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Das Versagen Die Ursachen der Flutkatastrophe von 1962

Februar 2012
Von Mario Bäumer

137 Jahre waren am 16. Februar 1962 vergangen, seit sich in Hamburg am 4. Februar 1825 die letzte schwere Sturmflut ereignet hatte. Nach der Flut von 1962 hatte der Hamburger Senat einen Sachverständigenausschuss eingesetzt, der 19 Monate lang die Ursachen der Katastrophe erforschte. Der abschließende Bericht betonte, dass ein menschliches Versagen beim Ablauf der Ereignisse im Februar 1962 nicht nachgewiesen werden konnte.

Selbst der “Spycker Weg” hinter der Ölmühle Spyck wurde von den Wassermassen der Flut erfasst. Fotograf: Fritz Getlinger, 1962 Margarine Union GmbH Bildstelle, heute Unilever

Die Entwicklung der Flut

Am 12. Februar 1962 war ein schwerer Sturm über die Nordsee gezogen, der im norddeutschen Küstengebiet Schäden verursacht hatte. In Hamburg herrschte Windstärke 8, in Böen erreichte der Sturm Windstärke 12, ungefähr 120 Kilometer in der Stunde. Der Wind in Orkanstärke erzeugte nicht nur hohe Wellen, sondern setzte auch große Wassermassen in Bewegung, die sich vor den Küsten anstauten. Am 15. Februar war der Sturm so schwer, dass Orkanböen mit bis zu 150 Kilometer in der Stunde begannen, das Wasser der Nordsee direkt in die Elbmündung zu drücken, nachdem der Wind auf nordwestliche Richtung gedreht hatte. Das Wasser in der Elbe stieg stromaufwärts in Richtung Hamburg bedrohlich an. 

Im Laufe des nächsten Tages (16. Februar 1962) kam es an der gesamten Nordseeküste zu Überflutungen und Deichbrüchen. Nachdem der Deich am Maadesiel in Wilhelmshaven von den Wellen völlig zerstört worden war, brach gegen 21.50 Uhr der erste Deich in Cuxhaven. Schon um 21 Uhr war hier die Pegelanlage ausgefallen. Trotzdem glaubte man in Hamburg zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, dass die Stadt am Ende der Elbmündung ernsthaft bedroht sein könnte. Schließlich war ein Orkan mit Windstärke 13 bereits am Vortag über Hamburg hinweggefegt, und nun rechnete man mit einem hohen, aber nicht gefährlich hohen Wasserstand.

Bereits um 1.10 Uhr hatte die Flut in Hamburg den Wert von 5,20 Meter über Normalnull erreicht, also den bis dahin höchsten bekannten Wasserstand der Sturmflut von 1825, der noch immer als Maß für die Deichsicherheit galt. Um 3.05 Uhr erreichte die Flut am Pegel St. Pauli 5,70 Meter über Normalnull, 40 Minuten früher, als vorhergesehen und so hoch, wie er in Hamburg noch nie gemessen worden war. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele Deiche in Hamburg überspült und gebrochen. Die Sturmflut hatte sich Hunderte von Kilometern entfernt angekündigt, aber erst am späten Abend des 16. Februar wurde deutlich, dass die Flut und nicht der Orkan die eigentliche Gefahr darstellte. Nicht vorhersehbar, aber die Gefahr verstärkend kam eine Fernwelle hinzu, die aus dem Atlantik in die Nordsee einlief, und den Wasserstand erhöhte.

Am 15. Februar 1962 fegte bereits ein Orkan über den Hamburger Hafen. Foto: Horst Janke. © Museum der Arbeit

12.500 Hektar – fast ein Fünftel des Stadtgebietes – wurden überschwemmt.

Der Zustand der Deiche

Nach der Katastrophe vom Februar 1962 war klar, dass die Hamburger Deiche für diese Sturmflut nicht hoch genug gewesen waren und sich zudem in einem maroden Zustand befunden hatten. Ein Problem bei der Deicherhaltung war die zergliederte Zuständigkeit der Deichverbände. Deichschauen gab es regelmäßig, so auch im Frühjahr und Herbst 1961, durchgeführt nach dem damals aktuellen Hamburger Wassergesetz vom 20. Juni 1960. Die sieben Hamburger Deichverbände konnten jeweils für ihren Bereich nachweisen, dass sie der Unterhaltspflicht nachgekommen waren, allerdings führten die Protokolle eine Reihe von Schäden, beispielsweise an der Grasnarbe, auf.

Insgesamt war nach 1945 die Deichpflege vernachlässigt worden. Bei einer Untersuchung, die aufgrund der schweren Sturmflut in Holland vom 1. Februar 1953 in Hamburg durchgeführt worden war, stellte man Schwierigkeiten bei der Unterhaltung der Grasnarbe, die den Deichkörper sichert, fest. Dies hing in erster Linie mit einem Rückgang der Schafhaltung zusammen – Schafe pflegen die Haut der Deiche, festigen den Grasbewuchs. Erst für den Jahresbeginn 1963 war ein umfassendes Deichbauprogramm vorgesehen. Danach sollte eine Deichhöhe von im Durchschnitt 6,50 Meter über Normalnull herstellt werden.

Konstruktiv befanden sich die Hamburger Deich 1962 auf einem überholten Stand. Sie hatten in der Regel eine zu steile und nur schwach gesicherte Binnenböschung und waren an vielen Stellen bepflanzt oder sogar bebaut. Dies bot den Flutwellen viele Angriffsflächen, die die Zerstörung der Deiche einleiteten. In den Jahren nach 1955 waren viele schwächere Stellen der Deiche in einer Länge von rund 30 Kilometern verstärkt und erhöht worden, doch reichte dies nicht aus, die Katastrophe zu verhindern. Die Überflutung der meisten Deiche führte in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 zur Erosion der Binnenböschung, die dann über 60 Deich- und Dammbrüche, darunter drei Grundbrüche, verursachte. An manchen Stellen entstanden meterhohe Flutwellen, die in unmittelbarer Deichnähe auch ganze Häuser mit sich rissen. 12.500 Hektar, fast ein Fünftel des Stadtgebietes, wurden überschwemmt.

Wilhelmsburg: der am schwersten betroffene Stadtteil

Am schwersten von der Sturmflut 1962 betroffen war der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg, Europas größte, von zwei Elbarmen umgegeben Flussinsel. Hier starben nach den Deichbrüchen 222 der in Hamburg zu beklagenden 315 Todesopfer.

Überschwemmte Auto-Reparaturwerkstatt. Fotograf: Ernest Dehncke, 17.2.-20.2.1962

Der folgenschwerste Deichbruch ereignete sich im Norden von Wilhelmsburg am Spreehafen. Von hier überströmte das Wasser weite Gebiete der Elbinsel. Gerade in diesem Teil Hamburgs lebten auch 17 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg noch Tausende von Flüchtlingen, Vertriebenen und Ausgebombten in Behelfsheimen. Trotz reger Bautätigkeit herrschte Anfang der 1960er Jahre kriegsbedingt in Hamburg noch eine große Wohnungsnot. Deshalb waren viele Menschen darauf angewiesen, in preisgünstigen Behelfsheimen zu leben. So war zum Beispiel in Wilhelmsburg direkt hinter dem Klütjenfelder Hauptdeich, einer wichtigen historischen Deichanlage, nach dem Krieg ein Kleingartengebiet zur Unterbringung von Ausgebombten und Vertriebenen genutzt worden.

Dieser Zustand dauerte noch an. Viele der Opfer wurden im Schlaf von der Flut überrascht, konnten sich im besten Fall auf die niedrigen Dächer ihrer barackenartigen Häuser retten und waren viele Stunden der Kälte, dem Regen und dem Sturm ausgesetzt. Ein Zugang in diese Gebiete war größtenteils nur mit Schlauchbotten und Hubschraubern möglich, um die Rettungen einzuleiten. Die Bergung aus der Luft lief nur allmählich an, auch waren keine Hubschrauberlandeplätze für einen Katastrophenfall festgelegt worden, sondern diese wurden notdürftig im Jenisch-Park, auf der Veddel, in den Boberger Dünen und auf dem Schwarzenberg eingerichtet.

Hätten die Hamburger Behörden, der Senat oder die Hamburgische Bürgerschaft geahnt oder gewusst, dass Wilhelmsburg wie eine Badewanne bei einer mächtigen Sturmflut volllaufen könnte, man hätte die Menschen nicht in ebenerdigen Behelfshäusern ohne Rettungsausgang wohnen lassen. Aber es gab keine Vorstellung davon, dass die Deiche in Hamburg brechen könnten. Die Katastrophe von 1962 hatte also auch eine mentale Ursache. Alle Verantwortlichen verließen sich auf eine über 100 Jahre alte Erfahrung, dass Sturmfluten in Hamburg keine große Gefahr mehr für Leib und Leben der Bürgerinnen und Bürger darstellen würden. Im Bewusstsein für die Sturmflutgefahren hatte man sich von den Erfahrungen der Küstenbewohner abgekoppelt. So gingen auch in Wilhelmsburg am Abend des 16. Februar 1962 die Menschen ins Bett, ohne nur zu ahnen, was ihnen bevorstand.

Überschwemmung der Kleingartenkolonie „Kleingartenverein Einigkeit“
Fotograf: Ernest Dehncke, 17.2.1962
Der Kleingartenverein Nr. 701 „Alte Landgrenze“ e. V. in Wilhelmsburg gleicht einem Schrottplatz. Hier hat die Flut allein sechs Menschenleben gefordert. Fotograf: Hein Schlaudraff, 23.2.1962

Mangelhafte Kommunikation und kein Katastrophenplan

Luftbild von überfluteter Fabrik. Auf dem Foto sieht man eine von der Flut überschwemmte Industrielandschaft mit Schornstein. „Über 2000 Fabriken und Werkstätten wurden durch die Flutwasser-Katastrophe zerstört, oder beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen.“ Fotograf: Ernest Dehncke, 17.-20.2.1962

Am 16. Februar waren nach Warnmeldungen des Wetterdienstes zahlreiche Feuerwehren, das Technische Hilfswerk und die Wasserschutzpolizei in Bereitschaft. Eine organisierte vorzeitige Warnung und Evakuierung der Bevölkerung erfolgte allerdings nicht und auch die Zuständigkeiten der einzelnen Hilfsdienste waren nicht ausreichend geregelt. Rundfunk und Fernsehen sendeten komplizierte und missverständliche Meldungen über mittlere, schwere und – zu spät – über sehr schwere Hochwasser. Diese Unterteilung in drei Alarmstufen wurde bereits damals vom Deutschen Hydrographischen Institut in Hamburg verwendet. Aber diese Meldungen enthielten keinen Hinweis auf die besondere Gefahr für die Stadt Hamburg, sondern wiesen nur auf eine schwere Sturmflutgefahr im gesamten Bereich der Nordseeküste hin. Bei den hinter den Deichen in ländlicher Gegend wohnenden Menschen mögen diese Meldungen noch Beachtung gefunden haben, der Großteil der Bevölkerung in den später betroffenen Stadtteilen wurde jedoch so nicht erreicht.

Bedeutsam für Hamburg ist der gemessene Pegel in Cuxhaven, die Tidewelle braucht von hier noch vier Stunden bis Hamburg. Dabei steigt das Wasser in der Elbe noch an, 1962 um 75 Zentimeter. Am 16. Februar fiel nicht nur der Pegel Cuxhaven aus, sondern es versagte auch die Nachrichtenübermittlung, so dass man in Hamburg in dieser entscheidenden Phase nur verspätet Informationen über tatsächliche Wasserstände erhielt. Darüber hinaus waren die Fernsprechverbindungen nach großen Deichbrüchen an der Oste zwischen Otterndorf und Bremervörde zerstört worden.

Es lag also im Verlauf des 16. Februar 1962 eine Vielzahl von Informationen vor, die auf eine Katastrophe hindeuteten. Da aber die Gefahr unterschätzt wurde, konnte die Bevölkerung nur unzureichend gewarnt werden. Zu lange hatte man gehofft, dass die Deiche halten würden. Als nach Mitternacht die Deiche der Stadt Hamburg zu brechen begannen, war kein Katastrophenplan vorhanden, um alle jetzt notwendigen Schutz- und Rettungsmaßnahmen einzuleiten. Nachdem dann auch noch die Kabelschächte überflutet waren, und die Telefonverbindungen zwischen der Innenbehörde, der Baubehörde, den Polizeistationen und den Feuerwachen ausfielen und dann noch die wenigen vorhandenen Leitungen durch Notrufe blockiert waren, verloren die zuständigen Behörden den Überblick. Erst durch das ordnende Eingreifen des damaligen Polizeisenators Helmut Schmidt, der in der späten Nacht zum 17. Februar die zentrale Einsatzleitung für das Hamburger Stadtgebiet übernahm, konnte ein noch schlimmerer Verlauf der Katastrophe verhindert werden.

Uniformierte Männer in einem Schlauchboot, die an einer überschwemmten Kleingartenkolonie vorbeipaddeln. Fotograf: keine Angabe, vermutlich Ernest Dehncke, 17.2.-20.2.1962
“Mitarbeiter von Thörl beim Katastropheneinsatz. Hubschrauber der Bundeswehr fliegen die Sandsäcke an die Deichbruchstellen”, lautete die Bildbeschreibung in der Union Rundschau. Fotograf: Harry Koplin, 23.2.1962

“Der Ausdruck Krisenstab stammt nicht von mir, den habe ich auch nicht benutzt, den hat die Presse erfunden. Am Morgen habe ich einfach die Leute zusammengeholt, deren Wissen und Fähigkeiten nützlich sein konnten. (…Die Chefs von Polizei und Feuerwehr, den Gesundheitsminister, Admiral Rogge, den Einsatzleiter der Hubschrauberstaffel, den Bausenator, die Behörde für Strom- und Hafenbau, das Meteorologische Amt und die Seewarte Hamburg. Auch das Wohnungsamt war dabei, es handelte sich ja umzehntausende Menschen die wir unterbringen mussten.) Es war Februar, saukalt und ein Sturm mit Windstärken von 10 bis 12.”

Helmut Schmidt in einem Interview am 17.2.2008 zum fehlenden Katastrophenplan


Meine PegelInformationen via App

Informationen via App

Die Möglichkeiten heute sind andere, Menschen können sich via App über Push-Mitteilungen bei Über- / oder Unterschreitung von individuell konfigurierbaren Grenzwerten benachrichtigen lassen. Die App “Meine Pegel” ist ein Service von www.hochwasserzentralen.de


Twitter-Projekt zur Jahrhundertflut der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-StiftungDie Nacht der großen Flut

Zum 60. Jahrestag der Sturmflut holt die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung die Katastrophe rund um den 16. und 17. Februar 1962 zurück in die Gegenwart. Auf dem Twitter-Account 60 Jahre Hamburger Flut (@HHFlut1962) werden durch zum Teil unveröffentlichte Quellen neue Blicke auf die Ereignisse präsentiert und die Abläufe und Zusammenhänge rund um die Flut erstmals in Echtzeit dargestellt. 

Unterrichtsmaterialien: Das Hamburg-Geschichtsbuch

Das Hamburg-Geschichtsbuch bietet valide Informationen, geschrieben von Hamburgs HistorikerInnen. Ein Zeitstrahl führt durch die Epochen und ist ein Weg zu Quellen und Unterrichtsmaterial zu Hamburgs Geschichte. So werden auch hier die Geschehnisse der Katastrophe von 1962 thematisiert und mit Arbeitsmaterialien für die Sekundarstufe I und II ergänzt. 


„Mit fürchterlicher Kraft und Gewalt“

Ein Bericht der HHLA

Ein Luftbild, das nach der Überschwemmung aufgenommen wurde, zeigt noch die überwiegend zerstörten Kleingärten auf der Insel Waltershof. Das Gelände wurde überplant und aufgeschüttet, um dort den heutigen Burchardkai zu errichten. Foto: HHLA

Die große Sturmflut vom Februar 1962 legte den Hamburger Hafen nur vorübergehend lahm. Schlimm waren jedoch Inseln wie Waltershof betroffen, wo später der erste Hamburger Containerterminal entstand.

Chronologie einer Katastrophe

Zeitleiste der Ereignisse

„Durch die Sturmflut zerstört. Dieses Haus ist wahrscheinlich nicht mehr bewohnbar. Es gehörte dem Pensionär Johann Schindzielorz, 77 Jahre.“ Lautete die Bildüberschrift in der Union Rundschau. Fotograf: Hein Schlaudraff, 23.02.1962

Die Behörder für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft hat eine Zeitleiste mit Ereignissen rund um die Sturmflut 1962 erstellt.