Mai 2019
Von Kirsten Lindemann
Ende des 19. Jahrhunderts erlebt die Welt einen Reiseboom: Eisenbahn und Ozeandampfer ermöglichen eine neue Mobilität, durch die die Menschen nun in ungeahnter Schnelligkeit den Globus erkunden können. Es ist die Geburtsstunde der Grandhotels – moderne Paläste für Wirtschaftsbosse, Showstars und gekrönte Häupter. Einige der weltweit berühmtesten stehen in Hamburg.
Reisen war lange ein Privileg – und meist Mittel zum Zweck, um politische oder wirtschaftliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Damals machen sich Kaiser, Könige und Fürsten mit großen Entouragen auf den Weg durch ihre Herrschaftsgebiete, um nach dem Rechten zu sehen und Bündnisse zu schmieden. Kaufleute handeln über Landesgrenzen hinaus und begleiten ihre Waren bis zum Empfänger – nicht zuletzt, um dort die Bezahlung abzuwickeln. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch setzt die Ausbreitung des Schienennetzes in Kontinentaleuropa ein und revolutioniert das Reisen. Die neue Mobilität beflügelt die Wirtschaft und macht das Reisen beinahe zur Notwendigkeit: Die seit 1851 stattfindenden internationalen Weltausstellungen, bei denen die Nationen ihre Leistungsfähigkeit demonstrieren und technische Neuheiten vorstellen, sind wichtige Termine, zu denen Handelsvertreter aus der ganzen Welt anreisen. Vom „kurzen“ Dienstweg kann zwar noch nicht die Rede sein, aber die Eisenbahn macht ihn zumindest komfortabler.
Zudem ist das Reisen nicht mehr nur dem Adel vorbehalten, auch das gehobene Bürgertum, mit den entsprechen-den Mitteln ausgestattet, kommt nun in den Genuss des Reisens. Die Bahn bringt ihre Fahrgäste in die Berge, ans Meer oder in die schönsten Städte – ein Luxus und damit erstmals reiner Selbstzweck. Dieser Paradigmenwechsel markiert die Anfänge des „Fremdenverkehrs“ und des Städtetourismus. Der Hamburger Reeder Albert Ballin hat 1891 die geniale Idee, seine Linienschiffe in den kalten Monaten nicht im Hafen zu belassen, wo sie nur Geld kosten, sondern für sogenannte Gesellschafts- oder Vergnügungsreisen in exotische Zielgebiete einzusetzen. Er begründet damit die moderne Kreuzschifffahrt.
Geburtsstunde der Grandhotels
Wer reist, muss auswärts übernachten. Und so rüsten sich die infrastrukturell und touristisch relevanten Orte für diese finanzkräftige Klientel mit einem neuen Unterkunftstypus. In den Metropolen, die ohnehin gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Knotenpunkte sind, entstehen die ersten Grandhotels: New York, Paris, London, Singapur. Die Prototypen orientieren sich an der europäischen Palastarchitektur und bieten damit auch dem Bürgertum die Möglichkeit, sich wahrhaft königlich zu fühlen: ein Schloss für eine Nacht.
Was ist ein Grandhotel?
Zwar hat jedes Grandhotel die Höchstauszeichnung von fünf Sternen inne, aber nicht jedes 5-Sterne-Haus ist ein Grandhotel. Eine Definition gibt es dafür nicht. Das Grand steht von Beginn an nicht nur für Größe, sondern auch für Grandezza, eine spezifische Eleganz und Atmosphäre, ein Spiritus loci. Ein Grandhotel lebt von seiner Weitläufigkeit: Dem amerikanischen Vorbild folgend, ist ein Grandhotel im 19. Jahrhundert nicht nur ein Ort zum Übernachten, sondern auch zum Verweilen, für Gäste wie Einheimische gleichermaßen. Neben mehreren Restaurants und einem Café mit eigener Konditorei gibt es weitere Gesellschaftsräume zur Unterhaltung der Gäste: Spielezimmer und Bibliotheken, Herrenzimmer und Bars, Fest- und Tanzsäle, Innenhöfe und Wintergärten. Natürlich muss auch das Interieur einem bestimmten Niveau entsprechen mit erlesenen Hölzern, Stoffen und Textilien, aber auch mit Technik: Die Devise „Luxus durch Technik“ gilt im industriellen Zeitalter natürlich gerade auch in den Grandhotels. So sind fließendes Wasser, Ventilation und später die Telefonanschlüsse ein Novum und der damals höchste technologische Standard. Dazu kommt ein exquisites kulinarisches Angebot, dessen Speisen und Getränke nicht nur sehr hochwertig, sondern auch sehr vielfältig und stets exotisch sind. Überhaupt schwebt über allem ein Höchstmaß an Internationalität, das sich in den Sprachkenntnissen des Personals ebenso ausdrückt wie in der Herkunft der Gäste. Grandhotels sind in dieser Epoche das Zentrum des gesellschaftlichen Lebens einer Stadt und werden zum Drehkreuz für die Machthaber der Gesellschaft: die Könige und Generäle, die Industriellen und Gangster, aber auch die Künstler, die hier in ihrem Schaffen maßgeblich inspiriert wurden.
Hamburg wird zum Reiseziel
Den Standortvorteil rund um die Binnenalster hat die Hotelerie schon früh erkannt, schließlich flanieren dort alle, von der Aristokratie bis zum Bürgertum. So säumen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts etliche Hotels die Wege und ihre Namen unterstreichen Hamburgs Anspruch als Tor zur Welt: Hôtel de l’Europe und St. Petersbourg oder König von England und Russischer Kaiser. Als jedoch der Große Brand im Jahr 1842 die halbe Altstadt zerstört, gehen zahlreiche Hotels in Flammen auf und die Hotellandschaft in der Hafenstadt verändert sich. Die exzeptionellen Bedingungen für Hotels und Gasthäuser bleiben: So bietet der Hafen selbst eine für Touristen und Schaulustige beeindruckende Silhouette von Segel-, Dampfschiffen, Werften und Kränen. Man macht Ausflüge nach Blankenese oder fährt mit dem Dampfschiff nach Cuxhaven, Helgoland und zu den übrigen Nordseebädern. Es gibt in der Stadt exquisite Einkaufsmöglichkeiten und natürlich die berüchtigte Amüsiermeile Reeperbahn in der westlichen Vorstadt St. Pauli. Hamburg hatte das perfekte Setting für die Grandhotellerie.
Neben einer besonderen Lage ist es aber immer auch die ganz besondere Handschrift des Gastgebers, die ein Grandhotel legendär macht. Die Grandhotels der ersten Stunde haben einen Urvater, der mit seiner spezifischen Idee die Gastgeberschaft des Hauses begründet. Sie wird von den Eigentümerfamilien über Jahrzehnte fortgeführt: Die Familien Marriott, Steigenberger, Hilton und Kempinski sind Namensgeber der heute weltweit bekannten Hotelketten. Auch in Hamburg sind es besondere Charaktere, die die Grandhotels aus der Taufe heben, wenn auch keine hanseatischen. Das Gastgewerbe ist eben schon damals in den Händen fachkompetenter Schweizer und unermüdlicher Schwaben.
Das Vier Jahreszeiten
Am 24. Februar 1897 ersteigert Gastronom Friedrich Haerlin für 420.100 Mark das Hotel zu den Vier Jahreszeiten. Ein lang gehegter Traum des gebürtigen Schwaben, den er sich an seinem 40. Geburtstag erfüllt – angeblich inspiriert durch das schwäbische Sprichwort „Mit Vierzig wird man schlau“. Sein Plan ist, lediglich ein paar neue Möbel und Gardinen anzuschaffen und zu eröffnen. Die Hamburger Behörden je-doch verlangen eine Grundrenovierung und der Selfmade-Hotelier muss weitere 100.000 Mark aufbringen, die sich schon bald als sinnvolle Investition erweisen. Seine ursprüngliche Form behält das Hotel nur kurz, denn das schmale Ursprungsgebäude wächst mit dem Hinzukauf weiterer zehn Nachbarhäuser zwischen 1903 und 1924 zu dem gigantischen Komplex, der heute wie ein durchgängiger Prachtbaus wirkt: 1912 weiht Friedrich Haerlin die heutige Wohnhalle als Gesellschaftshalle mit Alsterblick ein, 1918 folgt die Eröffnung des Restaurant Haerlin und 1925 wird das erste Gericht im Art-decó-Ambiente des Jahreszeiten Grills serviert. Zu Beginn der dreißiger Jahre lässt Haerlin das gesamte Gebäude mit einem kupfernen Satteldach versehen, das heute leuchtend grün oxidiert erstrahlt. In dieser Zeit entstehen auch das Café Condi im Biedermeierstil und der Jahreszeiten Keller – heute das Restaurant Nikkei Nine – sowie die Hotelgarage für Automobile. Mit schwäbischem Fleiß führt er sein Haus an die Spitze der internationalen Hotellerie und gewinnt in kurzer Zeit sowohl den internationalen Jetset als auch die Hanseaten für sich. Doch natürlich bleibt das Haus nicht ohne Konkurrenz.
Das Atlantic
Eine Berliner Hotelgesellschaft öffnet am 2. Mai 1909 die Türen eines legendären Hotels, drei Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt, wie man stolz verkündet. 14 Millionen Goldmark hat der Prachtbau mit seinen 250 Zimmern, 350 Betten und 100 Badezimmern gekostet. Die Gästeliste des Eröffnungsdinners zeigt, dass dieses Hotel den Anspruch erhob, gesellschaftlicher Mittelpunkt der Hansestadt zu sein: Reichskanzler, Erster Bürgermeister, Generäle, Admiräle, Großindustrielle und Reeder, alle sind eingeladen. Und sie folgen der Einladung um „das weiße Schloss an der Alster“ einzuweihen, wie es bis heute genannt wird. Sechs Tage nach Eröffnung ist das Atlantic-Hotel bereits ausgebucht: Hamburg Süd und die Hamburg-Amerika-Linie bringen 240 neue Erste-Klasse-Passagiere. Albert Ballin, damals Direktor der HAPAG, ist maßgeblich an der Gründung des Hotels beteiligt, und macht es zur exponierten An- und Abfahrtsstelle für Passagiere der Transatlantik-Luxusliner. Ab den zwanziger Jahren unterhält die HAPAG im Hotelgebäude sogar ein eigenes Reisebüro.
Die Geldgeber wissen darum, dass ein wahres Grandhotel eine Seele braucht und so landen sie ihren größten Coup: Franz Pfordte, eine kulinarische Koryphäe seiner Zeit, war Zugpferd und Mit-Namensgeber des Hauses. Seinen Namen wollen sie in großen Lettern auf dem Hoteldach an-bringen. Der Gastronom hatte schon das Deutsche Restaurant auf der Pariser Weltausstellung geleitet und sich mit seinem Restaurant am Rathausmarkt lange vor Eröffnung des Atlantic einen Namen gemacht, unter anderem mit dem legendären Satz, es ginge beim Essen nicht ums Sattwerden, sondern ums Delektieren. In anderen Worten: Der Mann war Erfinder der kleinen Portionen. Außerdem etablierte er das Derby-Dinner, das zu den glanzvollsten Veranstaltungen für die feine Hamburger Gesellschaft wird, ist mit Oberbau-direktor Fritz Schumacher befreundet und gilt als Gentleman und schlagfertiges Unikum – das perfekte „one face to the customer“.
Internationalität demonstriert neben einer überdimensionalen Weltkugel auf dem Dach auch der prachtvolle Wintergarten mit Palmen und anderen exotischen Pflanzen. Ein alter Teppich, noch heute im Hotel zu finden, verweist augen-zwinkernd auf die politische Lage zur Zeit der Eröffnung – eine große Weltkugel auf blauem Hintergrund lässt den aufmerksamen Betrachter ein ganzes Land vermissen: Großbritannien. Ein Fehler mit Ansage – denn mitten im deutsch-britischen Wettrüsten will man den Gegner zumindest bei der Innenausstattung ignorieren. Ab den zwanziger Jahren ist man dann aber hoch erfreut über Besuche des englischen Hochadels im Atlantic. Sehr hoch: Als der Bruder des englischen Thronfolgers nach einem ausgedehnten St. Pauli-Besuch aus der Badewanne heraus mit seinem Vater in Großbritannien telefonieren will, zahlt sich die Erfahrung des damaligen Direktors Geyer im Umgang mit royalen Gästen aus: Das Telefon im Staatsapartment ist mit einem extra langen Kabel ausgestattet und die Hamburger Oberpostdirektion informiert, für den Aufenthalts der Prinzen eine Leitung für Auslandsgespräche freizuhalten – schließlich dauert der Verbindungsaufbau damals noch mehrere Stunden.
Der Reichshof
1910 eröffnet in allerbester Lage und vis-à-vis zum Hauptbahnhof der Reichshof von Emil Langer (1864–1928). Zu diesem Zeitpunkt ist das zu Ehren Kaiser Wilhelms II. benannte Hotel mit 410 Betten das größte Hotel Deutschlands und wird bald eines der führenden Grandhotels Europas. Es gibt Telefone auf jedem Zimmer, eine hochmoderne Autogarage, hydraulische Fahrstühle und 50 Zimmer mit Privatbad. Ein Großteil der opulenten Ausstattung mit Säulen aus italienischem Marmor, aufwendiger Holzvertäfelung und schillern-den Kupferelementen ist bis heute – teilweise restauriert – zu bewundern. Langer war zuvor lange Zeit Küchendirektor auf den Ocean-Linern der Reederei HAPAG und adaptiert diesen Stil nun an Land. So ist das Interior Design des hauseigenen Restaurants dem Speisesaal des Luxusliners „Cap Polonio“ nachempfunden, die Holzvertäfelung kommt von einem Kieler Schiffsausstatter. Auch die Gesellschaftsräume von Tanzcafé bis Teeraum bilden das Unterhaltungsangebot an Bord ab. Mit einer Branchenneuheit schlägt der Reichshof eine innovative, wenn auch untypische Richtung ein: Der Einheitspreis von 3,50 Mark pro Person für eine Übernachtung mit Frühstück legt den Grundstein für den Massentourismus. Bereits im ersten Jahr verzeichnet das Haus 100.000 Gäste.
“Die Drehtür dreht sich, und was zwischen Ankunft und Abreise erlebt wird, das ist nichts Ganzes. Vieles sieht aus wie Zufall und ist doch Gesetz.” Vicky Baum, Menschen im Hotel, 1929
Grandhotels in der Krise
Die Weltkriege gehen auch an den Grandhotels nicht spurlos vorüber: Vier-Jahreszeiten-Gründer Friedrich Haerlin verliert zwei Söhne in Flandern und führt mit dem dritten, Fritz, die Geschäfte ab 1918 als Familienbetrieb weiter. Die Unruhen der Novemberrevolution 1918 (das Vier Jahreszeiten wurde gar von den Rotgardisten vom Dach des Alsterpavillons beschossen), die Inflation und viele leere Betten durch das Ausbleiben des internationalen Publikums machen allen Häusern schwer zu schaffen. Wer noch Geld hat, geht damit nach der Revolution nicht mehr hausieren. Erst Mitte der zwanziger Jahre erholt sich die Hotellerie langsam, den Hiesigen ist wieder nach Feiern zumute, die Kreuzfahrt boomt und Staatsgäste wie der japanische Kronprinz und späteren Kaiser Hirohito beehren Hamburg. Es ist der Geist der Rolling Twenties, der auch über Hamburg schwebt. Und so eröffnet der Reichshof die M&M Bar – heute nennt sich die Art-déco-Bar 1910, nach dem Gründungsjahr des Reichshofs.
Doch dann, der nächste Schlag: Die Machtergreifung der Nationalsozialisten bedeutet eine ungewisse Zukunft, für die Emil Langer seinen Reichshof ab Mitte der dreißiger Jahre rüstet. Er kauft Ländereien im Umland, um das Hotel mit Lebensmitteln selbst versorgen zu können. Ein Relikt aus dieser Zeit ist auch ein Tiefbrunnen, der den Gästen Trinkwasser aus 160 Meter Tiefe sichert. Zwischen 1930 und 1939 trinkt auch Adolf Hitler davon, er selbst ist in dieser Zeit Stammgast des Hauses. Das Atlantic hingegen wird in dieser Zeit trotz knapper Versorgungslage noch bevorzugt beliefert, weil auch 1941 noch internationales Publikum im Haus verweilt, das mit dem Regime sympathisiert oder sich zumindest nicht offen abwendet. Im ersten Kriegsjahr bietet das Haus ein Silvestermenü für zwölf Reichsmark an, zuzüglich eines Bedienungsgeldes von 1,20 Reichsmark. Man tischt als Vorspeise Hummer kalt mit Mayonnaise und Känguruhschwanzsuppe auf, im Hauptgang Hasenbraten oder Puter mit Beilagen zur Auswahl und als Dessert Vanilleeis und Erdbeeren. Lediglich der Zusatz „Markenabgabe: 20 gr. Butter und 50 gr. Brotkarte“ enttarnt die Umstände außerhalb der Hotelmauern.
Im späteren Verlauf des Krieges wächst die Sorge, das exponierte Gebäude könne Ziel eines Luftangriffs werden. Ab 1942 tragen die Speisekarten daher den Zusatz: „Die Möglichkeit eines Fliegeralarms zwingt uns, unsere verehrten Gäste um sofortige Bezahlung zu bitten.“ Sobald die Alarmsirenen heulen, müssen die Gäste das Restaurant verlassen und einen der nahe gelegenen Luftschutzkeller aufsuchen oder sich in die Luftschutzräume des Hotels flüchten. Hier finden zwischen 60 und 100 Gäste Platz – nach vorheriger Reservierung. Das Servicepersonal indes sollte die Speisen warmhalten. Und tatsächlich, das Hotel hält dem Bombenhagel stand. Im Verlauf des Jahres wird es aber schließlich doch getroffen: Ein Dachstuhlbrand und ein angeschlagenes Rohrnetz richten so viel Schaden an, dass der Hotelbetrieb eingestellt werden muss, denn mit schmutzigem Alsterwasser will sich natürlich kein Gast waschen. Nun dienen die Räume als Wohnraum für obdachlose Familien und als Aushilfsstelle zur Massenverpflegung.
Das Vier Jahreszeiten wird während des Zweiten Weltkrieges nur leicht beschädigt. Nachdem die Familie bereits nach dem Ersten Weltkrieg eine ausgesprochene Findigkeit an den Tag legte, das Vermögen zu sichern und die Krisen-jahre finanziell unbeschadet zu überstehen, finden Vater und Sohn auch nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kreative Mittel und Wege, ihr Hab und Gut zu schützen. Die Bestände aus dem erlesenen Weinkeller lassen sie kurzerhand einmauern, ebenso wie das Tafelsilber des Hotels. Nach dem Kriegsende diente das Vier Jahreszeiten als Hauptquartier der britischen 7. Panzerdivision. Am 1. März 1950 erfolgt dann endlich die Freigabe zur Wiedereröffnung.
Diskretion als Hochgebot
Verschwiegenheit gehört in Grandhotels zu den obersten Geboten – zumal Wohlstand und Benehmen oft nicht Hand in Hand gehen. Je prominenter der Gast, desto exaltierter die Wünsche. Glücklicherweise ist Diskretion eine urhanseatische Tugend, und so sind die besten Geschichten erst sehr spät (und oft wahrscheinlich nie) nach außen gedrungen: Liebschaften, Geheimnisse, Eskapaden, Schweiß und Tränen – nicht umsonst füllen unzählige Bücher, Filme und Serien genau diese Leerstelle. Bilder von gefeierten Ankünften, prunkvollen Festen, staatstragenden Unterschriften oder Filmsets lassen erahnen, was die Wände der Hamburger Grandhotels im Laufe der Jahrzehnte gesehen und gehört haben. Bis heute sind das Vier Jahreszeiten und das Atlantic von zentraler Bedeutung für die Stadtikonografie. Touristisch relevante Wahrzeichen nicht nur wegen der Bettenkapazitäten, sondern wegen ihrer bewegten Historie.
“Das Hotel ist wie eine Bühne: Man erlebt den großen Auftritt und den betretenen Abgang.” (Udo Lindenberg)
Und dennoch: Längst sind die meisten von ihnen keine privatgeführten Inseln mehr, sondern liegen in den Händen von Betreiberkonsortien. Der Aufstieg der Ketten ab Mitte des 20. Jahrhunderts macht eben auch vor den Grandhotels nicht Halt, die Nachfahren der Gründer erster Stunde entscheiden sich nach und nach zum Verkauf: Ingeborg Langer verkauft 1989 den Reichshof an die Maritim Gruppe. Als diese wiederum 2014 die dringend notwendige Sanierung nicht finanzieren will, stellt sie den Betrieb ein. Die Event-Hotelgruppe übernimmt und wieder eröffnet das Haus 2015 nach einem 30-Millionen-Euro-Umbau. Ebenfalls 1989 endet die Ära der Haerlins im Vier Jahreszeiten. Der japanische Bauunternehmer Hiroyoshi Aoki kauft das Gebäude und veräußert es 1997 an die Hotelgruppe Raffles, dessen Haupthaus das legendäre Raffles Hotel in Singapur ist – selbst eines der ersten und berühmtesten Grandhotels weltweit. Die verschwisterte Fairmont-Gruppe betreibt das Hotel Vier Jahreszeiten seit dem Jahr 2007, in Besitz ist es seit 2013 aber bei einer privaten Vermögensverwaltung. Das Atlantic wiederum gehört seit 1957 zur Kempinski-Hotelgruppe und 2014 erwirbt der Besitzer der Asklepios Klinikgruppe, Bernard große Broermann, das Atlantic und kündigt an, das Haus ab 2021 unter der Autograph Collection der Marriot-Hotels firmieren zu lassen. Das Interieur jedoch soll bleiben – und damit ist auch Dauergast Udo Lindenberg gemeint, der seit den neunziger Jahren nicht mehr ausgecheckt hat. Die Hotel-Lobby sei für ihn wie eine Bühne, sagte Lindenberg einmal, man erlebe dort den großen Auftritt und den betretenen Abgang.
Der neue Luxus
Die großen Ketten also dominieren heute weltweit die Hotellandschaft und bieten ihren Gästen verlässlich identischen Standard – wo auch immer auf der Landkarte sie sich befinden. Ihren Gastgeber kennen die wenigsten Besucher persönlich, wohl auch, weil sich die Halbwertzeit von Hoteldirektoren von einstmals Jahrzehnten auf wenige Jahre oder gar nur Monate reduziert hat.
Diesem Trend zum Trotz treiben zwei Hamburger im ausgehenden 20. Jahrhundert die Entwicklung der Hotellerie über Hamburgs Grenzen hinaus mit innovativen Konzepten voran: Eugen Block, Erfinder der Steakhaus-Kette Block House, eröffnet 1985 am Dammtorbahnhof ein eigenes Hotel. Mit griechischem Marmor und brasilianischem Granit, Spiegelsaal und eigener Hymne. Das Konzept des Hotels wich deutlich vom Gedanken des Grandhotels ab: Es ist zur Stadt hin geöffnet, um Schwellenängste abzubauen. Statt der ursprünglichen Gesellschaftsräume, die mit allerlei Etikette verbunden sind, sind die Hamburger eingeladen, über den gastronomischen Hotel-Boulevard zu flanieren. Und doch ist da ein Stück der Grandhotel-Tradition: 21 Jahre nach Eröffnung erweitert Eugen Block das Haus für rund 100 Millionen Euro. Für mehr Grandezza. Seither führt das Haus den Namen Grand Elysée.
Damals, in den 2000ern, hat sich die Bedürfnislage bereits vollkommen verändert und das Luxusgeschäft erfährt im Laufe der Zeit einen entscheidenden Paradigmenwechsel: Die klassischen Statussymbole hatten als Ausdruck eines verschwenderischen Materialismus ausgedient. Vom Haben zum Sein, vom Käuflichen zum Unbezahlbaren – dieser Trend schuf völlig andere Beherbergungskonzepte. Das beste Hotel war nicht mehr automatisch das teuerste, vielmehr konnten nun die besonderen Unterkünfte beim luxusverwöhnten Klientel punkten: die kleinen, die abgelegenen, die puristischen oder die besonders ausgefallenen. Baumhäuser, Iglus, Klöster – sogar Privatwohnungen. In dieser Atmosphäre schuf Kai Hollmann das 25hours-Konzept: vom Zeitgeist inspirierte Designhotels, jedes Haus wie ein eigener Concept Store. In der einen Stadt findet sich der 25hours-Gast im Urwald wieder, in einer anderen in der Galaxis. Während das Vier Jahreszeiten über die Jahrhunderte zunächst auf über 14.000 handbeschriebenen Karteikarten und später im Computer die Sonderwünsche und Eigenheiten der Gäste dokumentiert, gibt es im 25hours keine Concierges mehr – die besten Tippgeber und Türöffner sind hier die Locals selbst. Auf sie stürzen sich die Gäste, um das authentische Leben der jeweiligen Stadt kennenzulernen.
Eine der nächsten großen Hoteleröffnungen ist das Pierdrei in der HafenCity. Das Gemeinschaftsprojekt des 25hours-Hotelliers Hollmann, der Betreiber des Miniaturwunderlands und des Theatermoguls Norbert Aust besitzt einen Campingplatz in sieben Metern Höhe, einen Racker Room mit Kletterwand, eine Märchenhöhle und einen Live-Bühne für bis zu 100 Personen – alles Bestandteil des Konzepts. Alter und neuer Hedonismus haben offensichtlich nicht viel gemeinsam, koexisiteren durch die vielen Hotels aber wunderbar. Was sie alle eint: den Gast wunschlos glücklich zu machen. Der Anspruch der 25hours-Macher lautet, die Gäste mögen „Spaß, Genuss und immer etwas zu erzählen“ haben. Dieses Versprechen hätten die Grandhotels sicher zu jeder Zeit genauso gegeben.