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Warum Hanseaten keine Orden tragen

September 2017
Von Jens Meyer-Odewald

Der eine heftet ihn sich freudig ans Revers, um’s auf stolz geschwellter Brust glitzern zu lassen. Der andere nimmt dankend an, lagert das gute Stück jedoch daheim – zur persönlichen Erbauung. Wieder andere bezeichnen Orden als „Hundemarken“ oder „flitterhaften Prunk“ und lehnen den ganzen „Kokolores“ rigoros ab. Gerade in Hamburg ist mit ausgezeichneten Ehrungen nur schwer Staat zu machen. Weil Hanseaten, so heißt es von jeher, keine Orden annehmen – oder annehmen dürfen.  

Klingt irgendwie gut. Stolz und erhaben, frei und unabhängig. Und ganz im Sinne des bürgerlichen Geistes unserer Verfassung: „Es gibt über dir keinen Herrn und unter dir keinen Knecht.“ Es entspricht traditionell geübter Praxis, dass die Annahme von Adelsprädikaten und Orden bei Bürgermeistern, Senatoren, Bürgerschaftsabgeordneten und Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes zumindest verpönt ist. Sagt man so. Ist in der Regel auch so. Aber ist es auch richtig so? Jüngst wurden immer mehr Stimmen laut, dass die angeblich „schon immer“ verbriefte Verpflichtung einer Verweigerung de jure gar nicht existent ist: Entgegen allen Behauptungen enthält das Hamburger Stadtrecht von 1270 kein ausdrückliches Verbot.

Hamburgs einziger je verliehener Orden – das Hanseatenkreuz – wurde zwischen 1915 und 1920 für den Einsatz im Ersten Weltkrieg geprägt, und zwar im Verbund mit den anderen selbständigen Hansestädten Bremen und Lübeck.

Ein Orden vom türkischen Sultan 

Für den Senat wurde das Problem hochoffizieller Dekorierung verdienter Persönlichkeiten erstmals 1840 akut. Wie die Autorin Renate Hauschild-Thiessen in ihrem Buch „Bürgerstolz & Kaisertreue“ genüsslich belegt, ließ ein türkischer Sultan dem Hamburger Syndikus Karl Sieveking den berühmten Nichan-Iftichar-Orden übersenden – als Dank für dessen Bemühungen um den Abschluss eines Handelsvertrags. Sieveking, ganz Ehrenmann, zeigte dies dem Senat auf dessen Sitzung am 29. Juli 1840 an. Parallel verlas er ein Schreiben an den türkischen Minister Resid Pascha. Darin wurde der Empfang der Ehrung mit großem Dank quittiert, allerdings „sey die Annahme des Ordens der hiesigen Verfassung zufolge nicht thunlich“. Konsequenz des Syndikus: Er übergab dem Senat das Geschenk. Dieser verfügte sodann „die Asservierung desselben auf seinen Archiven“. 

“Ich bin entschieden gegen Orden – aber haben möchte ich sie.”

Johannes Brahms

Die Aufregung schlug hohe Wellen 

Allerdings nach Art hanseatischer Pfeffersäcke. Wie gut, dass der ehrwürdige Sultan nicht ahnte, dass nur die leere Fassung des Nichan-Iftichar-Ordens in der Schatzkammer eingelagert wurde. Praktisch veranlagt, ließen die Hamburger die Edelsteine herausbrechen, um sie zu versilbern. Der Erlös in Höhe von 560 Mark floss der Senats-Witwen-Kasse zu. Fortan prallten unterschiedliche Meinungen aufeinander, und jeder fühlte sich absolut im Recht. So wagte es der Senator Gustav Godeffroy 1878, einen Orden des russischen Zaren an seinen Frack zu heften. Die Aufregung schlug hohe Wellen. Auf Verlangen, das Prunkstück abzugeben, reagierte Hanseat Godeffroy hocherhobenen Hauptes, beseelt von Sturheit und Stolz: „Nein, meine Herren, und nochmals nein!“ Er verlor sämtliche Titel und Vorrechte. Zudem beschloss der Senat, den Namen Godeffroy im Staatshandbuch zu streichen. 

Der Hamburger Senat zeichnet seit 2005 Unternehmen für ihr gesellschaftliches Engagement mit der “Max-Schmeling-Medaille” aus. Die Annahme ist auch für Hanseaten kein Problem.

Mancher nimmt, mancher lehnt ab. Helmut Schmidt hatte eine differenzierte Einstellung. Als Bundesverteidigungsminister nahm er 1971 den Karnevals-„Orden wider den tierischen Ernst“ an, drei Jahre später als SPD-Fraktionschef im Bundestag wies er das „Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband“ der Bundesrepublik zurück. Als Bundeskanzler nahm er später eine Ehrenbezeugung an – allerdings aus dem Ausland. 

Helmut Schmidt ist in allerbester Gesellschaft. Nach seiner Amtszeit als Bürgermeister akzeptierte Hans-Ulrich Klose den hohen französischen Orden „Kommandeur der Ehrenlegion“. Auch Gerd Bucerius, Klaus von Dohnanyi, Ida Ehre, Rolf Liebermann, Karl Schiller, Herbert Wehner, Max Schmeling oder Uwe Seeler sind namhafte Hamburger, die Auszeichnungen entgegennahmen – und gerne dazu standen.