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Hamburger Familien Die Sievekings

März 2017
Text: Annkathrin Behn

Mit Leidenschaft und Engagement 

Sie waren Kaufleute, Diplomaten, Wohltäter und haben die Stadt entscheidend mitgeprägt: die Sievekings. 

 Der Name Sieveking ist sicherlich vielen Hamburgern, nicht zuletzt aufgrund seiner Präsenz im Straßenbild der Stadt, ein fester Begriff. Die Familie hinter diesem Namen gehört seit mehreren Jahrhunderten zu den wohl bekanntesten der Hansestadt. Im Laufe der Zeit brachte sie einflussreiche Juristen, Diplomaten und Senatoren sowie bedeutende Förderer und Wohltäter hervor, die auf ihren Gebieten und in ihren Epochen wichtige Beiträge zur Entwicklung der Stadt Hamburg leisteten.

Sie begannen als Tuchhändler 

Eines dieser herausragenden Familienmitglieder war Georg Heinrich Sieveking (1751-1799). Als Kind der Aufklärung war er vielseitig interessiert und sowohl erfolgreicher Kaufmann als auch geselliger Philanthrop. Sein Vater Peter Niclaes Sieveking (1718-1763) war mit nur sechzehn Jahren aus seinem Heimatort Versmold in Westfalen nach Hamburg gekommen, hatte sich als Tuchhändler niedergelassen und so den hamburgischen Zweig der Familie Sieveking begründet. Georg Heinrich war der älteste von drei Brüdern und ging 1766 in die kaufmännische Lehre bei Senator Caspar Voght d.Ä. (1707-1781). Dort war er so erfolgreich, dass sein Lehrmeister ihm und seinem eigenen Sohn, dem späteren Baron Caspar von Voght (1752-1839), jeweils einen Anteil an seinem Handelshaus überließ, das ab 1788 auch offiziell „Voght & Sieveking“ hieß. Neben der kaufmännischen Zusammenarbeit verband Georg Heinrich und den etwas jüngeren Caspar zeitlebens auch privat eine enge Freundschaft, die sich besonders auf gemeinsame künstlerische Interessen stützte. Zusammen mit ihrem Freund, dem Kaufmann Johann Michael Hudtwalcker (1747-1818), und anderen Kameraden setzten sie sich intensiv mit der Literatur und Philosophie ihrer Zeit auseinander. Neben seinem Engagement in Lesezirkeln, der Freimaurerei und anderen Vereinen wurde auch Georg Heinrichs eigenes Heim zu einem Ort bedeutsamer gesellschaftlicher Zusammenkünfte. Gemeinsam mit zwei Freunden hatte er 1793 ein Landhaus in Neumühlen erworben, in dem er regelmäßig zu festlichen Versammlungen mit zahlreichen teilweise prominenten Gästen einlud, darunter berühmte Zeitgenossen wie Wilhelm von Humboldt und Friedrich Gottlieb Klopstock.

Georg Heinrich Sieveking, Radierung koloriert, 1796, Pierre Michelle Alix
Elbufer bei Neumühlen- Landhaus Sieveking, Radierung, um 1800, Jes Bundsen 

Bankrott durch die Handelskrise 

Sein künstlerisches Interesse sowie seine Freude an geselligem Austausch traten auch bei seinem Sohn Karl Sieveking (1787-1847) hervor. Nachdem Georg Heinrich 1799 überraschend früh mit nur 47 Jahren verstorben und auch das familieneigene Handelshaus infolge einer schweren Handelskrise bald nicht mehr zu halten war, schlug Karl auf Wunsch seiner Mutter Johanna Margaretha, geb. Reimarus (1760-1832) eine wissenschaftliche Laufbahn ein. Als studierter Jurist wurde er 1820 Senatssyndikus in Hamburg und beschäftigte sich in dieser Funktion vorwiegend mit den auswärtigen Beziehungen der Hansestadt. 1823 heiratete Karl Caroline Henriette de Chapeaurouge (1787-1858), deren Vater Jean Dauphin de Chapeaurouge (1770-1827) ein Landhaus im damals noch vor den Toren der Stadt liegenden Hamm besaß. Nach seinem Tode erbten Karl und Caroline den Landsitz, auf dem durch den bekannten Hamburger Architekten Alexis de Chateauneuf (1799-1853) nur wenige Jahre zuvor ein repräsentatives neues Landhaus errichtet worden war. Der „Hammer Hof“ entwickelte sich rasch zu einem Ort ausgelassener Geselligkeit, ganz nach dem Vorbild des 1811 versteigerten väterlichen Anwesens in Neumühlen. Neben dem eigenen Vergnügen engagierte sich Karl Sieveking auch für soziale Projekte. In Horn gehörte ihm ein altes Grundstück mit Bauernkate, das er auf Betreiben des Theologen und Pädagogen Johann Hinrich Wichern (1808-1881) zu einer Bildungsanstalt für arme Kinder aus Hamburger Elendsvierteln umbauen und erweitern ließ. Das 1833 eröffnete Raue Haus existiert noch immer und widmet sich heute der Bildungs- und Betreuungsarbeit.

Eine Schule nur für arme Mädchen 

Der Wohltätigkeit widmete sich auch Karls Cousine Amalie Sieveking (1794-1859). Zeitlebens engagierte sich die früh zur Vollwaise gewordene Tochter des Hamburger Senators Heinrich Christian Sieveking (1752-1809) für Arme, Kranke und Hilfsbedürftige. 1816 gründete Amalie eine Schule für arme Mädchen, 1832 den Weiblichen Verein für Armen- und Krankenpflege sowie 1840 das Amalienstift mit angeschlossenem Krankenhaus. Das erste, nach Plänen von Alexis de Chateauneuf errichtete Stiftsgebäude in St. Georg existiert bis heute, ebenso wie die 1976 umbenannte Amalie-Sieveking-Stiftung. Durch die Bereitstellung von günstigem Wohnraum für ältere Menschen in Verbindung mit beständiger Unterstützung handelt die Stiftung noch immer nach dem von Amalie Sieveking gelebten Leitbild der Nächstenliebe. Neben sozialem ist auch politisches Engagement eng mit der Familie Sieveking verbunden. Karls jüngerer Bruder Friedrich Sieveking (1798-1872) amtierte in den 1860er Jahren als Erster Bürgermeister der Stadt Hamburg, nachdem er bereits der Militärbehörde und dem Obergerichts vorgestanden hatte. Sein Sohn und Karls Neffe Ernst Friedrich Sieveking (1836-1909) übernahm nach einer kurzen Senatorentätigkeit 1879 die erste Präsidentschaft des neuen hanseatischen Oberlandesgerichts. Dieses hatte seinen Sitz zunächst in der Dammtor- und anschließend in der Welckerstraße. 1912 wurde das heutige Gerichtgebäude am nach Ernst Friedrich benannten Sievekingplatz fertiggestellt, der den Umzug nicht mehr miterlebte. Er war ferner über vierzig Jahre mit Olga Wilhelmine Amsinck (1842-1922) aus der angesehenen Hamburger Kaufmannsfamilie verheiratet.

Ernst Friedrich Sieveking, Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts, mit seiner Frau Olga Wilhelmine, geb. Amsinck, sowie den Kindern Oscar und Alice

Vernetzt mit den Eliten 

Karls Urenkel Kurt Sieveking (1897-1986) fungierte von 1953 bis 1957 als Erster Bürgermeister Hamburgs, nachdem er ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert hatte und ab 1936 in der namhaften Hamburger Privatbank M.M. Warburg & CO tätig war. Angesichts der nationalsozialistischen Regierung sah sich die jüdische Familie Warburg zur Flucht aus Deutschland gezwungen und musste ihr Unternehmen der „Arisierung“ preisgeben. Kurt wurde daraufhin Generalbevollmächtigter und konnte das Bankhaus für die Rückkehr der Warburgs in den 1950er Jahren erhalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst Gesandter der neuen Bundesrepublik Deutschland in Stockholm, bevor er 1953 als Nachfolger von Max Brauer Erster Bürgermeister wurde. Auch Kurt Sieveking hatte 1925 mit Ellen Ruperti (1901-1993) eine Tochter aus dem Hamburger Großbürgertum geheiratet.

Zahlreiche faszinierende Persönlichkeiten hat die Familie Sieveking im Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht, die ihrerseits eng mit führenden Köpfen der Hamburger Gesellschaft vernetzt und fest in das politische, kulturelle sowie geistige Leben ihrer Zeit eingebunden waren. Spuren ihres Wirkens lassen sich noch heute an vielen Orten in der Stadt entdecken.

Wappen am Familiengrab der Sievekings auf dem Nienstedtener Friedhof mit dem Wahlspruch „Per Aspera ad Astra“ (lat. für „Durch Schwierigkeiten zu den Sternen“)