Talkrunde über das kulturelle Erbe von OZ
Und was bleibt nun von OZ? Unter dem Titel „Wie die Vergänglichkeit bewahren?“ haben die Ausstellungsmacher von „EINE STADT WIRD BUNT“ zu einer Talkrunde im Großen Hörsaal des Museums für Hamburgische Geschichte geladen. Am 13. April um 19.30 Uhr kommen hier fünf Menschen zu Wort, die sich mit dem kulturellen Erbe von OZ beschäftigen: die Kulturwissenschaftlerin Kathleen Göttsche, der Fotograf Lars Klingenberg, der Galerist Alex Heimkind, der Journalist und Buchautor Sven Stillich und der Verleger und Herausgeber Theo Bruns. Der Journalist und Autor KP Flügel moderiert das Gespräch.
Teilnehmende:
Kathleen Göttsche hat mit Lars Klingenberg den Text „Sprühen=Leben“ für den Bild- und Textband „EINE STADT WIRD BUNT” (2021) publiziert. Ihre Analyse über das Bildwerk OZ veranschaulicht die Kreativität und Öffentlichkeit seiner originären Entstehung in Hamburg. Dem voraus gehen bildwissenschaftliche Studien, unter anderem beforscht Kathleen Göttsche mit ihrer Masterarbeit im Studiengang Kulturwissenschaften das Phänomen OZ und dessen Allgegenwart, posthum. Ihrer Auffassung nach sind für die Entwicklung des Forschungsbereichs in gleicher Weise kuratorisch-wissenschaftliche Praxis sowie das Verhalten des Kollektivs – im Besonderen persönliche Überzeugungen – maßgebende Faktoren zur Bewertung des Umgangs mit dem Werknachlass.
Lars Klingenberg, geboren in Aachen, arbeitet seit den 2000er Jahren fotografisch und publizistisch über Walter Josef Fischer. 2009 erschien in Zusammenarbeit mit der Vicious Galerie in Hamburg der erste Bildband über OZ, „Es lebe der Sprühling“. 2015 kuratierte er die posthume Ausstellungsbeteiligung des Künstlers „Fuck the Norm“ anlässlich des Graffiti- und Street-Art-Festivals in der Bundeskunsthalle Bonn. Klingenberg hat mit Kathleen Göttsche den Text „Sprühen=Leben“ für den Bild- und Textband „EINE STADT WIRD BUNT” (2021) publiziert. Neben der publizistischen und kuratorischen Arbeit baut Lars Klingenberg ein Fotoarchiv mit eigenen Fotografien und Fotos weiterer Akteure auf. Bei dem Talk am 13. April wird er erstmalig eine zusammenfassende Darstellung aller Werkreihen von Walter Josef Fischer öffentlich präsentieren.
Alex Heimkind. Die Galerie OZM und der Graffiti-Künstler OZ sind seit vielen Jahren untrennbar verbunden. Als Galerist von OZ setzt Alex Heimkind alles daran, das Erbe seines Freundes zu bewahren und seine Werke einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ihre Zusammenarbeit hat zu mehreren Ausstellungen geführt, wobei außergewöhnliche Leinwandbreiten entstanden sind. In der einzigartigen Galerie OZM HAMMERBROOKLYN können Besucher die Werke von OZ und anderen Graffiti-Künstlern sowie die Künstliche Intelligenz OZMAI erleben.
Sven Stillich ist Journalist und Buchautor. Für das Buch „Free OZ – Street Art zwischen Revolte, Repression und Kommerz“ hat er ein Porträt über Walter Fischer geschrieben. Er ist Mitinitiator des Internet-Projekts city-of-oz.hamburg, das er weiterhin pflegt. Und er kümmert sich mit anderen um das Grab von Walter Fischer. Seine Lieblingswahrheit von OZ: „Manche Wände haben es bitter nötig.“
Theo Bruns ist Verleger und Ko-Autor des Buches „Free OZ – Street Art zwischen Revolte, Repression und Kommerz“. OZ ist für ihn „ein Partisan der Farbe gegen das Einerlei der kapitalistischen Stadt. Gegen die zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raums reklamierte OZ ein Recht auf Stadt für alle und setzte es in einem selbstbewussten Akt der Aneignung und Umgestaltung in die Tat um.“
Moderation:
KP Flügel beschäftigt sich seit den 8oer Jahren journalistisch mit ehemals alternativen Kulturansätzen von Punk über Situationismus bis Street-Art – zuerst für die Göttinger Stadtillustrierte, die taz und den NDR – heute für Radio FSK Hamburg und den Wahrschauer. Er ist Mitherausgeber der Bücher „Bomb it, Miss.Tic“ im Verlag Edition Nautilus und „Free OZ – Street Art zwischen Revolte, Repression und Kommerz“ im Verlag Assoziation A. Außerdem unterrichtet er Presse- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem an Kunstschulen und organisiert kulturelle Events wie Lesungen und Konzerte.
Die Veranstaltung findet in folgenden Sprachen statt
- Deutsch
Treffpunkt
Stiftung Historische Museen Hamburg
Museum für Hamburgische Geschichte
Holstenwall 24
20355 Hamburg
Telefon +49 40 428 132 100
E-Mail info@mhg.shmh.de
U-Bahn 3 St. Pauli
Bus 112 Museum für Hamburgische Geschichte
Das Gesprächsformat wird gefördert von der Stiftung wissensART, die damit einen Beitrag leisten möchte, Kunst und Zeitgeschichte im Zusammenhang erfahrbar zu machen.
Wie die Vergänglichkeit bewahren?
KP Flügel im Gespräch mit Akteur*innen, die sich mit dem kulturellen Erbe Walter Josef Fischers beschäftigen.
Die Presse nannte ihn „Hamburgs schlimmsten Sprüher“. Die Polizei hat mal versucht, seine Graffitis zu zählen – und kam bereits im Jahr 1995 auf 100.000 Stück. Kenner schätzen, dass die Zahl der Namen, Kürzel, Symbole, Wandbilder und Aphorismen, die er im Hamburger Stadtbild hinterließ, weitaus höher ist. Fest steht: Walter Josef Fischer alias „OZ“ war ab Anfang der 1990er Jahre über zwei Jahrzehnte hinweg der bekannteste – und berüchtigtste – Sprüher der Stadt.
Als er 204 beim Sprühen tödlich verunglückte, hinterließ er im Hamburger Stadtraum ein Gesamtwerk, das die Nachwelt bis heute beschäftigt. Eine Herausforderung besteht allein darin, den tatsächlichen Umfang von Fischers Schaffen zu beziffern – ein Projekt, dem sich die Website city-of-oz.hamburg angenommen hat, auf der man Werke, die man gesichtet hat, auf einem interaktiven Stadtplan lokalisieren kann.
Eine weitere Aufgabe ist es, das gewaltige – und in hohem Maße unübersichtliche – Werk zu systematisieren: Welche Zeichen und Techniken nutzte Fischer? Was wollte er mit all den Tags, Smileys, Kringeln oder Farbflächen zum Ausdruck bringen? Noch zu Lebzeiten Fischers wurde damit begonnen, dessen Werk zu typologisieren, um die Grundlage für eine systematische Betrachtung zu schaffen.
Viel zu spät wurde auch die Debatte über die künstlerische Bedeutung der Arbeit von „OZ“ angestoßen. Fischer, der von den Medien immer wieder als „Schmierfink“ tituliert wurde, verbüßte acht Jahre Haft für seine Taten, war immer wieder Hass und Hetze ausgesetzt und wurde 1999 von Mitarbeitern der S-Bahn-Wache schwer misshandelt.
Die Stigmatisierung war für Fischer, der als uneheliches Kind geboren, von der Mutter abgeschoben und in einem katholischen Heim aufgewachsen war, eine zentrale Lebenserfahrung. Und so betrachtete er seinen farbenfrohen Kampf gegen das Betongrau als Akt des Widerstands gegen die Verdrängungsstrategien einer Gesellschaft, in der saubere Fassaden in erster Linie dazu dienen, das kranke und verkommene Innere zu verschleiern.
Im Kampf der Behörden gegen seine Person sah Walter Josef Fischer den Versuch, Werte und Normen aufrechtzuerhalten, die den Faschismus möglich gemacht hatten – und ihn immer wieder aufs Neue möglich machten. Und tatsächlich wurde er mit der Zeit zu einer Projektionsfläche, an der die Gesellschaft ihre autoritären Impulse gegen „das Andere“ ausleben konnte.