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Hamburg im Rotlicht

September 2017
Von Matthias Rebaschus

Die Geschichte der Prostitution von den Anfängen bis heute. Und wie Politik und Polizei versuchen, das älteste Gewerbe der Welt in den Griff zu bekommen – ein Insider-Report. 

Freitag, 16.30 Uhr, in einem Bordell nahe des Hansaplatzes. Auf dem Tresen steht eine Schüssel mit griechischem Salat, selbstgemacht, viele Schafskäsewürfel. Darum sitzen fünf junge Frauen in bester Stimmung: Der Whirlpool ist fertig. Das bringt Kunden und macht Laune. Um 17 Uhr kommt eine Dame im Wildlederkostüm, um für einen vierstelligen Betrag eine der Frauen auf ein Wochenende mitzunehmen. Ein normales Geschäft im Bordell, man kennt sich. Um 18 Uhr begehren zwei Polizisten zur Überprüfung Einlass an der Metalltür. Sie werden freundlich abgewiesen. Ein normaler Vorgang. Doch weil Rotlicht nicht immer freundlich, sondern auch mit schwerster Kriminalität verbunden und in einer Grauzone nicht wirklich kontrollierbar ist, hat Hamburg 2011 ein Bundesgesetz initiiert, das die Prostitution, Bordelle, die Arbeit der Prostituierten und Stadtquartiere verändern wird und das jetzt in Kraft tritt. 

Ein absonderliches Theater 

Mit keiner anderen Stadt Deutschlands ist Prostitution so eng verbunden wie mit Hamburg – was jahrhundertelang zu einem absonderlichen Theater führte, wie es nur die Hamburger können, die mit Kommerz und nicht mit Königen verbundenen sind.

In den monogamen Kulturvölkern des Altertums war Prostitution ein anerkanntes Gewerbe, heute „Sündenbabel“ genannt, weil es vor 2.000 Jahren in Babylon auch religiöse Prostitution gegeben haben soll. Hamburgs heute größtes Bordell „Babylon“ an der Süderstraße erinnert daran. Bis zum heutigen „Babylon“ hat es ums Rotlicht ein Hickhack gegeben: verboten, geduldet, verachtet, erlaubt, verfolgt, legalisiert, verheimlicht … Die Prostitution wurde mit dem Aufkommen des Christentums moralisch verurteilt, später anders organisiert und mit dem Wachsen der Städte kommerzialisiert. Letzteres gelang in der Hafenstadt besonders gut; Hamburg wurde früh Bordell-Hauptstadt – auch weil deren liberale Bewohner das „Laissez-faire“ der Ämter tolerieren. Und: Weil man den Matrosen Bordelle als „Lebensbedürfnis“ zugestand.

Lackstiefel, 1980-2000. Foto: Rosamunde

Prostituierte wurden verfolgt

Die ältesten Bestimmungen finden sich im Stadtrecht von 1292, wonach die „gemenen wandelbaren frouwen“ nur in wenigen Straßen wohnen durften und eine spezielle Tracht mit einer Haube tragen mussten. 200 Jahre später konzentrierte sich das Gewerbe beim Steintor. Die Stadt errichtete „Buden“; Prostituierte wurden jedoch auch außerhalb geduldet. Mit der Ausbreitung der Syphilis im 16. Jahrhundert wurden Prostituierte dann verfolgt. Gerichtsdienern war „anbefohlen, an verdächtigen Orten Türen und Fenster zu öffnen, und diejenigen, welche bei nächtlicher Weile unbekleidet gefunden wurden, sofort gefänglich einzuziehen“, heißt es in einem zeitgenössischen Werk. Es drohte das „Werk- und Zuchthaus“ an der Binnenalster, eine Art Disziplinaranstalt. Bordellwirte stellte man an den Pranger und jagte sie aus der Stadt „für alle Zeit“. Verhindert werden konnte das Gewerbe nicht: Es wurde bald wieder geduldet. 1797 schwenkte die Meinung über Prostitution weiter um, und Hamburg schaffte die „unanständige Kleidertracht“ der Huren ab, unterwarf jedoch die „Torfträgersprache“ – ein „abscheuliches Plattsprechen“ der Dirnen – „dem strengsten Tadel“.

Schon 1890 gab es 4.000 Dirnen 

1807 legte ein Gesetz den Dirnen eine Taxe auf, legte Gesundheits- und sittenpolizeiliche Vorschriften fest und konzessionierte Bordelle. Das Gewerbe entwickelte sich rasant: 1890 soll es bis zu 4.000 Dirnen gegeben haben. Mehr als hundert Jahre galt diese spezielle „Hamburger Regelung“. Man vergab Bordell-Konzessionen, auch wenn es mit dem Strafgesetzbuch seit 1871 verboten war. Mit der Eröffnung des Hauptbahnhofes (1906) nahm die Prostitution in St. Georg zu.

1912 soll der dänische König Friedrich VIII. einem Herzinfarkt in einem Bordell erlegen sein. Neun Jahre später hob die Bürgerschaft die Organisation der Prostitution auf, auch weil Frauenvereine und die SPD protestiert hatten. Bordelle wurden geschlossen. Die Nationalsozialisten überwachten, entmündigten, ermordeten Prostituierte. Rotlicht galt als Gefahr für die „Volksgesundheit“. St. Pauli hatte früh eine Sonderstellung: Vor den Stadtmauern gelegen, entgingen im Mittelalter dort die Prostituierten dem Auspeitschen (54 Streiche mit 3 Ruten) am städtischen Pranger. Auf dem Hamburger Berg boomte das Gewerbe unter eigener Verwaltung. Seit 1833 heißt der Berg St. Pauli. Tanzwirtschaften hatten dort auch Bordell-Lizenzen, und es entstand der „Kiez“ – etwas, das es so nur in Hamburg gibt. So wie die 100 Meter lange Herbertstraße. Dort stehen nur Bordelle mit Schaufenstern, in denen die Frauen auf Männer warten. Nur diese haben Zutritt.


Werbeschild, 2005. Foto: Andreas Harms.
Herbertstrasse in Hamburg. Foto: Andreas Strasser.

Mit Aids brach das Gewerbe ein

1964 beschloss Hamburg, „Mädchenwohnheime“ zu bauen. Es entstand das offizielle „Eros-Center“ für 150 Huren, reguliert wie ein Einkaufszentrum. In den 70er Jahren veränderten die Beschaffungsprostitution Drogensüchtiger, die Mafia und organisierte Kriminalität die Strukturen. 

Mit Aids brach in den 80ern das Gewerbe ein. In den 90er Jahren folgten die Zuhälterkriege. Internet und Handy verändern das Gewerbe weiter. Was bis 1982 in Peepshows zu sehen war, ist heute im Netz verfügbar. Prostitution gibt es in ganz Hamburg – in 90 Bordellen, 250 Modellwohnungen – mit geschätzten 2.500 Prostituierten. Amtlich ist gar nichts. Auch: Was ein Bordell ist, dafür gibt es keine juristisch verbindliche Definition. Das Rotlicht lebt bis Ende 2017 in dieser Grauzone. Ab 2018 soll das neue „Prostitutionsschutzgesetz“ voll greifen. Es will die Position der Prostituierten stärken und Bordelle aus der Grauzone ziehen. Dafür entsteht ein Fachamt in Altona. 

Noch werden nur die neue Kondompflicht und der „Hurenpass“ heiß diskutiert. Der Pass ist eine Anmeldebescheinigung, gegen die Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard vergeblich kämpfte, während die Innenbehörde das befürwortet. Doch in den 38 Paragrafen steckt mehr. So kann das Gesetz den Betrieb von Bordellen in einem Quartier, wo sie unerwünscht sind, verbieten. Mögliches Paradebeispiel: der Hansaplatz. Ab 2018 muss jeder Bordellier die Polizisten einlassen. Um das zu ermöglichen, wurde im Grundgesetz die Unversehrtheit der Wohnung eingeschränkt. Über 40 „Hotels“, „gewerbliche Zimmervermietungen“ und andere Betriebe stehen dort, die eigentlich Bordelle sind.

Bordelliers mit Konzepten 

Ab 2018 gilt: „Betriebe des Prostitutionsgewerbes“ (Bordelle) müssen angemeldet werden und etliche Voraussetzungen erfüllen. Und Prostituierte haben in Bordellen dann Rechte, müssen Pausen-, Sanitärräume und Notruf haben. Bordelliers müssen ein Betriebskonzept vorlegen. Sind „damit erhebliche Nachteile oder Belästigungen für die Allgemeinheit verbunden“, wird die „Erlaubnis versagt“. Etwas verklausuliert kann weiterhin die „örtliche Lage“ einem Bordell-Konzept widersprechen. Heißt: Wenn es ein Sperrgebiet (wie am Hansaplatz) ist. 

Was wird nun passieren? Ein Großbordell, wie das Babylon, wird im Gewerbegebiet existieren können. Prostitution ist Gewerbe. Hamburg kann sich überlegen, in welchen Quartieren Rotlicht erlaubt sein kann. Das wird weiter St. Pauli sein. Und es werden sich (bundesweit) Anwälte anbieten, um den Kampf um Bordelle aufzunehmen. Hamburgs Milieu-Anwälte sind dafür wenig talentiert.