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Die ganze Welt im Wohnzimmer Die Geschichte der Postkarte

April 2020
Von Birgit Staack und Franziska Schüßler

Ein Kommunikationsmedium, das sich über Jahrhunderte hartnäckig hält, feiert 150. Geburtstag: Die Postkarte. Von der Feldpost bis zum Urlaubsgruß, vom statischen Vordruck bis zur colorierten Bebilderung: Die Entwicklung dieser besonderen Grußbotschaft seit ihrer Erfindung ist ein Spiegel der Kulturgeschichte.

Wie bei den meisten erfolgreichen Neuerungen wurde auch die Einführung und Verbreitung der Postkarte durch bestimmte gesellschaftliche Rahmenbedingungen begünstigt. Während in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine räumliche Trennung zwischen Familienangehörigen und Freunden hauptsächlich in gebildeten oder vermögenden Milieus üblich war, wurde dies im Zuge der Wanderungsbewegungen in die industrialisierten Städte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer verbreiteter. Hinzu kam eine erleichterte Mobilität durch die Eisenbahn, die auch schnellere Beförderungswege für die Postkarten mit sich brachte. So entstanden sowohl ein gesteigertes Bedürfnis nach kurzen Mitteilungen als auch deren kurzfristige Zustellmöglichkeit. Nach einigen Vorläufern wurde die Postkarte (zunächst Correspondenzkarte genannt) 1869 in Österreich-Ungarn und 1870 im Gebiet des Norddeutschen Bundes eingeführt. Bereits am ersten Verkaufstag, dem 25. Juni 1870, wurden allein in Berlin wurden 45 468 Stück verkauft.

Sorge um das Briefgeheimnis 

Wie immer, wenn neue Technologien und Kommunikationsformen Fuß fassen, regte sich zunächst in einigen Kreisen Widerstand. Man befürchtete, die offene Lesbarkeit der Karte könne dazu führen, dass beispielsweise Dienstboten Nachrichten an ihre Herren lesen könnten. Zudem hatte man Sorge, dass durch die kurz zu haltenden Texte die Kunst des Schreibens und damit ein Stück Sprachkultur verloren ginge. Trotz dieser – uns aus der aktuellen Diskussion um Soziale Medien und WhatsApp wohl bekannten – Sorgen gewann das neue Medium immer mehr an Beliebtheit. Denn gerade die Möglichkeit, ohne großen Zeitaufwand kurze Mitteilungen verfassen zu können, die sprachlich nicht besonders ausgefeilt sein mussten, machten Postkarten auch für die breite Bevölkerung attraktiv.

Schon im kurz nach der Postkarten-Einführung beginnenden Deutsch-Französischen Krieg vom Juli 1870 bis Mai 1871 wurden ca. 10 Millionen Feldpostkarten von deutschen Soldaten verschickt. Als im Juli 1872 das Porto für Postkarten auf die Hälfte eines Briefportos gesenkt wurde, beförderte dies ihre massenhafte Verbreitung.

Ernst Ludwig Kirchner: Reitende Mexikanerin. Postkarte an Erich Heckel vom 1.10.1909. SMHM-Altonaer Museum, Inv. Nr. 1964-281

Das Postkartenarchiv des Altonaer Museums 

Mit einem Bestand von ca. 1,5 Millionen Postkarten ist die Sammlung des Altonaer Museums eine der größten Deutschlands. Die Motive reichen von Stadt- und Landschaftsansichten aus Deutschland und dem Ausland bis hin zu kulturgeschichtlichen Sonderthemen wie Krieg (Feldpost), Schifffahrt, Verkehr, Kunst, Sport, Politik, Erotik, Werbung oder Glückwunschkarten. Der thematischen Ausrichtung des Altonaer Museums entsprechend, richtet sich die heutige  Sammeltätigkeit jedoch schwerpunktmäßig auf Altona und Norddeutschland.

Einen besonderen Bestand bilden die mehr als 1970 Künstlerpostkarten, d.h. Postkarten mit Originalzeichnungen von Künstlern. Der größte Teil dieser Sammlung stammt aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts und umfasst zahlreiche Werke von Mitgliedern der Künstlergruppe „Die Brücke“.

Bereits 1962 wurde unter dem damaligem Direktor Gerhard Wietek die erste Sonderausstellung “Bemalte Postkarten und Briefe deutscher Künstler” zum Thema Künstlerpostkarten im Altonaer Museum organisiert. 1965 folgte die Ausstellung “Die Bildpostkarte in Deutschland, auch ein Spiegel der Kulturgeschichte”, der ein Aufruf nach Leihgaben im Hamburger Abendblatt voran ging. Auch Wieteks Nachfolger Gerhard Kaufmann nahm ab 1978 die Postkarte in Publikationen und Ausstellungen in den Blick. Inzwischen war die Postkartensammlung des Altonaer Museums um zahlreiche Schenkungen erweitert worden.

Individualisierung 

Zunächst durften nur amtliche Vordrucke verwendet werden, ab dem 1. Juli 1872 wurden dann auch privatwirtschaftlich hergestellte Postkarten zugelassen. Dies ebnete auch den Weg für eine motivreiche Bebilderung der Karten, die ab Mitte der 1870er Jahre immer üblicher wurde. Offiziell wurde es privaten Verlegern im Deutschen Reich jedoch erst 1885 gestattet, Postkarten mit Ansichten herauszugeben.  

Zunächst war die Rückseite für die Adresse vorbehalten und die Nachricht wurde auf der Bildseite verfasst, was die Ausführlichkeit der Mitteilungen zusätzlich einschränkte:

Kunstanstalt Rosenblatt: Altona. Navigationsschule. Gelaufen am 19.08.1904. Bild und Nachricht auf der Vorderseite und Adresse auf der Rückseite. SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 1969-351,163

Schon 1875 wurden Postkarten international versandt und der Weltpostvertrag von 1878 legte genaue Richtlinien für deren Herstellung und die Gebührenerhebung fest. Ab Februar 1905 wurde im Deutschen Reich das bis heute gängige Postkartenformat festgelegt, bei dem die Vorderseite dem Bild vorbehalten ist und die Rückseite der Beschriftung mit Nachricht und Adresse dient:

Altona. Stuhlmannbrunnen, gelaufen am 22.06.1911 Format mit dem Bild auf der Vorderseite und Nachricht sowie Adresse auf der Rückseite SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2005-32,12

1870: die Geburtsstunde der Postkarte in Norddeutschland

Lange Zeit hatte das Deutsche Reich eine führende Rolle in der Postkartenindustrie. So gab es um 1897 mehr als 12 Betriebe, die sich ausschließlich der Herstellung von Ansichtskarten widmeten und etwa die Hälfte ihrer Produktion ins Ausland exportierten. Dabei fanden die neuesten grafischen und drucktechnischen Verfahren auf der Postkarte ihre erste, oft nur kurze Anwendung.

Wurden die Postkarten zunächst einfarbig bedruckt, dominierte ab den 1890er Jahren das Verfahren der Chromolithografie. Aber auch andere Techniken, wie Lichtdruck, Autotypie, Kupfertiefdruck, oder Fotoabzüge mit Postkartenvordruck sowie später Offsetdrucke wurden angewendet.

Besonderes Aufsehen sollten Bilder auf Metallfolien und Stoff, samtig angeraute Oberflächen, durchsichtige Folien, applizierte Seide und Plüsch, Sand, Mineralstaub, Metallteilchen oder Glaskügelchen erregen. Schon im 19. Jahrhundert gab es raffinierte  Postkartenvarianten mit verstellbaren Rädchen, Blumenduft,  sog. „Rucksackpostkarten“ aus denen eine ganze Serie von Ansichten herauszuziehen war, oder Transparentkarten, die beispielsweise Nacht- und Tagesansichten einer Stadt simulierten

In Folge der unter anderem durch die attraktiven Abbildungen gestiegenen Popularität der Ansichtskarte, erlebte diese zwischen 1885 und 1918 ihre Blütezeit. In den Städten gab es damals zwischen drei und elf Zustellungen am Tag, so dass man sich mittags per Postkarte zum Kaffee verabreden konnte. Erst als nach dem 1. Weltkrieg die Zahl der Telefonanschlüsse rapide zunahm, ging die Nutzung der Postkarte immer stärker zurück. Einen weiteren Einbruch erfuhr der Postkartenversand durch die Einführung der elektronischen Kommunikation per E-Mail, SMS oder über soziale Medien und Messenger-Dienste.

Kunstverlag Hugo Bondy: Wien. Leuchtbrunnen am Schwarzenbergplatz, vermutlich um 1910. Die Farbe der Fontäne konnte durch Drehen des Rädchens verändert werden. Foto: SHMH/Altonaer Museum Inv.Nr.: 2005-32,127

Die Postkarte als Sammelobjekt 

Postkarte mit durch Glaskügelchen verziertem Rosenmotiv und Gedicht (Serie 4 No. 495), gelaufen am 11.2.1901. Foto: SHMH – Altonaer Museum, Inv.Nr.: 1965-577-290

Die Postkarte wurde jedoch nicht nur als Kommunikationsmittel verwendet, sondern diente auch als Sammelobjekt. Einer Schätzung zufolge gingen während der Hochzeit des Sammelns zwischen 1895 und 1914/18 ca. 20% der hergestellten Karten direkt an Sammler, ohne jemals als Kommunikationsmedium verwendet zu werden.

Die Freizeitbeschäftigung des Postkarten-Sammelns (auch Philokartie genannt) ging aus dem Briefmarkensammeln hervor und wurde von ernsthaften Philatelisten zunächst belächelt. Bald schon versuchten Vereine und Sammlermagazine “…belehrend und aufklärend auf die Sammler zu wirken und das Sammeln in die richtige Bahn zu lenken”, wie 1901 in der Satzung des “Centralverbandes für Ansichtskarten-Sammler”  zu lesen war.

Im Mai 1894 wurde der „Sammlerverein für illustrierte Postkarten zu Hamburg“ als erster deutscher philokartistischer Verein gegründet. Es folgten viele weitere mit so illustren Namen wie “Internationale Ansichtskarten-Revue”, “Die kleine Reise um die Welt in Ansichtskarten” oder “Der Postkarten-Sammler – Organ des Centralverbandes für Ansichtskarten-Sammler”.

Es wurde versucht, verbindliche Konventionen zu etablieren um das Sammeln anhand eines Regelkatalogs zu normieren. Das Sammelobjekt sollte so auch als Ausgangspunkt weiterer Studien dienen. Dabei waren sowohl die Drucktechniken, die Hersteller*innen, das Abgebildete als auch die Einbindung der Karte in das Gesamtbild der Sammlung von Interesse. Innerhalb der Sammlung konnte man die einzelnen Motive miteinander in Verbindung setzen, nach einer Logik ordnen und wie ein Puzzle zusammensetzen, bis sich schließlich ein vermeintlich vollständiges Bild der Wirklichkeit ergab.

Sich “ein Bild von der Welt machen” 

Die „Professionalisierung“ des sogenannten „Ansichtskarten-Sammelsports“ führte auch dazu, dass in Sammlerkreisen höhere Ansprüche an die auf den Postkarten verfassten Texte gestellt wurden. So gab es Hefte mit vorformulierten Reimen und Gedichten für Postkarten. Begründend heißt es im Einleitungstext der unten abgebildeten Publikation: „Man empfindet es als eine Barbarei, eine Künstlerkarte durch nichtssagenden Text zu verunstalten.“

Das Sammeln ermöglichte es die “engere Heimath und die weite, weite Erde spielend kennen zu lernen”, wie einem zeitgenössischem Sammlermagazin zu lesen war. So wie wir uns heute Reportagen über die neuesten Ausgrabungen in Ägypten ansehen, uns Wikipedia-Artikel zu verschiedensten Kulturen der Welt durchlesen, auf GoogleMaps die entlegensten Regionen der Welt erkunden, oder Podcasts über historische Ereignisse und Zusammenhänge hören, versuchten die Menschen vor 100 Jahren sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ein zusammenhängendes Bild von der Welt zu machen. Eines davon waren Postkarten.

Zudem hatten viele Menschen unter dem Einfluss von Nationalismus und Kolonialismus das Bedürfnis, sich selbst neu in der Welt zu verorten und eine klare Abgrenzung zwischen dem “Eigenen” und dem “Fremden” herzustellen. Das Postkartensammeln ermöglichte es, die Welt zu akkumulieren, zu ordnen und zu kategorisieren, was durch die Herausgabe von durchnummerierten Postkartenreihen begünstigt wurde.

„Postkartengrüße und Glückwünsche. Eine Sammlung von Reimen und Gedichten für Ansichtspostkarten zu allen Veranlassungen mit einem Anhang poetischer Glückwünsche für Telegramme und kurzer Gedichte für Gelegenheitsgeschenke“, Reutlingen, Ende 19. Jahrhundert. SHMH – Altonaer Museum Bibliotheks Signatur: Qb 194
Postkartensammelalbum von Christoph Jasper, 1903, Innenseite SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2016-120,52

Die handlichen Alben konnten auf dem Tisch der guten Stube oder des Salons für aller Augen sichtbar präsentiert werden. Sie verraten uns heute, welche Perspektiven die Menschen damals einnahmen, was ihnen festhaltenswert oder fotografierenswert erschien. Sowohl die Motive der Karten als auch ihre Verortung im Album können darüber Aufschluss geben. So geben sie uns Einblicke in das Weltbild der Fotografen und Verleger, aber auch der sammelnden Person.

In den Sammlermagazinen wurden immer wieder Versuche unternommen, nicht nur die Welt sondern auch die Sammelnden selbst zu kategorisieren. Es wurde eine Unterscheidung zwischen Sport und Wissenschaft gemacht, die echten Sammelnden von Aufbewahrenden und bloßen Liebhaber*innen unterschieden oder auch zwischen dem Mann, der vermeintlich ordnend, erkenntnisgewinnend sammele und der Frau, die nur mit ästhetischen Aspekten beschäftigt sei. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass etwa die Hälfte der Sammelnden Frauen waren, die durch dieses erschwingliche und wissensvermehrende Hobby ein Stück Emanzipation erfuhren.

 Zunächst sammelte man die Postkarten in kleinen Pressen oder Sammelkästen, die bald von Sammelalben abgelöst wurden. Im Jahre 1897 existierten im Deutschen Reich allein 60 Fabriken, die Sammelalben für Postkarten herstellten. Diese reichten von schlichten Designs bis hin zu thematisch ausgeschmückten Einbänden.

Postkartensammelalbum von Christoph Jasper, 1903, Vorderseite. SHMH – Altonaer Museum Inv.Nr.: 2016-120,52

Museale Erforschung der Bildpostkarte 

In den 1960er Jahren gab es eine erneute Sammelwelle, die auf musealer und wissenschaftlicher Ebene einherging mit der Entdeckung und Beforschung der Postkarte als kulturhistorische Primärquelle. Leider wurde die Aussagekraft bestückter Alben in der Vergangenheit oft nicht wertgeschätzt, so dass die Karten entnommen und so aus ihrem Kontext gerissen wurden. So enthält das Postkartenarchiv des Altonaer Museums auch zahlreiche leere Sammelalben. Die bestückten Alben aus unserer Sammlung hingegen reichen thematisch von Heimatbildern, über Urlaubsbilder aus dem Harz oder Ägypten, Scherzkarten, Grußkarten, Kunstkarten bis hin zu Propagandakarten und Feldpostkarten.

Den größten Teil der Postkarten in in unserem Postkartenarchiv machen jedoch einzelne Postkarten aus, die geographisch und thematisch geordnet archiviert sind. Häufig lassen sich über Postkartenbestände aus familiären Zusammenhängen ganze Familiengeschichten rekonstruieren. Daher werden diese Bestände bei der digitalen Erschließung zusammen bearbeitet, um Bezüge und Kontexte herleiten zu können.

Eine große Rolle bei der Erschließung spielen auch die Texte auf den Postkarten, die transkribiert werden und für verschiedenste kulturhistorische Fragestellungen ausgewertet werden können.

Beispielhafte Sammelalben 

Stellvertretend für den Fundus an Postkarten im Postkartenarchiv des Altonaer Museums sollen hier zwei sehr unterschiedliche Postkartenalben vorgestellt werden. Die beiden Sammelalben machen deutlich, wie das Sammeln von Postkarten zur Identifikation mit dem “Eigenen” und die Abgrenzung vom “Anderen” beitragen konnte.