März 2017
Von Kerstin Petermann
Johann Friedrich Struensee war Arzt in Altona und wollte im 18. Jahrhundert das dänische Königreich revolutionieren. Ein riskantes Vorhaben mit fatalen Folgen.
„Das schreckliche und grausame Urteil über Struensee und Brandt ist nunmehr doch vollzogen worden.“
Das schrieb im Mai 1772 Gotthold Ephraim Lessing an seine Frau Eva König über das tragische Ende des Altonaer Stadtphysikus Johann Friedrich Struensee. Struensee war als Kabinettsminister zum mächtigsten Mann im Königreich Dänemark aufgestiegen und nach einem Scheinprozess in Kopenhagen hingerichtet worden. Über die „Affäre Struensee“, den Liebhaber der Königin Caroline Mathilde und bürgerlichen Arzt, der es gewagt hatte, politische Macht zu ergreifen und die von Gott gegebene Ordnung der Stände in Frage zu stellen, berichteten Schmähschriften und Zeitungen in ganz Europa. So auch in Hamburg und Altona.
Ein fortschrittlicher Arzt
Vielen Lesern in Altona war Johann Friedrich Struensee bekannt. 1757 war er als Zwanzigjähriger seinem Vater Adam Struensee, der als Pastor an der Hauptkirche St. Trinitatis wirkte, von Halle nach Altona gefolgt und zum Physikus der Stadt und der umliegenden Herrschaft Pinneberg ernannt worden. Struensee zählte zu den fortschrittlichen Ärzten seiner Zeit, deren Tätigkeit von den Ideen der Aufklärung geprägt war. Regelmäßig lud er zu Tischgesellschaften in sein Haus in der Kleinen Papagoyenstraße ein. Der jüdische Arzt Hartog Gerson und der in Hamburg tätige Arzt Johann Albert Heinrich Reimarus gehörten zu den Gästen, die in ungezwungener Runde diskutierten. Altona erlebte als zweitgrößte Stadt im Gesamtstaat Dänemark im 18. Jahrhundert eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und ein von religiöser Toleranz geprägtes geistiges Klima. Jedoch erkannte Struensee als Armenarzt auch die gesellschaftlichen Missstände seiner Zeit: Die Verelendung weiter Teile der Bevölkerung aufgrund von Armut, mangelnder Bildung und Krankheit, die er durch Reformen im Gesundheitswesen beheben wollte. Er setzte sich für die Pockenimpfung ein, bediente sich moderner Heilmethoden zur Bekämpfung von Krankheiten und sorgte für bessere Zustände in den Waisen- und Krankenhäusern. In eigenen Hospitalräumen im Altonaer Zuchthaus an der Kleinen Mühlenstraße, der heutigen Struenseestraße, richtete er eine Entbindungsstation für ledige Mütter ein.
Am Hofe des dänischen Königs
Auch holsteinische Adelsfamilien suchten die Dienste des versierten Arztes; mit den Adligen und Aufklärern Enevold Brandt, einem Hofmann aus dänischem Beamtenadel, und Graf Schack Carl zu Rantzau war er freundschaftlich verbunden. Durch Rantzaus Vermittlung erhielt Struensee 1768 eine neue Stellung als Reisearzt und ein Jahr später als Leibarzt des psychisch labilen dänischen Königs. Am dänischen Hof in Kopenhagen stieg er in kürzester Zeit zum mächtigsten Mann auf, der großen Einfluss auf Christian VII. hatte und eine Liebesbeziehung mit der jungen Königin Caroline Mathilde, einer Schwester des englischen Königs Georg III., einging. Nach der erfolgreichen Pockenimpfung des Thronfolgers Frederik festigte sich Struensees Vertrauensstellung am Hof.
Königin Caroline Mathilde (Dänemark)
Caroline Mathilde von Hannover (* 22. Juli 1751; † 10. Mai 1775) war eine englische Prinzessin und die spätere Ehefrau des dänischen Königs Christian VII. (1749-1808). Sie ging mit Johann Friedrich Struensee (1737-1772), dem Leibarzt ihres Mannes, eine Affäre ein. Nach der Hinrichtung Struensees 1772 wurde Caroline Mathilde nach Celle verbannt. Ihre Kinder Friedrich VI. (1768-1839) und die gemeinsame Tochter mit Struensee, Louise Auguste (1771-1843), blieben in Kopenhagen.
Gefährliche Gerüchte
Im September 1770 übernahm er nach und nach die Regierungsgewalt, indem er das Geheime Staatsconseil als Regierungsinstanz auflöste, sich zum Kabinettsminister ernennen ließ und dem Adel seine angestammten Rechte nahm. Bis zu seiner Verhaftung in der Nacht vom 16. auf den 17. Januar 1772 erließ er allein 1800 Kabinettsorder, um Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung im Sinne der Aufklärung zu reformieren. Er hob die Pressezensur auf, schuf Rechtssicherheit und gleiches Recht für alle vor Gericht, verbesserte die medizinische Versorgung in Kopenhagen und auf dem Lande, ordnete die Staatsfinanzen neu, löste die königliche Garde auf und kämpfte gegen Luxus und Verschwendung am Hof, ohne auf bestehende Verhältnisse Rücksicht zu nehmen oder bedacht zu handeln. In allen Schichten regte sich daher erbitterter Widerstand, der von seinen ärgsten Gegnern, der Königinwitwe Juliane Marie, ihrem Sohn Friedrich und dessen Sekretär Ove Guldberg angeführt wurde. Geschickt streute man Gerüchte, Struensee sei machtgierig und plane einen Anschlag gegen den König. Struensee gestand nach seiner Verhaftung das Liebesverhältnis zur Königin und wurde wegen Majestätsbeleidigung zum Tode verurteilt. Königin Caroline Mathilde wurde nach Celle verbannt. Ihre Kinder Frederik und die gemeinsame Tochter mit Struensee, Louise Augusta, blieben in Kopenhagen. Struensees Anliegen „nützlich zu werden […] zum Vortheil der Gesellschaft“ war gescheitert, die meisten seiner Reformen wurden nach seinem Tod wieder zurückgenommen.