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Instagram vor 100 Jahren

April 2020
Von Franziska Schüßler

Die “sichtbare Monarchie” und die Postkarte als Sammelobjekt: Wie der öffentlichkeitssüchtige Kaiser Wilhelm II. die Postkarte als Propaganda für den Wohnzimmertisch nutzte und sich als Vater, Feldherr und Wohltäter in Szene setzte.

Die Mächtigen, Reichen und Schönen wussten schon immer sich in Szene zu setzen und sich Öffentlichkeit zu verschaffen. Römische Kaiser ließen ihr Antlitz auf Münzen prägen und Statuen errichten, heute erreichen uns bekannte Persönlichkeiten über Soziale Medien, wie Instagram und Twitter, und lassen uns darüber an einem ausgewählten Teil ihres Lebens teilhaben. Vor ca. 100 – 120 Jahren nahm die Ansichtskarte diese Rolle ein. Sie war nicht nur ein allgegenwärtiges Kommunikationsmittel, sondern auch ein überaus beliebtes Sammelobjekt. Postkarten aus aller Welt wurden zu Millionen verschickt und gesammelt. Dieses Sammeln ermöglichte es, die “engere Heimath und die weite, weite Erde spielend kennen zu lernen” und zumindest theoretisch in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Die Königs- und Kaiserfamilien der Europäischen Häuser, insbesondere Kaiser Wilhelm II., machten sich die Sammelleidenschaft ihrer Untertanen zu nutze und ließen unzählige Karten mit Porträts, Familienbildern, Ahnentafeln und Herrschaftssymbolen herausgeben. Diese dienten als Propaganda für den Wohnzimmertisch und wurden sorgsam in eigens dafür vorgesehenen Alben aufbewahrt.

Eines dieser Alben, das Postkartensammelalbum von Lolotte Funck, das im Postkartenarchiv des Altonaer Museum aufbewahrt wird, soll hier vorgestellt werden. Es zeigt verschiedene Aspekte der medialen Inszenierung des Kaisers und seiner Familie und lässt Vermutungen darüber zu, wie diese in der Bevölkerung wahrgenommen wurden.

Die Kaiserfamilie als Hobby – Lolotte Funck und ihr Album 

Als Lolotte Funck aus Neubrandenburg begann ihr Album anzulegen, war sie Schülerin. Ihre Postkarten entstanden in den Jahren zwischen 1907 und 1922, einige wurden zwischen 1914 und 1922 mit Textnachrichten versehen und verschickt. Es handelt sich größtenteils um Geburtstagsgrüße oder kurze Updates von Reisen der Eltern und Verwandten. Auch als der Erste Weltkrieg in vollem Gange war, trug Lolotte weiterhin begeistert Postkarten der Kaiserfamilie zusammen. Es scheint, als ob der Krieg lediglich in Form von Propaganda-Postkarten Spuren in Lolottes Album hinterlassen hat. In den Texten auf den Postkarten ist vom Krieg hingegen keine Rede, aber umso mehr von Sekt und Theaterbesuchen in Berlin. Mitglieder ihrer Familie reisten auch in Kriegszeiten viel im Deutschen Reich umher und Familie Funck konnte sich auch im August 1915 einen Urlaub an der Ostsee leisten. Es ist daher davon auszugehen, dass es Lolottes Familie wirtschaftlich gut ging.

Wie viele andere Postkartensammelalben auch, wurde scheinbar auch dieses an die nachfolgende Generation vererbt. Die Karten im Album wurden zu verschiedenen Zeitpunkten in unterschiedlichen Handschriften beschriftet. Auch moderne Karten vom Schweriner Schloss wurden später hinzugefügt und zeugen von einer andauernden Bindung zur Monarchie und ihren Symbolen.

Die “sichtbare” Monarchie

“Kaiser Wilhelm II.”, Verlag: Gustav Liersch & Co. Berlin, Foto: William Slade Stuart 1902, ca. 1902, SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2009-22,91

Kaiser Wilhelm II. inszenierte sich bewusst als “Medienkaiser” und stand für die “sichtbare Monarchie” in all ihren Facetten. Da er auch vergleichsweise intime Familienbilder herausgeben ließ, verschmolzen in der öffentlichen Darstellung die Privatperson Wilhelms II. und die öffentliche Person des Kaisers. Dies ermöglichte schon damals ein Phänomen das wir heute als “parasoziale Beziehung” bezeichnen würden. Bei der Sammlerin wird das Gefühl erzeugt den Kaiser wie einen Freund zu kennen, über sein Familienleben Bescheid zu wissen, an seinem Leben teilhaben zu können. Die Postkarten aus Lolottes Album tragen Titel wie “Unser Kaiser mit seinen Enkeln”, “Unsere Kaiserfamilie” oder “Unsere Kronprinzenfamilie” und sollen den Eindruck erwecken, der Herrscher gehöre dem Volk an und handele in dessen Interesse. Wie wir aus seinen Briefwechseln wissen, sah Kaiser Wilhelm II. die Rolle der Monarchie durch Parlamente und Verfassung bedroht und legte daher größten Wert darauf, als Führungsperson an der Spitze betrachtet zu werden. Bildpostkarten mit Bildern der Kaiserfamilie durften zwar privat herausgegeben werden, unterlagen jedoch staatlicher Zensur. Negative Darstellungen oder gar Karikaturen waren nicht erlaubt. Wappen, Flaggen und sonstige Herrschaftssymbole zementierten die Verbindung des Herrschers zu Nation und Volk und machten ihn zu einer Symbolfigur. Ahnentafeln erzeugten eine historische Legitimierung des Herrschaftsanspruches.

Daher ist es etwas ungewöhnlich, dass Lolotte Funcks Album – im Gegensatz zu vielen anderen – keine Postkarten mit starker Symbolik oder direkter Propaganda enthält. Es handelt sich fast ausschließlich um schlichte Porträts ohne großartige Ikonographie. Die Inszenierung und Legitimation erfolgte über Motive, Kleidung, Körperhaltung und das ständig wiederholte “unser”. Bei fast allen Bildern ist der Blick Kaiser Wilhelms II. nicht direkt zum Betrachtenden gewendet, sondern geht leicht an der Kamera vorbei. Diese von antiken Bildnissen inspirierte Pose ist typisch für Herrschaftsporträts.

“Die Söhne und Töchter unseres Kaiserpaares”, Verlag: Gustav Liersch & Co., Foto: Niederastroth, für Selle & Kuntze, ca. 1914, SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2009-22,89
“Kaiserin Auguste Viktoria”, Verlag: Gustav Liersch & Co. Berlin, Foto: Thomas Heinrich Voigt für Neue Photographische Gesellschaft m.b.H. (NPG), ca. 1910, SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2009-22,92

Dabei inszenierte Kaiser Wilhelm II. bewusst verschiedene Bilder von sich: der Kaiser als Familienvater, der Kaiser als Heerführer, und der Kaiser als Teil des Reiches. Dies wird in der Auswahl der Bilder in vorliegenden Album besonders deutlich, sie lassen sich perfekt in diese drei Kategorien einordnen.

“Unser Kaiser” – Wilhelm, der Familienvater 

Durch die Inszenierung als Familienvater sollte der Kinderreichtum und  der Familienzusammenhalt der Kaiserfamilie gezeigt und damit auch in der Bevölkerung gefördert werden. Auf diese Weise wurde auch ein Bild Wilhelms II. gestärkt, das ihn als gutmütig und fürsorglich zeigte, als einen väterlichen Herrscher, der sich um seine Schutzbefohlenen kümmert. Familien- und Kinderbilder sind in diesem Album besonders stark vertreten, was daran liegen kann, dass die Sammelnde eine Frau bzw. zu Beginn der Sammlung ein Mädchen war und Motive dieser Art, den Geschlechterkonventionen der damaligen Zeit entsprechend, von ihr bevorzugt worden. 

“Unser Kaiser” – Wilhelm, der Heerführer

“Unser Kaiser im Feld”, Verlag: Gustav Liersch & Co, Foto: Schmidt – Danzig pinx., ca. 1914-1918, SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2009-22,110

Typisch für die Inszenierung als Heerführer sind Bilder des Herrschers mit seiner gesamten Generalität zu Tisch, auf dem Karten ausgebreitet sind. Damit sollte Übersicht und Herrschaft über das gesamte Herrschaftsgebiet vermittelt werden und in Kriegszeiten der Zusammenhalt der Führungsriege und deren strategisches Geschick. Die Abbildung in Uniform oder “im Felde” zeigt die Nähe zu den kämpfenden Soldaten und stellt den Herrscher als Teil von ihnen dar. Alle Männer tragen auf den Fotos in diesem Album eine Uniform. Der Kaiser war begeistert von allem Militärischen, er hatte eine umfangreiche Sammlung an Uniformen und liebte Paraden, hatte jedoch im Gegensatz zu seinen Vorgängern nie direkte Kriegserfahrungen gesammelt. Auch den ersten Weltkrieg verbrachte er größtenteils in Potsdam, nicht wie einige der Postkarten suggerieren “im Felde”. Die Inszenierung als Heerführer war deswegen für ihn von besonderer Bedeutung.

“Unser Kaiser” – Wilhelm, der Nahbare 

Kaiser Wilhelm II soll – zum Unbehagen seiner Berater und Sicherheitskräfte – das Bad in der Menge geliebt haben. Dadurch konnte er die Verbindung zum Volk stärken und den Eindruck vermitteln: “der Kaiser ist einer von uns”. Gerade diese Bilder weisen starke Ähnlichkeit zum heutigen Instagramauftritt der britischen oder schwedischen Königsfamilien auf, die oft umringt von Gruppen z.B. auf Wohltätigkeitsveranstaltungen zu sehen sind.

Hilfswerke/Wohlfahrt 

Die Karten der Hilfswerke machen die familiären Geschlechterrollen im Krieg deutlich. Während die Männer als Kriegshelden inszeniert wurden, erfuhren die Frauen eine Inszenierung als Helferinnen der Verwundeten und fürsorgliche Mütter, die das Leben an der Heimatfront am Laufen halten.

Kaiserverehrung nach dem Krieg

Autogrammkarte von 1922, Foto: Thomas Heinrich Voigt, ca. 1922, SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2009-22,158

Die Beliebtheit und Allgegenwärtigkeit der Ansichtskarte und die mediale Inszenierung der “sichtbaren Monarchie” durch Kaiser Wilhelm II. trafen zum perfekten Zeitpunkt aufeinander. Durch die breit aufgestellte Selbstdarstellung des Kaisers vom Familienvater bis zum Heerführer war für jeden Geschmack etwas dabei und jede*r Sammelnde konnte sich sein eigenes Bild des Kaisers nach persönlichen Vorlieben machen und in einem oder mehreren Alben verewigen. 

Die durch diese bewusste Inszenierung entstandene Kaiserverehrung hielt bei einigen, wie bei Lolotte Funck und ihren Nachfahren, trotz der Schrecken des Ersten Weltkrieges bis weit in die Zeit der Weimarer Republik an. Es wurden weiterhin Postkarten und sogar Autogrammkarten mit Motiven aus dem Kontext der Kaiserfamilie herausgegeben. Auch dieses Album enthält eine Autogrammkarte des Kaisers aus dem Jahr 1922 und eine Postkarte des Hauses Doorn, seinem Exilsitz in den Niederlanden, aus demselben Jahr. Der Kaiser hoffte bis zu seinem Tod 1941 auf eine Wiederbelebung der Monarchie und lamentierte 1918 nach seiner Abdankung: “Kein Mensch ist mir dankbar!”. Die Karten in Lolotte Funcks Album deuten an, dass der Kaiser mit dieser Haltung nicht alleine stand.