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Damals im Hafen: Die Schuten

März 2019

Sogenannte Schuten oder Kastenschuten, antriebslose Holzboote, waren seit der Entwicklung des modernen Hamburger Hafens ab 1860 ein wichtiges Transport- und Verteilungsmittel: Sie übernahmen wasserseitig die Abfertigung der Frachtschiffe, die damals noch nicht festmachen konnten. Das Leben an Bord und die Arbeit des Ewerführers zeigt die Hamburger Kastenschute H11347 von 1913 im Hafenmuseum Hamburg.

Aufgabe der Schuten 

1895 gab es 25.000 Hafenarbeiter in Hamburg, davon ca. 3.300 Ewerführer auf über 2.000 Schuten. Die Schuten dienten als Transportmittel zwischen den Seeschiffen und den Kaispeichern. Der Ewerführer hatte die Aufgabe, die Ware richtig verstaut und gewartet (abgedeckt) zu transportieren. Da die Schute keine Motoren hatten, musste der Ewerführer sie mit reiner Körperkraft bewegen: Er lenkte die Schute mit Staken, schiebend oder ziehend, durch die Fleete. Neben dem Staken war auch das Peeken eine Fortbewegungsart. Mit sogenannten Peekhaken zog er die Schute von Hand in den Fleeten der Speicherstadt oder an den Kaimauern entlang und bewegte sie so auch auf das Schiff zu, das es zu entladen galt. Farbe und Form der Peekhaken zeigte die jeweilige Ewerführerei an, also den Betrieb, zu dem die Schute gehörte. Der Ewerführer übernahm die Fracht in seine Schute oder gab sie ab, indem er sie an das Ladegeschirr anschlug.

Schuten in der Speicherstadt. Foto: Archiv Harry Braun 
Verladung von Tabakrollen, 1939. Foto: SHMH

Mit dem Ausbau des Hafens 1862 um den Sandtorkai veränderte sich die Bedeutung der Schuten. Da die Schiffe an den Kais anlegen konnten und von dort be- und entladen wurden, benutzte man Schuten nur noch zur Beschleunigung des Umschlags von der Wasserseite aus. Als Hamburg 1888 den Freihafen bekam, mussten die Waren unter Zollverschluss transportiert werden. Es wurden die Kastenschuten entwickelt, die die 7-fache Ladefähigkeit der herkömmlichen Schuten hatten. Die Schutenbesatzung wurde von 2-3 auf einen Mann reduziert, und der Schutenführer musste auf der Schute wohnen, um die Sicherheit des Zollverschlusses zu gewährleisten.

Die Arbeit auf der Schute 

Die Schuten wurden verbunden, vertäut und befestigt mit Tauen aus Kokosnussfasern. Auch die Schnürleinen waren aus diesem Material, das selbst bei Kälte und Nässe sehr biegsam war. Der innere Holzboden der Schute war immer trocken oder wurde es sehr schnell wieder. In den Schuten wurden sowohl Stück- als auch Schüttgut wie Getreide transportiert, das der Ewerführer selbst stauen und löschen musste. Das Fassungsvermögen einer Schute lag bei 100 bis 300 Tonnen. Auch Palmenkerne und Kobra (getrocknete Kokosnüsse) wurden transportiert. Heute werden diese Rohstoffe im Ausfuhrland verarbeitet und kommen dann in Konserven (Palmenkerne) oder Kanistern (Palmöl) im Hafen an. In eine solche Schute mit hölzernem Innenboden konnte man auch 30 Tonnen Eisenkisten setzen. Zur Lastverteilung wurde unter schweren Kolli Stauholz ausgelegt. Säcke mit Kaffee oder Kakao wogen 80 kg, Pfeffer 90 kg, auch gab es Expeller mit über 110 kg. Wenn in den Schuten Säcke gestaut wurden, mussten für den Zoll zu Kontrollzwecken zwischen den Säcken Gänge freigehalten werden, immer zwischen zwei Sackreihen ein “Zolltier”.

Foto: Wera Wecker
Die Ausstellung in der Schute zeigt die Einrichtung und das historische Geschirr an Bord. Foto: Wera Wecker

Für das Bewegen von Holzkisten gab es einen Handhaken. Wenn Getreide geladen wurde und Ungeziefer mit an Bord gekommen war, befahl der Warenkontrolleur, die Klapperschute vollkommen abzudichten und zuzukleben. Alle verließen für drei Tage das Boot, während die Ladung durch die Schädlingsbekämpfung begast wurde. Für Tabaktransporte gab es gesonderte Schuten, die nichts anderes transportierten.

Die Verantwortung für die Ladung lag eigentlich beim Konnossement-Inhaber, aber der Ewerführer hatte das Kommand an Bord. So kam es oft vor, dass der Vize auf dem Schiff trotz drohendem Regen weiter beladen lassen wollte, der Ewerführer sich aber weigerte, und vorsorglich die Lukendeckel schloss. Der Verein der Schuteninhaber und Schutenvermieter hatte sich um einen Versicherungsschutz bemüht, aber die Prämien waren zu hoch. Waren die Schuten zu voll geladen, bestand die Gefahr, dass Elbwasser in die Schute schwappte; waren die Schuten zu “mager” geladen, verdiente man weniger.


„Wenn Du ne gute Schwester hast, kannst Du ne gute Schicht fahren.“ 

Vom Leben in einem schwimmenden Zuhause: Peter Goldmann verbrachte seine Kindheit auf der Schute des Vaters – ohne schwimmen zu können. Als einer von vielen Ehrenamtlichen im Hafenmuseum Hamburg berichtet er den Besuchern vom Alltag zwischen Auftragsfahrten und Hausaufgaben, Verladepraktiken und unfreiwilligen Spaziergängen durch den Hafen.


Wohnen auf der Schute 

Die Schuten hatten alle einen Wohnraum, das sogenannte Logies. Viele der Ewerführer kamen aus Hamburgs Umland und fuhren nur am Wochenende nach Hause. Sie machten gerne Überstunden und bewachten gleichzeitig die Schute und die Ladung. Insbesondere nach den beiden Weltkriegen diente das Logies oft auch als Ersatzwohnraum. Hier lebten damals Familien auf engstem Raum in einer kleinen Kajüte im Bug. Dort gab es schmale Betten, einen Tisch, einen Kohleofen und eine Petroleumlampe. Wasser musste von den Schuppen oder vom Hydrant geholt werden.

Der Ewerführer teilte die Koje mit seiner Frau. Für Kleinkinder wurde eine Schlafkiste über der Koje angebracht. Größere Kinder schliefen auf der Bank, die mit einem Polster belegt war. Foto: Wera Wecker

Die Toilette war die Pütz, alles ging über Bord. Hinten in der Schute gab es die Plicht, einen Vorratsraum. Darin wurden auch ergatterte Lebensmittel und Heizmaterial gelagert, von denen die Ewerführer gut leben konnten oder die im Tauschhandel eingesetzt wurden.  Lag die Schute an den Pfählen zum Ent- oder Beladen der Seeschiffe, so gab es für die Familie keine Möglichkeit zum Landgang. Mit dem wachsenden Wohlstand und der Schaffung neuen Wohnraums zogen die Familien in den 50er Jahren wieder in Wohnungen. Die Männer kamen am Wochenende entweder nach Hause oder schoben Zusatzschichten, um mehr Geld zu verdienen.

Museumsschute H 11347

Die ursprünglich offene, stählerne Schute mit Holzboden wurde auf der Werft von I.P.W. Lütgens an der Bille für das eigene Ewerführerei-Unternehmen gebaut und am 02.12.1913 in Dienst gestellt. 1925 erfolgte der Umbau zur gedeckten Schute, d.h. die Vorpiek wurde durch ein Schott abgetrennt, die breite Treppe in den offenen Laderaum entfiel. Dadurch entstand ein Logis. Der neue Laderaum erhielt Süll- und Lukenabdeckungen mit Scherbalken und Holzlukendeckeln. 1956 wurde der Holzboden durch einen stählernen Boden in einer gemischten Niet- und Zahlschweißbauweise ersetzt. Ein Jahre später wechselten die Farbmarkierungen an den Stäben, die Firma I.P.W. Lütgens wurde von der Firma Carl Robert Eckelmann übernommen. Noch bis 1979 war das Fahrzeug im Stückgutumschlag eingesetzt. Die letzten Jahre wurde sie als schwimmender Lagerraum genutzt. Seit 1988 ist die Schutz im Besitz des Museums der Arbeit. Mit viel ehrenamtlicher Hilfe und Unterstützung aus der Hafenwirtschaft wurde sie in den folgenden Jahren wieder instand gesetzt und als Museumsobjekt gesichert. Die Schute wird schwimmend und betriebsfähig erhalten. Sie ist vermessen und auch weiterhin zugelassen mit einem gültigen Hafenfahrzeugattest.

Ewerführer stakt durch die Fleete der Speicherstadt, um 1930. Foto: Archiv Harry Braun

Ewerführer – ein renommierter Beruf im Hafen 

Die Fachleute, die auf den Schuten tätig waren, wurden Ewerführer genannt. Ewerführer war einer der ältesten Lehrberufe des Hamburger Hafens. Ewerführer zu sein war ein angesehener und hochqualifizierter Beruf, Ewerführer beherrschten alle im Hafen anfallenden Arbeiten. Viele auch heute noch im Hafen tätige Inspektoren und Organisatoren haben ihr Rüstzeug einmal als Ewerführer erworben. Als Betriebsform hatten sich im Laufe der Zeit sogenannte Ewerführerei-Betriebe herausgebildet, ursprünglich im Wesentlichen als Einzelunternehmen organisiert, später vielfach als große Gesellschaften.

Der Name leitet sich vom Bootstyp des Ewers ab, der im Stromgebiet Elbe, früher „Elv“ genannt, eingesetzt wurde. Da es aber viele Schuten gab, die keine Ewer waren, gestaltete sich die Berufsbezeichnung der Kapitäne als etwas komplizierter: Schutenfahrer wurden als Ewerführer bezeichnet, Schiffsführer der Ewer als Schiffer.


“Wie seiht dat ut? Hast du Tied?” 

Vom „Bürohengst“ bei einer Ewerführerei zum lukrativen Aushilfsjob an Bord: Gerd Metscher, einer von vielen Ehrenamtlichen im Hafenmuseum Hamburg, über seine erste Schicht auf dem Ewer – mit kleinem Malheur.


Das Ende der Schuten 

In den 20er Jahren wurden  ca. 70% des aus- und eingehenden Warenverkehrs über Schuten abgewickelt, der Rest direkt über die Schuppen und Kaianlagen. Die Entwicklung des modernen Hafens und die wachsenden Ansprüche an Kapazitäten und Effizienz machte eine bauliche Modifizierung der Schuten notwendig. Insbesondere nach dem 2. Weltkrieg wurden wichtige Änderungen vorgenommen: Die steigenden Werte der Ladungen führten zur gedeckten Schute, der Klapperdeckelschute mit Holzlukendeckeln und Persenningabdeckung. Die offenen Schuten wurden weiterhin als “Bullen” bezeichnet. Außerdem wurden die Holzböden durch stählerne ersetzt. Später gab es Roll- oder Schiebelukensysteme. Nun konnte bei Regen die Schute leichter geschlossen werden. Erst später gab es dann Rolldächer aus dem leichten Aluminium.

Zum Standard wurde die rechteckige Typschute, die auch als Schubeinheiten zusammengekoppelt werden konnte. Anfang der 60er Jahre lag der Anteil der über Schuten verladenen Waren noch bei 30%.  Die Containerisierung stoppte die Weiterentwicklung. Das konventionelle Hafenumschlagswesen hatte sich überholt, Schuten wurden nicht länger benötigt und ein ganzer Berufsstand starb aus.

Sandtorhafen in den 1930er Jahren. Foto: Hafenmuseum Hamburg