
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 änderte sich auch das wirtschaftliche und soziale Leben in der Speicherstadt. Das heutige UNESCO Welterbe zeugt von der systematischen Ausgrenzung jüdischer Geschäftsleute aus den Handelsbeziehungen sowie der Deportation tausender Männer, Frauen und Kinder über den Hannoverschen Bahnhof – auf dem heutigen Gelände der HafenCity – in Ghettos, KZs und Vernichtungslager.
Die Lage im Hafen während des NS-Regimes
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ging auch ein politischer Wandel in der Hansestadt Hamburg einher, als ein aus Mitgliedern der NSDAP bestehender Senat die Kontrolle übernahm. Dieser setzte direkt die wirtschaftspolitischen Restriktionen des Außenhandels und des Devisenverkehrs der Reichsregierung um, was für Hamburg als Handelsmetropole immense Nachteile mit sich brachte. So blieben der Hafenumschlag und zwingend damit einhergehend die Arbeitslosenzahlen in den Wirtschaftszweigen, welche eng mit dem Handel verknüpft waren und davon profitierten beziehungsweise darunter litten, weiterhin auf dem schlechten Niveau der Weltwirtschaftskrise oder sogar darunter. Eine Ausnahme bildeten einzig die Werften, in denen Kriegsschiffe gebaut wurden.
Nach der Gründung der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft mbH im Jahr 1934 fungierte jene Firma ab 1935 als alleiniger Arbeitgeber aller Hafenarbeiter und traf für alle Hafenbetriebe, die sich eher mehr als weniger gezwungen sahen, sich der GmbH unterzuordnen, sämtliche verbindlichen Anordnungen und Entscheidungen. Dadurch regierte im Hafen selbst während dieser Zeit das so genannte „Führerprinzip“ für die Organisation des Hafenbetriebs und der Arbeiterschaft. Am meisten litten darunter die Schauerleute, Kaiarbeiter und Hilfskräfte, die keine festen Verträge hatten, sondern täglich nach Bedarf neu vermittelt wurden. Für die Arbeiter bedeutete das explizit, dass vorhandene Arbeit bei stagnierenden Löhnen gleichmäßiger verteilt wurde, um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Als Konsequenz führte diese Maßnahme aber nur zu geringeren Monatslöhnen, was durch das neu ausgezahlte Urlaubsgeld und mehrere Sonderzahlungen neben dem Lohn nur schwerlich ausgeglichen werden konnte. Dies änderte sich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs auch nicht.
Die HHLA im Zeichen des Hakenkreuzes

Der Eigentümer der Speicherstadt, die Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft (HFLG) – heute als Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA, bekannt – blieb von den Machtwechseln in Führungsetagen nicht verschont. Wie gemeinhin üblich und von der Reichsführung gewollt, saßen auch im Vorstand der HFLG nun Mitglieder der NSDAP. Damit einhergehend gehörten Parteiabzeichen und Fahnen mit dem symbolträchtigen Hakenkreuz zum Alltag. Neben dem Austausch aller bisherigen Aufsichtsräte wurden zudem jegliche Betriebsräte entfernt und alle Beschäftigten entlassen, bei denen in irgendeiner Form jüdische Verwandtschaft nachweisbar war. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Führung war die Anordnung, jede Rundfunkansprache des Führers in alle Kaischuppen zu übertragen und den versammelten Belegschaften vorzuspielen.
Zusammen mit der Spedition Kühne & Nagel war die HHLA das mit der Ein- und Ausfuhr von jeglichen die Speicherstadt betreffenden Gütern beauftragte Logistikunternehmen. Sie war auch für den Transport, die Lagerung und den Verkauf der so genannten „Judenkisten“ verantwortlich und beschäftigte während des Krieges Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge.
Bombardierung und Zerstörung
Während des Zweiten Weltkriegs war Hamburg fast durchgehend Luftangriffen der alliierten Streitkräfte ausgesetzt. Daher wurden nach und nach überall in der Speicherstadt behelfsmäßige Luftschutzräume installiert. In den ersten Jahren waren die Attacken durch Fliegerbomben allerdings trotz über 300 Fliegeralarmen weitestgehend überschaubar, da andere Ziele in der Stadt angeflogen worden waren. Somit blieb die Speicherstadt bis auf einzelne Ausnahmen von größeren Zerstörungen verschont. Dies änderte sich allerdings mit den verheerenden Luftangriffen in den letzten Tagen im Juli 1943.
Die von den Alliierten mit dem Beinamen „Operation Gomorrha“ betitelte Offensive, welche die Zerstörung der Freien und Hansestadt Hamburg zum Ziel hatte, legte den Hafen und die Speicherstadt mehrere Tage unter einen apokalyptischen Feuerteppich. Während eines dieser Angriffe durch jeweils knapp 1000 britische Flugzeuge wurde der komplette Sandtorkai an der Speicherblockseite in Flammen gesetzt. Das gesamte Areal wurde nach besten Kräften evakuiert, erforderte aber unzählige Opfer.


Selbst die Zollbeamten flohen aus der Gefahrenzone, weshalb zum ersten Mal nach 55 Jahren die Zollgrenze für kurze Zeit wieder offen stand.
Nach den Tagen dieses Feuersturms waren 15 Speicherblöcke der Speicherstadt völlig zerstört. Weitere Bombenangriffe in den letzten Kriegsjahren zerstörten weitere Teile der Speicherstadt, wenn auch nicht mehr in jener Intensität. Im April 1945 erfolgte der letzte Luftschlag auf die Hansestadt, welche nach Kriegsende weitestgehend zerstört war. Ganze Stadtteile waren dem Erdboden gleich gemacht worden. Auch die Speicherstadt glich einer Ruine. Die knapp 50 Luftschläge, die dem Hafen galten, hatten knapp 70% der Speicher und 90% der Schuppen am Kai beschädigt oder sogar zerstört.
Zwangsarbeiter
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Lage am Arbeitsmarkt schlagartig. Mit dem schrittweisen Abzug der jungen Arbeiter an die Kriegsfronten herrschte plötzlich überall dort Bedarf, wo vorher ein Überangebot bestand. Besonders im Hafen und in der Speicherstadt machte sich das Fehlen der Tagelöhner massiv bemerkbar. Da dieser Mangel an Arbeitskräften durch einheimisches Personal nicht aufzufangen war, setzten die Nationalsozialisten auf das Konzept des Einsatzes von ausländischen Zwangsarbeitern, welche aus den besetzten Gebieten verschleppt wurden. Später wurden auch Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge dafür eingesetzt, welche extra dafür nach Hamburg verlegt wurden. Zu den im Hafen zu verrichtenden Arbeiten gehörten das Be- und Entladen jeglicher Transportfahrzeuge, jegliche Werft- und Raffineriearbeiten und das Wegräumen der Trümmer nach den zahlreichen Bombenangriffen.

Die im Hafen eingesetzten Zwangsarbeiter waren in Schuppen, Lagerhäusern oder eigens dafür errichteten Holzbaracken untergebracht. Es gab separate Lager für die zivilen Arbeitskräfte und die Kriegsgefangenen, die KZ-Häftlinge waren in eigens eingerichteten Außenstellen des Konzentrationslagers beherbergt. So befand sich ab Juni 1944 beispielsweise südlich der Speicherstadt ein Außenlager des KZ Auschwitz im umgebauten Getreidespeicher G am Dessauer Ufer. Die Lager waren nach Geschlechtern getrennt. Die Lebensbedingungen waren äußerst primitiv und trotz der schweren körperlichen Arbeit war die Ernährung sehr schlecht. Kontakte zur deutschen Bevölkerung waren zudem verboten und wurden bestraft.
Kriegsgefangenen drohten Tod und Zwangsarbeit, oftmals auch im Hamburger Hafen. Im Hamburger KZ Neuengamme sowie seinen Außenlagern wurden fast 100.000 Menschen inhaftiert, zur Arbeit gezwungen, ermordet.
Von 1940 bis 1945 wurden insgesamt knapp eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder zur Zwangsarbeit verpflichtet. Alleine in Hamburg existierten knapp 1400 Zwangsarbeitslager.
Das Verhör
1942: 35 ukrainische Zwangsarbeiter sind in einem provisorischen Gefängnis am Sandtorkai auf engstem Raum interniert. Ein Gestapo-Offizier verhört seine nächsten Gefangenen.
Juden in der Speicherstadt
Der politische Machtwechsel bei der HFLG, den Eigentümern der Speicherstadt, bedeutete für die dort ansässigen jüdischen Kaufleute vehemente Schwierigkeiten. So waren zum Beispiel alle Juden, die in irgendeiner Form in den Kaffeehandel involviert waren, sei es als Händler, Makler, oder Agent, von da an von jeglichen Interaktionen ausgeschlossen. Pachtverträge für die Speicher wurden aufgekündigt, jegliche Geschäftsbeziehungen wurden ad hoc unterbunden. So verschwanden nach und nach die jüdischen Geschäftsleute aus der Speicherstadt, wobei dieses Verschwinden durchaus mehrdeutig zu verstehen ist.
Die Speicherstadt wurde in den Zeiten, als es immer gefährlicher wurde, ein Mensch jüdischen Glaubens zu sein, auch ein Tor zur Freiheit. Mehrere dort ansässige Kaffeerösterfirmen, unter ihnen Arthur Darboven, schmuggelten beispielsweise über mehrere Jahre hinweg fast 50 Juden durch die Speicherstadt aus Deutschland raus.

Deportation von Juden und “Zigeunern – der Hannoversche Bahnhof
Neben der einen jüdischen Glauben pflegenden Bevölkerung waren der nationalsozialistischen Reichsführung auch die in Deutschland lebenden Sinti und Roma, damals noch despektierlich „Zigeuner“ genannt, ein Dorn im Auge. Im Jahr 1939 lebten 850 Personen dieser kulturellen Schicht in Hamburg. Sie wurden auf Befehl von Heinrich Himmler, dem „Reichsführer SS“, im Jahr 1940 mit weiteren Zigeunern aus Norddeutschland erst im Fruchtschuppen C im Hamburger Freihafen interniert und von dort ins Lager Belzec in Polen deportiert. Doch das war erst der Anfang. In den Jahren 1943 und 1944 folgten weitere Deportationen von Sinti, Roma und Juden in Ghettos und Konzentrationslager wie zum Beispiel Auschwitz-Birkenau. Bis ins Jahr 1941 waren zwischen 10000 und 12000 Juden aus Hamburg ausgewandert. Als die Deportationen begannen, lebten noch 7547 Juden in der Hansestadt, darunter viele über 60-jährige, die zumeist verarmt und isoliert waren und unter vollständiger Kontrolle der Gestapo standen.
Alle Deportationen aus dem Norddeutschen Raum in unterschiedlichste Richtungen wurden über den Hannoverschen Bahnhof abgewickelt, auf dessen ehemaligem Gelände sich heute Teile der HafenCity befinden. Ursprünglich im Jahr 1872 als Endpunkt der Eisenbahnstrecke von Hannover errichtet, wurde der Bahnhof nach dem Bau des Hamburger Hauptbahnhofs fast ausschließlich für den Gütertransfer im Hamburger Hafen genutzt, bis die Nationalsozialisten in ihm den perfekten Ort für die Deportation von unerwünschten Bevölkerungsschichten in ihre Arbeits- und Konzentrationslager sahen.


Eine zentrale Rolle bei der Auswahl spielte dabei dessen abseitige Lage, da Hunderte Träger des gelben Sterns auf dem Hamburger Hauptbahnhof unerwünschte Aufmerksamkeit hervorgerufen hätten, sowie seine geringe Auslastung, da es galt, unzählige Beladungsvorgänge mit Gepäck abzuwickeln, für die sich die Ladevorrichtungen des Bahnhofes besonders eigneten.
Der letzte Deportationszug verließ den Hannoverschen Bahnhof am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt. Insgesamt wurden über diesen Bahnhof bis Kriegsende mindestens 20 Deportationszüge mit 7112 Männern, Frauen und Kindern in Ghettos, KZs und Vernichtungslager geschickt. Über 6000 von ihnen fanden dort den Tod.
Die Überreste des im Krieg stark zerstörten Bahnhofs wurden in den 1950er Jahren gesprengt.
Judenkisten
Bevor den Hamburger Juden die Deportation und Ermordung durch die Nazis drohte, wurden sie auf Befehl enteignet. Ihr persönliches Hab und Gut landete auch in der Speicherstadt, um dann später versteigert zu werden. Wer 1942 etwas Geld hatte, konnte leicht so manches Schnäppchen machen. Pelze, Uhren und Schmuck wurden günstig auf Auktionen angeboten. Nur nach der Herkunft wollte niemand so recht fragen…

Die Pogromnacht am 09. November 1938 veränderte vieles im Deutschen Reich für die jüdische Bevölkerung, von dem Moment an wurden sie verfolgt, inhaftiert und ermordet. Der Besitz dieser Juden wurde bis zum letzten Haushaltsgegenstand eingezogen und „verwertet“. Bereits der „Evakuierungsbefehl“ der Gestapo enthielt einen entsprechenden Zusatz. Die gesamte Habe der bereits verhafteten, getöteten oder geflohenen Juden des gesamten Reiches und der Besatzungszonen wurde von den Nationalsozialisten im Freihafen und der Speicherstadt gelagert, in so genannten „Judenkisten“. In den Kisten befanden sich teils komplette Wohnungsinventare.
In ihnen war von Kleidung über Besteck, Geschirr und Kinderspielzeug bis hin zu Möbelstücken alles zu finden. Diese Kisten wurden dann fast täglich an die einheimische deutsche Bevölkerung durch Auktionshäuser versteigert. Allein im Schuppen 25 wurden insgesamt über 27000 Tonnen des Eigentums niederländischer Juden gelagert. Diese Kisten fanden gerade unter den Menschen aus der Arbeiterklasse wie zum Beispiel den Hafenarbeitern reißenden Absatz. Insgesamt dürfte sich um die 100000 Deutsche sehr billig an den Habseligkeiten bereichert haben. Die Erlöse aus den jeweiligen Versteigerungen flossen dem Reich zu.