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Die Sounds der Stadt

März 2017
Von Sönke Knopp

Von Telemann bis Samy DeLuxe. Hamburgs Musikgeschichte ist so vielseitig wie in kaum einer anderen Stadt. Sie begann im 17. Jahrhundert.

Die Elbphilharmonie gilt als Wahrzeichen der Musikstadt Hamburg. Aber die musikalischen Wurzeln der Stadt reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Hamburgs Musikszenen und seine Musikgeschichte sind so diversitär wie in kaum einer anderen Stadt. Diese Tatsache macht es auch so schwer, einen „Sound“ der Stadt auszumachen, wie er anderen Städten wie Liverpool (Merseybeat) oder Detroit (Motown) zugeschrieben wird. Zwar gibt es die recht gängige Bezeichnung „Hamburg Sound“ für die Zeit der Beatmusik der frühen 1960er Jahre, doch greift dieses Verständnis vom Sound der Stadt viel zu kurz.

Gruppenbild der 60 Mitglieder des Orchesters der Philharmonischen Gesellschaft, 1865

Deutschlands erstes Musiktheater 

Mit Blick auf die Hamburger Musikgeschichte könnte man meinen, Popularmusik sei ein Phänomen, welches sich erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts etablierte. Diese falsche oder zumindest sehr ungenaue Annahme basiert auf zwei Dingen: Zum einen auf unserem heutigen Verständnis von Musikkultur, zum anderen auf der Quellenlage. Die Musik des Katharinenorganisten Heinrich Scheidemann (1596-1663) oder des Kantors Thomas Selle (1599-1663) sind genauso wie die Programme der ab 1678 als erstes bürgerlich-städtisches Musiktheater Deutschlands eröffneten Oper am Gänsemarkt schlicht besser dokumentiert als das einfache, aber nicht minder populäre Volkslied. 

Zur Zeit des Barock nahm Hamburg eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des öffentlichen Konzertwesens in Deutschland ein: Neben der Oper fanden bereits ab 1660 die ersten öffentlichen Konzerte des Hamburger Collegium Musicum statt und mit dem Konzertsaal auf dem Kampe (am heutigen Valentinskamp) entstand im Jahr 1761 der erste öffentliche Konzertsaal in Deutschland. Die beiden wichtigsten und zugleich auch bekanntesten Namen des musikalischen Wirkens in Hamburg im 18. Jahrhundert sind ohne Frage Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) und Georg Philipp Telemann (1721-1767).

Portrait Georg Philipp Telemann von Georg Lichtensteger

Im Verlauf des 19. Jahrhundert entwickelte sich schließlich ein Kunst- und Kulturverständnis, wie wir es heute aus den Feuilletons der Zeitungen kennen. Dieses scheinbare Selbstverständnis der klassischen Musik, für die Spielstätten wie die Laeiszhalle oder die Elbphilharmonie gebaut worden sind, geht auf die Initiative einiger weniger Hamburger Bürger Anfang des 19. Jahrhunderts zurück, als die Situation noch eine gänzlich andere war: Es gab als großes Konzerthaus mit eigenem Orchester lediglich das 1827 eröffnete Stadttheater an der Dammtorstraße (die heutige Staatsoper Hamburg), in dem aber keineswegs ein Programm lief, wie wir es aus der Staatsoper kennen. Das Haus musste wirtschaftlich arbeiten und konnte dies nur gewährleisten, wenn ein breites Publikum angesprochen wurde. So lief dort ein bunter Reigen aus klassischer Musik, Magier-Vorführungen und sogar Gymnastikeinlagen.

Die Beatles auf dem Kiez

Mit der Institutionalisierung von Musik und Theater im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde durch das Hamburger Bürgertum ein heute unter dem Begriff „Hochkultur“ bekanntes Kunstverständnis etabliert. Diese Entwicklung ist ein Grund, warum es populäre und subkulturelle musikalische Szenen in Hamburg lange Zeit nicht leicht hatten und erst in jüngster Zeit Aufmerksamkeit und Unterstützung durch die Hamburger Politik erfahren. Letzteres natürlich völlig zu Recht, denn Hamburg hatte und hat mehr als „Klassik“ zu bieten. Dass die Beatles zu Beginn ihrer Karriere eine Zeit lang in Hamburg wirkten, ist ein besonders populäres Beispiel: Jeder kennt den Star Club und das Indra sowie Hamburger Bands wie die Rattles, die es Anfang der 1960er Jahre zu einiger Berühmtheit brachten.

Werbeplakat für die Eröffnung des Star-Club am 13. April 1962.

Es sind aber vor allem auch die weniger bekannten Szenen, welche die Hamburger Musikgeschichte so interessant machen. Dazu gehören die kleinen aber sehr feinen Szenen wie die des Jazz, die ihre Hochzeit mit dem Anglo-German Swing Club in der Nachkriegszeit bis Anfang der 1950er Jahre hatte. Ihr war die als widerständig erinnerte Swingszene vorausgegangen, die zur Zeit des Nationalsozialismus die verbotene Musik im Untergrund konsumierte. Vor allem junge Menschen, die sogenannten SwingKids, grenzten sich musikalisch und auch optisch ganz bewusst von der uniformierten Hitlerjugend ab, was nicht ungefährlich war. Ihr bekanntester Treffpunkt war das 1943 zerstörte Café Heinze am Millerntor.

Zu den weitaus bekannteren Exporten der Stadt zählt mit Sicherheit das, was sich in den 1970er entwickelte: Bekannt geworden als „Hamburger gute Laune“ gaben sich spätere Größen wie Udo Lindenberg, Otto Walkes oder Gottfried Böttger im „Onkel Pö“ in Eppendorf oder in der „Fabrik“ in Altona das Mikro in die Hand. Von der guten zur eher kritisch motivierten Stimmung kommen wir, wenn wir über Punk in Hamburg sprechen: Ab Ende der 1970er bis weit in die 1980er Jahre entwickelte sich im Kontext von Hafenstraße und Schanzenviertel eine lebendige Szene, aus der Bands wie die Goldenen Zitronen, Slime, Palais Schaumburg und Abwärts hervorgingen.

Ebenfalls in den 1980er Jahren begann in Hamburg etwas, für das die Stadt heute mindestens deutschlandweit bekannt ist: Die Stella AG brachte Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical „Cats“ im Operettenhaus auf die Bühne, etablierte diese moderne Form des Musiktheaters und knüpfte damit an eine lange Tradition des leichten Sujets in Hamburg und besonders auf St. Pauli an: Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gab es rund um den Spielbudenplatz und der Reeperbahn einen regelrechten Boom von Operetten und Varieté-Theatern. Mittlerweile gehört bei vielen Touristen ein Besuch in einem der großen Musicalhäuser, sei es „Aladin“ in der Neuen Flora oder „Der König der Löwen“ im Theater im Hafen, fest zum Hamburgwochenende.

Der König der Löwen, Musical in Hamburg. Foto: www.mediaserver.hamburg.de / Stage Company
Reeperbahnfestival, Foto: Vallbracht

Die „Hamburger Schule“

Der Grund, dass ein ganz bestimmtes Genre die vermutlich häufigste Assoziation beim Thema Musik in und aus Hamburg ist, liegt in der Tatsache begründet, dass es die Stadt im Namen trägt: Die sogenannte „Hamburger Schule“. Den Namen verdankt sie einer medialen Zuschreibung, ihre Existenz als Szene bezweifelte sie selbst von Beginn an. Die vermeintliche Hymne, „Ich bin neu in der Hamburger Schule“ von Tocotronic aus dem Jahr 1995, ist eher als Kritik der Genrebildung zu verstehen denn als Unterstreichung von Gemeinsamkeiten. Diese gab es aber dennoch: Bands wie Blumfeld, Die Sterne, Kolossale Jugend oder Die Braut haut ins Auge sangen alle auf Deutsch, sie sangen alle Texte, deren Inhalte sich durch gedanklichen Tiefgang auszeichneten und sie spielten alle in den gleichen herrlichen Kaschemmen: In Heinz Karmers Tanzcafé, in Casper’s Ballroom, im Sparr oder dem Golden Pudel Club.

Swingkids 

Die sogenannten Swingkids war eine Szene, die sich während des Nationalsozialismus herausbildete und im Untergrund verbotene Musik wie Jazz und Swing konsumierte. Vor allem junge Menschen grenzten sich musikalisch wie auch optisch ganz bewusst von der uniformierten Hitlerjugend ab, was nicht ganz ungefährlich war. Ihr bekanntester Treffpunkt in Hamburg war das Café Heinze am Millerntor, das 1943 zerstört wurde.

Nur den großen Proberaum, in dem sich jeden Abend alle Protagonisten trafen, zusammen Musik machten, Bier tranken und auf ihre Hamburger Schule prosteten, den gab es nicht. Fast zeitgleich bastelten ein paar andere junge Hamburger in den Kellern Eimsbüttels an wieder einem neuen Hamburger Sound: Die Rede ist von den (Absoluten) Beginnern, von Samy Deluxe, Fettes Brot, Fünf Sterne Deluxe, von Eins Zwo oder auch von Fischmob. „Fette Beats und coole Reime“, um es mit der Sprache der Szene zu versuchen, waren die Merkmale des Hamburger HipHop, der ab Ende der 1990 Jahre vor allem das junge Publikum zu begeistern wusste. Und es gab eine Szene in Hamburg, die nicht dafür bekannt ist, dass sie große Musiker oder Bands hervorgebracht hat, sondern eher, dass sie diesen eine oder besser viele Bühnen bot und noch immer bietet. 

MS Dockville. Foto: www.mediaserver.hamburg.de / Hinrich Carstensen

Indie, die Kurzform für Independent (Rock-)Music, ist ein Genre, welches ab den 2000er Jahren von Bands wie The Libertines, Mando Diao, The Hives und überhaupt den ganzen „The“-Bands bestimmt wurde und in Hamburg auf fruchtbaren Boden fiel: Hier gab es jede Menge kleinerer Clubs, in denen die zur Zeit der Krise der Musikindustrie immer klammen Bands spielen konnten und auf ein offenes Publikum trafen. Nicht zuletzt haben auch die in dieser Zeit entstandenen großen Festivals, wie das Reeperbahnfestival und das MS Dockville, ihren Teil zum Erfolg von Hamburg als Bühne für kleine und große Künstler beigetragen. Die Künstler dankten es der Stadt und widmeten ihr Lieder wie „Wohlwill“ von Friska Viljor (2009) oder gar ganze Alben wie „Hamburg Demonstrations“ (2016) von Peter Doherty.

Die Szene in den Clubs

Interessanterweise haben auffallend viele einstige HipHop-Akteure im Laufe der Zeit das Genre gewechselt. Angekommen sind sie in der Elektronischen Musik, in einer DIY-Szene, die mit digitalen Mitteln und minimalem Aufwand großen Sound kreiert. Aufgelegt wird digital oder mit Platten, Labels wie DIYnamic oder Smallville machen es möglich. Auf die Frage, warum es ausgerechnet in Hamburg möglich, sei so gute Musik zu machen, hat DJ Koze, eine Szenegröße, eine interessante Antwort:

„Es ist eine richtig langweilige Stadt, wo kaum etwas passiert, mit sehr netten, fleißigen Leuten. Und weil es so langweilig ist, kann man gar nichts anderes machen, als selber etwas zu produzieren. Deswegen kommen auch gute, originäre Sachen aus Hamburg.“

Selbstverständlich hat auch die klassische Musik im 20. und 21. Jahrhundert nicht aufgehört zu existieren. Und viele exzellente Künstler dieser Zeit sind seit Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg zu Gast. Wer aber herausfinden will, was der „Sound der Stadt“ sein könnte, der sollte in Clubs wie das „Übel & Gefährlich“, in den Mojo-Club, ins „Aalhaus“ oder ins „molotow“ gehen, um dann festzustellen: Den einen Hamburg Sound gibt es nicht – aber Hamburg sounds! Und zwar sehr gut!

Elbphilharmonie Froschperspektive. Foto: www.mediaserver.hamburg.de / Andreas Vallbracht

Mit der internationalen Multimedia-Serie in den Soundtrack Hamburgs eintauchen 

Den Soundtrack einer Stadt durch eine intensive und interaktive Multimedia-Serie erlebbar machen: Das haben sich die Macher von VYNL vorgenommen und nehmen ihre Zuschauer in der ersten Staffel mit auf eine Reise in 15 der kreativsten und musikalischsten Städte der Welt. Hamburg macht dabei den Anfang. Das Team von VYNL traf die Stars, Künstler, Hit-Produzenten und Trendsetter der Hansestadt. Das Bo, Chefboss, Rhonda, JOCO, Meute, Alexander Krichel, das Ensemble Resonanz und viele mehr – sie alle zeigen ihr einzigartiges Hamburg und lassen den Zuschauer tief in den “Sound of Hamburg” eintauchen.