke verkaufen sich binnen weniger Tage im Internet. Hier äußert sich die Beliebtheit von Warlich auch in sozialen Netzwerken wie Instagram. Posten heutige Tattoo-Koryphäen wie Chriss Dettmer aus Hamburg, Todd Noble aus Delaware oder Steve Byrne aus Texas eine von Warlich inspirierte Tätowierung, beschert es dem Absender nicht selten mehr als tausend Likes. Für hiesige Tätowierer hat Warlich jedoch eine weitaus fundamentalere Bedeutung: Als Urvater der deutschen Tätowierung ist er die historische Identifikationsfigur für einen ganzen Berufsstand.

Forschungsprojekt “Nachlass Warlich” 

Trotzdem ist über Christian Warlich bei weitem noch nicht alles bekannt. Das Problem an der Informationslage ist, dass vieles in der Studie von Adolf Spamer nicht näher ausgeführt oder belegt wurde. Von biografischen Daten bis hin zu der Frage, wie der internationale Austausch zwischen Warlich und anderen Tätowierern erfolgte, ist vieles unklar. Der Nachlass von Christian Warlich, der im Rahmen eines Forschungsprojektes am Museum für Hamburgische Geschichte untersucht wurde, bietet die Möglichkeit, die Geschichte der Tätowierung in der Hansestadt an Warlichs Beispiel von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zur Bundesrepublik anhand der tatsächlich verbliebenen Objekte zu ergründen. Ziel des Projektes war es, den Bestand zu erfassen, ihn aufzuarbeiten und die Ergebnisse in Form einer Publikation nutzbar zu machen. Zudem ist es ein Anliegen der im Jahr 2015 ins Leben gerufenen, international und interdisziplinär agierenden Stiftung Center for Tattoo History and Culture, falschen historischen Darstellungen entgegenzuwirken. Die Aussichten für eine mythenfreiere Tattoo-Geschichte sind damit rosiger als je zuvor.

Kontakt 

Museum für Hamburgische Geschichte

Dr. Ole Wittmann

Tel. 040 – 428 132 906
Email: ole.wittmann@mhg.shmh.de
Projekthomepage: www.nachlasswarlich.de

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