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Hamburg Stadt am Wasser

Mai 2019
Von Dr. Maike Bruhns

Stadt Hamburg

Hamburger Künstler malten seit jeher bevorzugt Stadtansichten, Panoramen, die Hauptkirchen, die Alster, den Hafen. Bei Lokalpatrioten wie Touristen kamen die Bilder gut an und brachten Absatz. Beliebt waren bei den Sezessionisten Darstellungen der Elbe mit ihren Ufern, den Villen am Elbufer oder dem am Hang aufsteigenden Fischerort Blankenese.

Paul Kaysers »Elbblick Blankenese« (Abb. 37) lenkt den Blick vom Hang über die Fischerhäuser auf den Strom, auf dem ein Großsegler und ein Schlepper mit langer Dampfwolke fahren. Blendend weißgelbes Licht lässt die kubischen Dächer hell aufleuchten, die Fassaden und Giebel in Schattentönen verblauen. Es reflektiert auf dem Wasser und hüllt den Segler in eine Aura. Damit ordnet sich der Künstler dem Spätimpressionismus zu.

Paul Kayser, Blankeneser Elbblick, 1920, Oel auf Leinwand, Sammlung SHMH 

Denselben Blick über die Elbe erfasste Alexandra Povòrina 1917 in »Blankenese«. Er unterscheidet sich von dem Kaysers stark durch seine kubistische Prägung. Über buntfarbige Dächer und Fassaden, die mit alten Bäumen in kräftigem Grün wechseln, fällt graues Licht von bewölktem Himmel auf die Elbe, ein in Hamburg alltäglicher Anblick.

Friedrich Ahlers-Hestermanns »Dockenhuden« zeigt 1920 die umgekehrte Perspektive vom Elbufer auf den Hang mit Häusern und Bäumen. Bis auf die kahlen Bäume sind alle Naturformen kubistisch vereinfacht und abstrahiert, die Farbigkeit nach Cézanne abgestuft und komplementär ausgewogen. Das Licht fällt nicht mehr zentriert. Die drei Bilder entstanden alle um 1920, die Unterschiede sind evident. Bei Povòrina und Hestermann geht es primär um formale Aspekte, bei Kayser um Licht-Farb-Setzungen.

Alma del Banco, Alter Hafen in Cuxhaven, um 1930, Oel auf Leinwand, Sammlung SHMH

Eine weitere beliebte Szenerie war der Hafen. Hier kam vieles zusammen: der Fluss, die Schiffe, die Menschen, ihre Arbeit auf den Werften und im Güterumschlag mit Stauund Löschaktivitäten, Besucher, Touristen, Matrosen in den Kaschemmen und Uferkneipen, nicht zuletzt die mit der Schifffahrt verbundenen Mythen: Fernweh, käufliche Liebe, Abfahrt. Kaum ein Maler, der hier nicht ein Motiv fand.

Alma del Banco malte zahlreiche Hafenansichten, zum Beispiel »Alter Hafen in Cuxhaven. In dünnflüssig aquarellartiger Ölmalerei komprimierte sie mit ausgeprägten Linien die steilen Bugformen der angelandeten Schiffe, hob einzelne Details, Segel, ein Deckshaus, Poller und Duckdalben heraus, ließ Masten und Stagen in den Himmel ragen und gewann auf diese Weise eine mehr assoziierend situative Darstellung ohne echten Ortsbezug und Kontext. Arbeiter auf dem Kai werden in ihren Bewegungen in die schwingenden Formen und die luftige Atmosphäre integriert.

Rolf Nesch thematisierte in seiner »Brücken«-Serie 1931 auch die »Landungsbrücken«. Der Materialdruck widmet sich einer emotionalen Seite der Schifffahrt, dem Abschied. An der schräg aufsteigenden Pier liegen Großsegler, die Segel in phantasievollen Dreiecksformen aufgetucht. Auf dem Kai stehen drei weibliche Gestalten mit erhobenen Armen, baumähnlich festgewurzelt wie zu einer letzten Umarmung. Sie winken im Wissen, dass es wohl kein Wiedersehen geben wird. Das Klischee der schnellen Liebe und der Endgültigkeit des Seemannsabschieds ist im Sezessionsstil68 in einfachste, reduzierte Formzeichen gefasst.

Hagenbeck

Franz Breest, Panther, ohne Datum, Oel auf Leinwand, Sammlung Wendt-Bendig, Hammoor 

Große Aufmerksamkeit widmete Ruwoldt den Menschenaffen. Nach Studien bei Hagenbeck entstanden 1928 mehrere kleine Bronzeskulpturen. Wuchtig tritt der »Sich aufrichtende Orang-Utan« (Abb. 43) ins Blickfeld. Mit ausladenden Füßen steht er auf kurzen, säulenartigen Beinen, stützt sich rücklings auf einen bis zum Boden reichenden, mächtigen Arm. Den anderen hat er vor dem Körper angewinkelt in einer Geste, die zugleich Schutz und gespannte Bereitschaft signalisiert. Ruwoldt ging es um die physischen Besonderheiten des Tieres, die expressiv herausgestellten schweren Gliedmaßen, den großen hängenden Kopf mit der lang vorspringenden Nasenpartie, den sehr eng stehenden Augen unter einer niedrigen Stirn und dem breit gezogenen Maul.

Rolf Nesch füllte im Sommer 1933 mehrere Skizzenblöcke mit Tierzeichnungen. Er hatte sich einen weiteren grafischen Zyklus vorgenommen, machte Skizzen und Studien und konnte sich damit zeitweise aus dem Ohlendorff-Haus70 absetzen, das jetzt von der SA kontrolliert wurde. Die Motive waren stilistisch unverfänglich, Modellgeld wurde nicht fällig, Hagenbeck erwies sich als idealer Ort für ungestörte künstlerische Arbeit. Der Zyklus wurde wegen Neschs Emigration nach Norwegen nicht mehr realisiert, doch haben sich in zwei Hamburger Sammlungen zahlreiche Bleistiftzeichnungen aus diesem Sommer erhalten. Es sind schnell und versiert fixierte Motive der unruhigen Tiermodelle. Die Zeichnung eines »Kranichs« erfasst die Naturform nicht im Detail, sondern in vertikalen Linien, die sich in zwei Zentren bündeln, oben am Kopf und unten am Körper. Trotz weitgehender Abstraktion entstand unverkennbar das Bild eines Kranichs.

Dass in der Hamburger Kunst häufig Tiere thematisiert werden, hängt mit dem Publikumsmagneten »Hagenbecks Tierpark« zusammen. Hier zeichneten neben Künstlern auch Schüler der Kunstgewerbeschule »nach dem Leben«. Vermutlich fand Franz Breest in dieser Anlage das Modell für seinen »Panther«, den er 1919 in expressionistischem Stil malte. Die prächtige Raubkatze mit dem witternd erhobenem Kopf und den funkelnden Schlitzaugen ruht auf einem Felssockel, dessen Kanten wie der Hintergrund spitzwinklig einschnitten sind, das Raubtier kranzartig umgeben und Aggressivität ausstrahlen. In seinem Fell und Schweif schimmern blaue und grüne Lichtflecken, das Umfeld ist in warmen Blau-, Rot- und Grüntönen gehalten.

Auch der Bildhauer Hans Martin Ruwoldt fand bei Hagenbeck seine Motive; er hielt sich hier so häufig auf, dass er Spezialist für die verschiedenen Spezies wurde, etwa für Raubtiere, Affen, Vögel, Elefanten, Giraffen, Lamas. Er besaß eine besondere Affinität zu Raubkatzen. Seinem Schüler Manfred Sihle-Wissel hat er einmal folgende Begebenheit berichtet: Als er im Tierpark erstmals den schwarzen Panther sah, war er so fasziniert von dem seltenen Tier, dass er über ein Geländer kletterte, Katzenlaute ausstieß und den Panther durch das Gitter kraulte. Der zufällig hinzukommende Carl Hagenbeck warnte ihn brüllend vor der Gefährlichkeit des Tieres, beruhigte sich aber, als er sah, wie der Künstler mit ihm umging. Er schenkte ihm eine Dauerfreikarte.

Bilder vom Nachtleben

Nach dem Ersten Weltkrieg verbreitete sich eine allgemeine Vergnügungssucht. Hungrig nach Leben und nach Festen huldigten große Teile der Gesellschaft dem Tanz und der neuen Freiheit, dem Eros und der Sinnlichkeit.

Paul Hamanns Linolschnitt »Erotische Phantasie« vereint 1919 Aspekte des menschlichen Lebens wie in einem Kaleidoskop. Szenen wechseln, dem Frühlicht folgt die Nacht, der Geburt der Tod, dem traditionsverhafteten Leben die Freizügigkeit modernen Großstadtdaseins. Provozierend rückt der Künstler drei liegende Frauenakte ins Zentrum, zeigt ein kleines kopulierendes Paar sowie ein Frauenhinterteil mit Strahlenkranz.

Heinrich Steinhagens »Tanz des Lebens« (1919) ist der titelgebende Holzschnitt der Ausstellung. Stellvertretend für viele andere bringt er den großen Aufbruch nach 1918 ins Bild: Hier tanzt ein Paar voll Zuneigung, Lust und Erotik; die physische und psychische Befreiung kommt in einer expressionistischen Lichtaura zum Ausdruck.

Otto Fischer-Trachau, Mond über der Vorstadtstraße in Bahrenfeld, 1920, Sammlung SHMH
Künstlerfest Die gelbe Posaune der Sieben,1920, Curiohaus, Foto Sammlung Rüdiger Schütt, Kiel 

Tanz belebte und prägte das gesellschaftliche Leben: Martin Schwemers »Tanzpaar« von 1921 wiegt sich in heftigem Tango, Steinhagens Bauern machen, im Saalgedränge stampfend, den rauschhaften Ausbruch der Lebenslust anschaulich.

Der Ausdruckstanz, der in den 1920er Jahren eine Blütezeit erlebte, wurde auch in Hamburg weiterentwickelt. Gefördert und publiziert durch Hans W. Fischer, belebte er die Aufführungen der frühen Künstlerfeste und begeisterte das Publikum: »Zu diesem Zeitpunkt wurde der Tanz, speziell der Ausdruckstanz hamburgischer Prägung, eine wichtige künstlerische Disziplin, die den menschlichen Körper als Instrument einer freirhythmischen und gymnastischen Bewegungskultur entdeckte. Der Ausdruckstanz wurde zum Schrittmacher eines neuen Lebensgefühls, in dem man Selbstbefreiung und Erneuerung, Gemeinschaftsgeist und ernsthafte Hingabe suchte.«71 Seelische Zustände wurden in exzessiv expressiven Körperhaltungen und stark kontrollierten Hand- und Armstellungen dargestellt. Die bekanntesten Tänzerinnen der frühen Künstlerfeste waren die Schwestern Gertrud und Ursula Falke,72 Töchter des Dichters Gustav Falke, die eine eigene Tanzschule betrieben. Das Tänzerpaar Lavinia Schulz und Walter Holdt führte in Ganzkörpermasken Ausdruckstänze auf.73 Eine theoretische Grundlage lieferte der Choreograf Rudolf von Laban, seine Schülerin Mary Wigman riss das Hamburger Publikum mit ihrem »Neuen Tanz« hin. Mit dem Abflauen des Expressionismus endete auch der Hype des Ausdruckstanzes.

Das Nachtleben spielte sich in verschiedenen Vierteln der Stadt ab. Zerstreuung und Vergnügen boten verschiedene Theater, Varietés, Revuen, Tanzpaläste, Bars und Kneipen. Das Rotlichtmilieu auf St. Pauli, am Hafenrand, in den Quartieren der Stadtbohème am Gänsemarkt, am Valentinskamp, St. Anscharplatz sowie im Gängeviertel zog Besucher in Scharen an, Großstädter, Touristen, Seeleute und andere. Hier konnte man Ausländern und Exoten begegnen, Dirnen, Luden, Freiern, skurrilen und gestrandeten Existenzen, Hehlern, Klein- und Großkriminellen. Die Libertinage der käuflichen Liebe, die Typen der Stadtbohème, Exoten und sozial Verelendete boten auch Künstlern phantastische Motive. Arnold Fiedler, Paul Hamann, Erich Hartmann, Karl Kluth, Kurt Löwengard, Rolf Nesch, Tetjus Tügel und Johannes Wüsten zeichneten und malten im Milieu.

Bekanntschaften ließen sich überall schließen, der Liebe waren keine Grenzen gesetzt, ob traditionell im »Café«, wie auf Fiedlers früher Radierung von 1920, oder mit Matrosen, die Mädchen betören, wie auf seinem Holzschnitt »Matrosen im Café« (1934). Eine Dirne versichert sich »Auf der Treppe« 1931 ihres Freiers mit Harlekinhut in Neschs Radierzyklus »St. Pauli«. In ihm treten 1931 merkwürdige Existenzen auf, auch eine Reihe »Ringer«.

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Freizeit

Die fröhlichen Seiten des Lebens in der Stadt – Freizeit am Elbstrand, Sport auf Alster und Elbe, Erholung in den Ausflugslokalen, Cafés und Biergärten – boten den Malern ebenfalls immer wieder Motive.

Ivo Hauptmann, Liegender Akt, 1920, Oel auf Leinwand, Sammlung SHMH, © Harriet Hauptmann, Foto Helge Mundt

Ivo Hauptmanns »Liegender Akt« von 1920 sonnt sich an einem Strand, vielleicht auf Hiddensee, Sylt oder an der Elbe. Die schöne schlanke Liegende ist in die warmfarbige Umgebung eingebunden wie ein Stück Natur. In der punktierenden Maltechnik weist das Bild zu Hauptmanns Frühwerk zurück, als er, von Seurat und Signac beeinflusst, einer der wenigen Vertreter des Neo-Pointillismus in Deutschland war. Die zeitraubende Technik ist in seinem späteren Bild »Badende am Strand von Blankenese« aufgegeben zugunsten einer lichten Darstellung mit vereinfachten Figuren vor einem großen Elbpanorama.

In Dockenhuden spielt Lore Feldberg-Ebers Szene »Blankeneser Strand«. Sie lebte dort mit ihrer Familie und malte immer wieder die Elblandschaft und Badeszenen. Das Bild zeigt einen gerade wenig besuchten Strand in wechselndem Licht, den Fluss, die Uferpromenade mit den alten Bäumen, das Publikum. Zum Badevergnügen kamen die Menschen damals im Sommer an die Elbe. Feldbergs Kinder spielten hier, bis jüdischen Familien der Aufenthalt untersagt wurde. Französische Vorbilder bestimmen das warmfarbige Kolorit des harmonischen Strandidylls.

Paul Kayser war Segler, er malte »Yachten auf der Elbe«, die bei wenig Wind dahingleiten oder schon abgetakelt sind. Im Gegenlicht zeichnen sich die Schattenkonturen auf dem leicht bewegten Wasser ab. Seine Bootsbilder auf Alster und Elbe dokumentieren den speziellen Sport, der besonders in Hamburg allgemein geübt und geschätzt wurde.

Hektischer geht es bei Rolf Neschs »Ruderregatta auf der Alster« zu, wo drei Boote vor dem Ruderclub ins Ziel schießen. Die Mannschaften legen sich ins Zeug, beugen sich beim Durchziehen der Ruder so schräg nach hinten, dass sie dem Hintermann fast auf den Schoß fallen. Dazu weht eine frische Brise, die Flaggen knattern geradezu hörbar im Wind. Auf der Pier beobachten Funktionäre und eine Reihe Zuschauer den Einlauf. Ein farbenfrohes Kolorit verstärkt die Bewegung im Bild und komprimiert die Anstrengung des Leistungssports zu einer dynamischen Szene.

In dem »Kaffeegarten an der Elbe« unterhalten sich Damen und Kinder in städtischer Kleidung an Gartentischen, unter ihnen scharren Hühner auf dem Boden. Gretchen Wohlwill malte 1928 die fröhliche Ausflugsszene. Zwischen zwei seitlichen Baumstämmen schimmert im Hintergrund der Fluss im hellen Sonnenschein. Lichtflecken fallen auf die Gruppe und den Boden, verleihen der Szene sommerliche Wärme und Luftigkeit, die im vorwiegend regnerischen Hamburg zu den eher seltenen Glücksfällen zählen. »Normales« Hamburger Wetter radierte Rolf Nesch 1931 in seinem Blatt »Regen«, auf dem skurrile Gestalten mit Schirm über die Szene hasten.