Im Interview erzählt Wilfried Weinke, Kurator der Max Halberstadt-Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte, wie und warum er dem zu Unrecht vergessenen Hamburger Fotografen ein würdiges Andenken in dessen Heimatstadt verschaffen will.
Interview: Matthias Seeberg
Herr Weinke, ein wesentliches Ziel Ihrer Ausstellung ist es, überhaupt wieder an den Fotografen Max Halberstadt zu erinnern. Wie konnte es passieren, dass der Schöpfer des bis heute maßgeblichen Porträtfotos von Sigmund Freud fast vollständig in Vergessenheit geraten ist?
„In Vergessenheit geraten“ klingt so harmlos. Gewiss, Dinge, aber auch Menschen geraten in Vergessenheit. Die Nationalsozialisten wollten Menschen, die Erinnerung an sie und ihre Namen auslöschen. Nach 1945 trugen aber auch Fotohistoriker ihren Anteil dazu bei, dass bestimmte Namen, insbesondere von Fotografen jüdischer Herkunft, in Vergessenheit gerieten. Ein aktiver Prozess, der sich leider bis in unsere Gegenwart fortsetzt.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach das Schaffen von Max Halberstadt aus? Was macht Halberstadt Ihrer Meinung nach zu „einer künstlerisch begabten Persönlichkeit“, wie im Ausstellungstitel zitiert wird?
Dieses Zitat stammt aus der Hamburger Zeitschrift Photofreund, einer Halbmonatsschrift für Freunde der Photographie, die Max Halberstadt im November 1920 ein Sonderheft widmete. Zu dem Zeitpunkt konnte Halberstadt erst auf 13 Jahre beruflicher Tätigkeit als Fotograf zurückblicken, war aber schon für seine Arbeiten auch auf internationalen Fotoausstellungen ausgezeichnet worden. Schon damals würdigte der Photofreund die unterschiedlichen Facetten seiner Arbeit als Porträt und als Landschaftsfotograf sowie als Fotograf von Kindern. All dies – aber auch seine innovativen Collagen – präsentieren wir in der Ausstellung.
Daneben finden sich in Halberstadts Werk auch zahlreiche Hamburger Stadtansichten. Was erfahren wir in diesen Fotografien über die Stadt, was wir so vielleicht noch nicht gesehen haben?
Wir kennen nicht den gesamten Bestand des Nachlasses von Max Halberstadt. Die Corona-Pandemie verhinderte Reisen zu seinen Enkeln in den USA und in England. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass der größte Teil der Fotografien, die Halberstadt in Hamburg erstellt hat, durch seine Emigration nach Südafrika verschollen sind. Gleichwohl präsentieren wir bestechende Fotografien von der Hamburger Innenstadt bei Nacht, Ansichten aus dem Hamburger Hafen, vor allem aber atmosphärisch dichte Aufnahmen vom Altonaer Fischmarkt und dem Fischverkauf an der Wasserkante.
Halberstadt hatte enge Verbindungen zur jüdischen Gemeinde, hat viel für sie fotografiert. Welche Spuren jüdischen Lebens können wir aus seinen Bildern rekonstruieren?
Von besonderem Interesse bleibt eine undatierte Fotoserie vom Jüdischen Friedhof in Hamburg-Altona, vermutlich eine Auftragsarbeit. Zudem ist gewiss, dass viele Familien aus dem jüdischen Bürgertum sein Atelier aufsuchten, um ihre Kinder von ihm fotografieren zu lassen. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten konnte er wegen seiner jüdischen Herkunft nicht mehr für die Tagespresse arbeiten und seine Fotografien nur noch in jüdischen Periodika veröffentlichen. Halberstadt war verwandtschaftlich mit den traditionsreichen Hamburger Familien Bernays und Carlebach verbunden, ließ sich 1923 auch in der Neuen Dammtor-Synagoge trauen und war Mitglied einer jüdischen Loge. Wie stark seine Bindungen ans Judentum waren, muss dennoch unbeantwortet bleiben.
Halberstadt ist am 30. Dezember 1940 an den Strapazen seiner Flucht vor der Verfolgung durch das NS Regime im Exil in Johannesburg gestorben. Wie ist es gelungen, seinen Nachlass zu bewahren und in einer solchen Breite in der Ausstellung zu zeigen?
Es ist dies zuerst ein Verdienst seiner Witwe Bertha und seiner Tochter Eva in Johannesburg, die Medaillen, Fotoalben, Visitenkarten, Dokumente und signierte Fotografien von Max Halberstadt bewahrt haben. Später erhielten die Enkel diese Erinnerungsstücke, deren historischer Wert immens ist. Ohne die freundschaftliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihnen wäre diese Ausstellung nicht möglich, zu unserer gemeinsamen Freude ein nicht nur geografischer Brückenschlag.
Max Halberstadts Geschichte ist facettenreich und von vielen typischen Aspekten der 1920er- und 1930erJahre geprägt. Wie übersetzt man diese Komplexität in die Gestaltung einer Ausstellung?
Zuallererst braucht es einen ideenreichen Gestalter, den ich in Uwe Franzen vom Atelier Handwerk gefunden habe. Mit ihm ist eine gemeinsame kreative Umsetzung des recherchierten Materials von Fotos, Dokumenten, Büchern und Zeitschriften in eine inszenierte Ausstellung möglich. Interaktive AV-Medien bieten zusätzliches Blättern in den präsentierten historischen Fotoalben. Um nicht zu viel zu verraten: Besucher von klassischen Fotoausstellungen müssen nicht auf die Aura des Originals verzichten. Doch die Ausstellung bietet mehr: die Rekonstruktion eines vielseitigen Fotografen-Lebens.
Welches Objekt in der Ausstellung ist für Sie persönlich das spannendste?
Wo soll ich anfangen? Es gibt mehrere Objekte, die mich begeistern: Besondere Qualität besitzt das aus London entliehene Autochrom, ein farbiges Selbstporträt Halberstadts. Die Medaillen, die ihm schon vor 1914 für seine fotografische Arbeit verliehen worden waren. Das von Sigmund Freud signierte Freud-Porträt. Berührend ist auch die Leica-Kamera, die ihm von Kollegen zum Abschied aus Hamburg im April 1936 geschenkt wurde. Ich kann nur dazu auffordern, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.
Im Altonaer Museum war kürzlich eine Ausstellung mit den Bildern des Arbeiterfotografen Fide Struck zu sehen. Auch er war bis vor wenigen Jahren geradezu vergessen. Erleben wir gerade die Wiederentdeckung einer vergessenen Fotografen-Generation?
Lassen Sie es mich pointiert ausdrücken: Die Hamburger Fotogeschichte ist bis zum heutigen Tag unterbelichtet! Es gibt ein großes Defizit bei der Auseinandersetzung mit der Fotogeschichte der Stadt. Den Zivilisationsbruch, der mit dem Januar 1933 begann, gilt es auch bezogen auf die Vertreibung jüdischer Fotografinnen und Fotografen aus Hamburg darzustellen. Bezogen auf Max Halberstadt geht es mir darum, dem Fotografen, der bis 1936 in Hamburg lebte und arbeitete, der seine Geburtsstadt keineswegs freiwillig verließ, den ihm gebührenden Platz in der Fotogeschichte zu verschaffen.