Zum zweiten Mal zeigt das Altonaer Museum die Ergebnisse des World Press Photo Award, mit dem seit 1955 jedes Jahr die besten internationalen Pressefotografien des jeweiligen Vorjahres ausgezeichnet werden. Die Themen des größten und renommiertesten Wettbewerbs dieser Art reichen von der Dokumentation politischer Auseinandersetzungen über die fotografische Schilderung von Umweltproblemen bis zu Reportagen aus dem Alltagsleben unterschiedlicher Gesellschaften. Die Ausstellung wird in Kooperation mit den Bildredaktionen von GEO und STERN zu sehen sein.
Öffnungszeiten
Sie können die Ausstellung World Press Photo 2023 innerhalb verlängerter Öffnungszeiten besuchen:
13. September – 9. Oktober 2023
Montag 10 – 19 Uhr
Dienstag geschlossen
Mittwoch 10 – 19 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr
Freitag bis Sonntag 10 – 19 Uhr
Für das restliche Museum gelten die regulären Öffnungszeiten.
Audioguide
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2. Blättern Sie durch die Liste unten, um die Fotograf*innen zu finden, die in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet sind.
3. Halten Sie Ihr Telefon an Ihr Ohr und hören Sie zu.
Klicken Sie auf “Mehr Details”, um mehr über das Projekt zu erfahren und die Abschrift des Interviews zu lesen.
Rahmenprogramm
Angebote für Schulklassen
Für Schulklassen bieten wir Museumsgespräche und Workshops unter anderem zu entwicklungspolitischen Themen an. Informationen und Anmeldung unter
bildung-vermittlung@am.shmh.de.
Tel. 040 428 135 1482
Weitere Informationen sowie Buchungen von Führungen und Gesprächen für Gruppen, Studierende, Reisegruppen oder in Deutscher Gebärdensprache:
Museumsdienst Hamburg
Tel. 040 428 131 0
info@museumsdienst-hamburg.de
www.museumsdienst-hamburg.de
Interviews
Interviewreihe mit Fotograf Jonas Kakó, mit Carla Rosorium, Bildredakteurin von GEO und Museumsdirektorin Prof. Dr. Anja Dauschek.
Untitled
Asia, Honorable Mention
Ahmad Halabisaz
Eine iranische Frau sitzt auf einem Stuhl vor einem belebten Platz in Teheran und widersetzt sich dem Gesetz über den Hidschab. “Ein paar Tage nach dem Tod von Mahsa ging ich am Keshavarz-Boulevard vorbei, als ich eine riesige Menschenmenge von Männern und Frauen, jungen und alten, sah, die einen Slogan skandierten, den ich noch nie zuvor gehört hatte: ‘Frau, Leben, Freiheit’. Das hat mich erleuchtet, es war bewegend”, sagte sie.
Die massiven Proteste im Iran begannen nach der Verhaftung und dem Tod von Mahsa “Jina” Amini, einer 22-jährigen Kurdin, die von der Sittenpolizei der Islamischen Republik in Gewahrsam genommen wurde, weil sie angeblich gegen das Hijab-Gesetz des Landes verstoßen hatte. Der Protest breitete sich rasch von Aminis Heimatstadt Saqez auf alle Regionen des Landes aus und umfasste alle Altersgruppen, sozialen Schichten, Ethnien und Geschlechter. Die Reaktion des Staates auf die Forderungen der Demonstranten war schnell und hart: Viele wurden von den staatlichen Sicherheitskräften verletzt oder getötet, viele weitere wurden verhaftet. Unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die über die Proteste berichteten, waren ebenfalls Einschüchterungen und der Androhung von Verhaftungen ausgesetzt. Um ihren Widerstand gegen die Regierung zu demonstrieren, gehen die Frauen im Iran ohne Hidschab in die Öffentlichkeit und machen so ihren Alltag zu einem Akt des zivilen Ungehorsams.
Ahmad Halabisaz ist freiberuflicher Fotojournalist und visueller Geschichtenerzähler, der sich auf soziale Themen, persönliche Projekte und die Dokumentation der Auswirkungen von Konflikten vor allem im Nahen Osten konzentriert. Halabisaz studierte Fotojournalismus an der Universität der Iranischen Journalistenvereinigung in Teheran und hat im Iran, in Afghanistan, der Türkei und Syrien gearbeitet. Seine Fotos sind in den letzten 15 Jahren unter anderem in Time, Le Monde, AP und Getty Images erschienen.
Battered Waters
World Press Photo Long-Term Project Award
Anush Babajanyan, VII Photo/National Geographic Society
Frauen besuchen eine heiße Quelle, die aus dem ausgetrockneten Bett des Aralsees in der Nähe des Dorfes Akespe in Kasachstan entsprungen ist. Der Aralsee, einst der viertgrößte See der Welt, hat 90 Prozent seines Inhalts verloren, seit das Flusswasser in den 1960er Jahren für die Landwirtschaft und die Industrie abgezweigt wurde.
Der Zugang zu Wasser ist heute eine der umstrittensten lokalen Fragen in Zentralasien. Vier Binnenländer konkurrieren um die Wasservorräte – eine Situation, die durch die Klimakrise noch verschärft wird. Jahrzehntelang förderte die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Tadschikistan und Kirgisistan flussaufwärts an den Flüssen Syr Darya und Amu Darya sowie Usbekistan und Kasachstan flussabwärts ein friedliches Miteinander bei der Nutzung der Ressource Wasser – doch Dürre, steigende Bedürfnisse und Missmanagement stören diese langjährige Balance. Die post-sowjetische Unabhängigkeit der vier Länder, die anschließende Herausbildung nationaler Identitäten und der Aufstieg privatisierter Industrien tragen weiter zu diesem Ungleichgewicht bei.
In der Vergangenheit erhielten die stromaufwärts gelegenen Länder, die von einer Wasserkraftversorgung abhängig waren, die für den Winterbedarf nicht ausreichte, von den stromabwärts gelegenen Ländern Energie aus fossilen Brennstoffen zu Preisen, die von der sowjetischen Regierung subventioniert wurden. Diese Regelung ermöglichte es den flussaufwärts gelegenen Ländern, im Winter Wasser zu sparen, das sie im Sommer freisetzen konnten, wenn es für die Bewässerung in wichtigen landwirtschaftlichen Gebieten flussabwärts benötigt wurde. Der Zusammenbruch des sowjetischen Subventionssystems hat die flussaufwärts gelegenen Länder dazu veranlasst, im Winter mehr Wasser zur Stromerzeugung freizugeben, was zu Überschwemmungen flussabwärts und weniger Wasser für die Bewässerung im Sommer führt. Die flussabwärts gelegenen Länder haben sich gegen die Versuche Kirgisistans gewehrt, Zahlungen für Wasser zu erhalten.
Die Fotografin Anush Babajanyan hat sich in ihrer Arbeit auf soziale und persönliche Erzählungen fokussiert. Sie ist Mitglied der VII Photo Agency und der National Geographic Society.
Alpaqueros
South America, Stories
Alessandro Cinque, Pulitzer Center/National Geographic
Alina Surquislla Gomez, eine Alpaquera (Alpaka-Bäuerin) in dritter Generation, wiegt ein Baby-Alpaka auf dem Weg zu den Sommerweiden ihrer Familie in Oropesa, Peru. Die Klimakrise zwingt die Hirten, von denen viele Frauen sind, zur Suche nach neuen Weiden, die sich oft in schwierigem Gelände befinden.
Alpakas sind für den Lebensunterhalt vieler Menschen in den peruanischen Anden unerlässlich. Sie können die großen Höhen der Anden ertragen und sind eine wichtige Einkommensquelle für die Landwirte in einer Umgebung, in der nur wenige oder gar keine Feldfrüchte angebaut werden können. Sie werden in erster Linie wegen ihrer feinen Faser (Wolle) gezüchtet, die für Strickwaren und gewebte Stoffe sehr geschätzt wird. Zehntausende von Familien in den Anden leben von der Alpakazucht oder dem Handel mit ihren Fasern. Bei lokalen indigenen Gemeinschaften wie den Quechua sind Alpakas außerdem ein fester Bestandteil des kulturellen und rituellen Lebens.
Die Klimakrise gefährdet die Alpakas und die Gemeinschaften, die von ihnen leben. Kürzere Regenzeiten und intensivere, längere Dürreperioden lassen die natürlichen Weiden schrumpfen und verringern die Qualität des Grases, von dem sich die Alpakas ernähren. Darüber hinaus nimmt das Schmelzwasser der peruanischen Gletscher, über das die Hochweiden während der langen Trockenzeit versorgt werden, rapide ab. Die peruanischen Gletscher haben sich zwischen 1962 und 2016 um 53 Prozent zurückgezogen. Diese Herausforderungen bedrohen nicht nur die Alpakas, sondern auch den Verlust der kulturellen Identität der Hochanden, da die Gemeinschaften der Alpakabauern gezwungen sind, in noch größere Höhenlagen umzuziehen oder ihre Lebensweise ganz aufzugeben und Arbeit in den tiefergelegenen Städten zu suchen. Wissenschaftler hoffen, das Problem mit Hilfe der Biotechnologie in den Griff zu bekommen, um Alpakarassen zu züchten, die widerstandsfähiger gegen extreme Temperaturen sind. Dies würde den Tieren helfen, harte Nächte in höheren Lagen zu überleben und in niedrigeren Lagen zu gedeihen, da Alpakas auch bei wärmeren Temperaturen an Krankheiten leiden, die in Hochlandgebieten nicht auftreten. Alessandro Cinque (geb. 1988) ist ein in Lima (Peru) ansässiger Fotojournalist, der sich in seiner Arbeit mit umwelt- und gesellschaftspolitischen Themen in Lateinamerika befasst, insbesondere mit den verheerenden Auswirkungen des Bergbaus auf indigene Quechua-Gemeinschaften und ihr Land.
The Dying River
North and Central America, Singles
Jonas Kakó, Panos Pictures
Alfredo, Ubaldo und José pflegen Bienenstöcke in der Nähe von Wenden in der Wüste von Arizona, USA. Die Trockenheit schwächt die Bienen, macht sie anfälliger für Krankheitserreger und Parasiten und beeinträchtigt die Pflanzen, von denen sie sich ernähren. Zwischen 2019 und 2020 ist der Bestand an bewirtschafteten Honigbienenvölkern in den USA um 43,7 % zurückgegangen.
Dieses Bild ist Teil eines umfassenden Projekts über die Auswirkungen der Klimakrise auf den Colorado River. Die jährliche Wassermenge des Colorado River ist in den letzten 30 Jahren um 20 Prozent zurückgegangen. Der Colorado ist abhängig von der Schneeschmelze in den Rocky Mountains und den Niederschlägen in den flussaufwärts gelegenen Wäldern, die sich in Seen und natürlichen Stauseen sammeln. Dürre und globale Erwärmung haben die Verdunstung aus den Stauseen beschleunigt und die Schneedecke schneller schmelzen lassen. Heiße, trockene Bedingungen haben auch den Boden ausgetrocknet, der die Niederschläge aufsaugt, bevor sie überhaupt den Fluss erreichen. Bis zu 80 Prozent des Wasserverbrauchs im Colorado River Basin wird für die Landwirtschaft abgezweigt, und eine Reihe von Dämmen entlang des Flusslaufs – die mehr als 40 Millionen Menschen mit Trinkwasser und etwa sieben Millionen mit Strom aus Wasserkraft versorgen – lässt die Wassermenge weiter schrumpfen.
Jonas Kakó (*1992) ist Dokumentarfotograf mit Sitz in Hannover, Deutschland. In seiner fotografischen Praxis befasst sich Kakó mit den Auswirkungen der Klimakrise und konzentriert sich dabei auf Einzelschicksale von Menschen, die bereits unter den Folgen der Erderwärmung leiden und in ihrer Existenz bedroht sind. Kakós freiberufliche Arbeiten sind unter anderem in National Geographic, Stern, Vice, de Volkskrant und der Neuen Zürcher Zeitung erschienen und er hat für die NZZ und den Stern gearbeitet.
The Big Forget
Africa, Singles
Lee-Ann Olwage, Bob & Diane Fund, for Der Spiegel
Sugri Zenabu, eine Mangazia (weibliche Anführerin) des “Hexenlagers” sitzt umringt von einigen Bewohnerinnen in Gambaga, Ghana. Zenabu zeigt Anzeichen von Verwirrung und Gedächtnisverlust, die häufig mit Demenz einhergehen.
Dieses Foto ist Teil eines persönlichen Projekts, das darauf abzielt, die Aufmerksamkeit auf oft übersehene Geschichten über Demenz auf dem afrikanischen Kontinent zu lenken. Da die Lebenserwartung steigt, wird Demenz in Afrika zunehmend zu einem Problem der öffentlichen Gesundheit und der soziokulturellen Entwicklung. Prognosen zufolge wird sich die Zahl der Demenzkranken in Afrika südlich der Sahara alle 20 Jahre verdoppeln. Während sich politische Entscheidungsträger immer Stärker auf Demenzbehandlung und -prävention fokussieren, wird der Krankheit in der kulturellen Wahrnehmung wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Menschen, die in Ghana und in anderen Ländern in Subsahara-Afrika traditionelle Überzeu-gungen vertreten, sehen Demenzsymptome wie verwirrtes Sprechen, unkontrolliertes Fluchen und orientierungsloses Umherwandern als Zeichen von Zauberei. Vor allem Frauen werden deshalb beschuldigt, Hexen zu sein. In Ghana werden sie in so genannte “Hexenlager” abgeschoben, dies sehr umstritten sind. Einerseits bieten sie Zuflucht und Schutz vor Gewalt, andererseits werden die Bewohnerinnen stigmatisiert und sind anfällig für die Ausbeutung durch lokale Häuptlinge, die an den mit Hexerei verbundenen Prozessen und Ritualen verdienen.
Die südafrikanische Fotografin Lee-Ann Olwage hat Familienmitglieder porträtiert, die an Demenz erkrankt sind, und inszenierte dieses Porträt als Anspielung auf die vielen Frauen, die eines der sogenannten „Hexenlager“ durchlaufen haben.
Lee-Ann Olwage ist Mitglied von Native, Women Photograph, und African Women in Photography.
Here, The Doors Don’t Know Me
World Press Photo Open Format Award
Mohamed Mahdy, Magnum Foundation
In seinem Projekt verwendet der ägyptische Fotograf Mohamed Mahdy gefundene Bilder und eigene Fotografien für kunstfertige Collagen, mit denen er an eine gemeinschaftliche Lebensweise erinnern möchte, die zu verschwinden droht.
Seit Generationen leben die Bewohner von Al Max, einer Fischergemeinde in Alexandria, Ägypten, in der Nähe des Wassers. Sie haben ihre Häuser direkt am Mahmoudiyah-Kanal gebaut, der ihren Fischerbooten den Zugang zum Mittelmeer ermöglicht. Das Leben am Kanal mag idyllisch erscheinen, vor allem für Fotografen wie Mohamed Mahdy, den es anfangs wegen der Atmosphäre an diesen Ort zog, aber es war schon immer schwierig, vom Fischfang in Al Max zu leben. Internationale Umweltvereinbarungen beschränken die Anzahl der Tage, an denen die Anwohner fischen dürfen. Die Umweltverschmutzung durch die umliegenden Fabriken zwingt die Fischer, mit kleinen Holzbooten immer weiter aufs Meer hinauszufahren, was ihre Boote und ihr Leben gefährdet.
Im Jahr 2020 begann die ägyptische Regierung damit, Teile von Al Max zu räumen und die Menschen in Wohnungen umzusiedeln, die mehrere Kilometer von den Kanälen entfernt liegen. Bislang ist etwa ein Drittel des Viertels von Al Max umgesiedelt worden. Die Regierung begründet die Umsiedlung mit dem Anstieg des Meeresspiegels aufgrund des globalen Klimawandels und mit der Notwendigkeit der Stadterneuerung und -entwicklung – doch viele Bewohner zweifeln an der Notwendigkeit der Umsiedlung. Sicher ist, dass die Umsiedlung nicht nur den Abriss von Häusern bedeutet, sondern auch die kollektiven Erinnerungen und die lokale Kultur zum Verschwinden zu bringen droht.
Für sein Projekt ermutigte Mohamed Mahdy die Bewohner, Briefe zu schreiben und so ein Archiv privater Erinnerungen für künftige Generationen zu schaffen. Diese Briefe hat Mahdy auf einer interaktiven Website gesammelt. Die Besucher der Website sind aufgefordert, auf diese Briefe zu antworten und den Bewohnern von Al Max so einen Kommunikationskanal zur Außenwelt zu eröffnen: https://mohammedmahdy.com/herethedoorsdontknowme/
Mohamed Mahdys Arbeiten wurden weltweit ausgestellt, unter anderem als Teil der Ausstellung Take Me to the River (2021) im Hamburger Bahnhof, Berlin, und im Altonaer Museum, Hamburg, als Teil der Hamburger Portfolio Review. Er stellte zweimal mit dem Ian Parry Scholarship in London und bei Photoville in New York aus.
The Nomad’s Final Journey
Africa, Honorable Mention
Jonathan Fontaine; Hans LucasSamira (16) blickt auf das Lager Qolodo in der Nähe von Gode in der Region Somali, Äthiopien. Ihre Familie besaß 45 Ziegen und 10 Kamele, die alle während der jüngsten Dürreperiode starben.
Die nomadischen Völker Äthiopiens und Somalias sind von ihrem Vieh abhängig und ziehen umher, um ihre Tiere zu weiden. In jüngster Zeit haben verheerende Dürreperioden viele Nomadenfamilien an den Rand des Abgrunds getrieben. Die anhaltende Dürre in Äthiopien, die durch die Klimakrise noch verschärft wird, geht in die sechste ausgefallene Regenzeit. Ohne Wasser gibt es kein brauchbares Weideland. Millionen von Tieren in den trockenen Regionen Äthiopiens, Somalias und Kenias sind in den letzten Jahren verendet, so dass viele gezwungen waren, die Weidewirtschaft aufzugeben und in Dörfer, Städte und Lager für Binnenvertriebene zu ziehen. Nach Angaben der Food Security and Nutrition Working Group (FSNWG) benötigen zwischen 23 und 26 Millionen Menschen in Somalia, Kenia und Äthiopien Nahrungsmittel-soforthilfe.
Da viele Familien gezwungen sind, das Nomadentum aufzugeben und in Klimaflüchtlingslagern Hilfe zu suchen, werden die sozialen Strukturen geschwächt, was zu einer zunehmenden Gewalt gegen Frauen führt. Frauen in Nomadenfamilien sind häufig für die Beschaffung von Wasser zuständig, und da die Wasserressourcen immer knapper werden, sind es die Frauen, die den hohen physischen und psychischen Tribut der anhaltenden Krise zu tragen haben.
Jonathan Fontaine ist freiberuflicher Dokumentarfotograf, der in den letzten zehn Jahren Asien, Afrika und Südamerika bereist hat. Seine Arbeiten konzentrieren sich auf die sozialen und humanitären Folgen der Globalisierung, des Klimawandels, der Abholzung der Wälder und der vielen ökologischen Krisen, die das Leben von Gemeinschaften auf der ganzen Welt beeinflussen. Seine Arbeiten wurden in zahlreichen französischen und internationalen Medien veröffentlicht, darunter The Guardian, Le Monde, Le Figaro Magazine, L’Humanité, Mediapart, Jeune Afrique, Terra Mater und andere.
Net-Zero Transition
World Press Photo Long-Term Projects
Simone Tramonte
Menschen schwimmen in Amager Strand, Dänemark, in der Nähe eines Windparks, der sich im Miteigentum von 8.552 Stromverbrauchern befindet und mehr als 40.000 Kopenhagener Haushalte versorgt. Bis zu 150.000 dänische Familien sind Mitglieder ähnlicher Windkraftanlagen-Genossenschaften.
Das Projekt von Simone Tramonte dokumentiert verschiedene Technologien, die mögliche Wege für den Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft bieten. Der Fotograf besuchte von 2020 bis 2022 innovative Anlagen in ganz Europa, von Island bis Italien.
Laut dem UN-Menschenrechtsbüro OHCHR ist der vom Menschen verursachte Klimawandel die größte und weitreichendste Bedrohung für die natürliche Umwelt und die Gesellschaft, die die Welt je erlebt hat. Aus diesem Grund hat sich die Europäische Union das Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken und sie bis 2050 auf Null zu reduzieren. Europäische Unternehmen, die nach Möglichkeiten suchen, diese Ziele zu erreichen, erforschen erneuerbare Energien, neue Technologien für die Lebensmittel-produktion und die Kreislaufwirtschaft als mögliche Wege in die Zukunft.
Simone Tramonte ist ein Fotograf, dessen Arbeit sich auf die Dokumentation sozialer und ökologischer Themen unserer Zeit konzentriert. Nach seinem Abschluss in Wirtschaftswissen-schaften beschloss er, sich beruflich zu verändern und sich der Fotografie zu widmen.
Tramontes Arbeiten werden regelmäßig in internationalen Magazinen und Online-Publikationen wie National Geographic, CNN, The Guardian, GEO, Der Spiegel, Wired, Internazionale, Politico und L’Espresso veröffentlicht. Seine Fotografien wurden auf verschiedenen internationalen Fotoveranstaltungen ausgestellt.
New Capital
Africa, Stories
Nick Hannes, Panos Pictures
Mahfouz Abib, John Madesto, Angelo Saimon, Abdel Baset Omar und Mosab Abdel Wahab (von links nach rechts), Arbeiter aus dem Südsudan, posieren vor dem Iconic Tower, der sich in Ägyptens neuer Verwaltungshauptstadt erhebt, die in der Nähe von Kairo gebaut wird. Schätzungsweise zwei bis fünf Millionen Menschen sudanesischer Herkunft leben in Ägypten.
2015 begann die ägyptische Regierung 60 Kilometer östlich von Kairo mit dem Bau einer neuen Verwaltungshauptstadt (NAC). Nach dem Vorbild von Dubai soll diese neue städtische Umgebung Ministerien, einen Präsidentenpalast, große Unternehmen und etwa 6,5 Millionen Menschen beherbergen. Geplant ist eine nachhaltige, “intelligente” Stadt (mit Luftsensoren und Überwachungsdrohnen), die dazu beitragen soll, die chronische Verkehrsüberlastung und Umweltverschmutzung in der derzeitigen Hauptstadt zu verringern.
Das Projekt wird teilweise von Investoren aus China und aus den arabischen Emiraten sowie durch hochverzinsliche Anleihen finanziert. Administrative Capital for Urban Development – das Unternehmen, das die Entwicklung beaufsichtigt, die Wohnungen verkauft und die Gebäude verwaltet – befindet sich im gemeinsamen Besitz des ägyptischen Militärs (51 %) und des Wohnungsbauministeriums (49 %), so dass das Militär eine Mehrheitsbeteiligung hält. Zivile Behörden haben nicht das Recht, die finanziellen Gewinne des Militärs zu überprüfen.
Kritiker des Projekts argumentieren, das NAC diene einer privilegierten Minderheit und diene den Bemühungen von Präsident Abdel Fattah el-Sissi, seine Macht zu konsolidieren. Sie argumentieren, dass das Geld, das für den Bau der neuen Hauptstadt ausgegeben wird, eher für die Verbesserung der Lebensbedingungen in den benachteiligten Stadtteilen Kairos und für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden sollte. Nach Angaben der World Inequality Database erhalten nur 10 Prozent der ägyptischen Bevölkerung etwa 50 Prozent des Nationaleinkommens. Laut einer Studie der American University in Cairo kann sich die Hälfte der 100 Millionen Ägypter kein angemessenes Zuhause leisten. Einige Arbeiter, die beim Bau des NAC mithelfen, verdienen nicht mehr als 200 US-Dollar im Monat, und das in einer Stadt, in der eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern rund 50.000 US-Dollar kosten wird.
Nick Hannes ist Fotojournalist und Dokumentarfotograf und lebt in Ranst, Belgien. Seine Fotografie reflektiert wichtige zeitgenössische Themen wie Migration, Globalisierung, Urbanisierung und Krisen. Nick Hannes wird von Panos Pictures vertreten.
Part of Me
Southeast Asia and Oceania, Honorable Mention
Nadia Shira Cohen for The New York Times
Die Leihmütter Vin Win (rechts) und Ry Ly (links) wurden 2018 bei einer Razzia zur Bekämpfung des Menschenhandels festgenommen. Sie leben in Kampong Speu, Kambodscha. nahe beieinander zusammen mit ihren Kindern aus der Leihmutterschaft, Korng (3, links) und Phavit (4, rechts), spielen oft zusammen.
Die Serie von Nadia Shira porträtiert kambodschanische Leihmütter, die ihre Leihkinder wie ihre eigenen aufziehen müssen, seit Kambodscha 2016 begonnen hat, Leihmutterschaft strafrechtlich zu verfolgen.
Leihmutterschaft – der Akt des Austragens und Gebärens eines Babys für eine andere Person oder ein Paar – war in Kambodscha bis 2016 gängige Praxis, bevor die Regierung begann, Leihmütter nach den bereits bestehenden Gesetzen gegen Menschenhandel strafrechtlich zu verfolgen. Im Jahr 2018 führte eine Razzia in einem Haus in Phnom Penh zur Verhaftung und Inhaftierung von 32 Frauen, die als Leihmütter für überwiegend chinesische Eltern tätig waren. Fast alle haben in Haft entbunden und wurden nach der Verurteilung durch den Obersten Gerichtshof Kambodschas verpflichtet, die Babys selbst aufzuziehen. Viele der Frauen suchten Leihmutterschaftsvereinbarungen mit chinesischen Familienplanungs-agenturen, um ihren Familien zu helfen, der Verarmung und in einigen Fällen auch der Verschuldung durch Mikrofinanzkredite zu entgehen. In den letzten Jahren haben sich die kambodschanischen Haushalte zu den am höchsten verschuldeten der Welt entwickelt, wozu vor allem der schlecht regulierte Mikrofinanzierungssektor beigetragen hat. Die steigende Schuldenlast hat zu einer Zunahme der Kinderarbeit geführt und Familien dazu gezwungen, ihr Haus und ihr Land zu verkaufen. Für viele der in dieser Serie porträtierten Frauen stellte die Leihmutterschaft einen Ausweg aus der Verschuldung dar, doch nun, da das Gericht gegen sie entschieden hat, ist ihr Leben noch schwieriger geworden. Trotz der finanziellen, sozialen und persönlichen Herausforderungen haben viele der angehenden Leihmütter eine tiefe Bindung zu ihren Kindern aufgebaut, auch wenn sie traurig darüber sind, dass ihre Kinder nicht von den wirtschaftlichen Vorteilen profitieren können, die ihre biologischen Eltern bieten könnten. Nadia Shira Cohen (1977) ist freiberufliche Fotojournalistin aus Boston, USA. Als Mitarbeiterin der New York Times, von National Geographic, Harpers und vielen internationalen Publikationen arbeitet sie häufig in Lateinamerika sowie in Ländern wie Haiti, Kasachstan, Kongo, Ruanda und dem Kosovo.
The Voice of New York Is Drill
North and Central America, Open Format
Ashley Peña for New York Magazine
Die Fotos: Kenzo B (18, rechts) ist eine der wenigen jungen, aufstrebenden Künstlerinnen in der Brooklyner Drill-Szene. Obwohl es eine Reihe von Künstlerinnen gibt, sind die Drill-Künstler überwiegend Männer. Die junge Devyn (20, links) lässt sich von ihrem karibischen Erbe inspirieren und träumt davon, Frauen in der Drill-Szene einen Platz zu verschaffen.
Ursprünglich aus den Straßen Chicagos in den Vereinigten Staaten stammend, ist Drill das neueste Subgenre des Hip-Hop, das sich weltweit ausbreitet und bereits Künstlerinnen und Künstler aus dem Vereinigten Königreich, Brasilien und Korea beeinflusst hat. Auch wenn der Sound von Drill – die Verschmelzung von aggressiven, rohen Texten mit stampfenden, schnell synkopierten Drums – ein neues Phänomen sein mag, so ist die Geschichte seines Aufstiegs in der Geschichte der Rap-Musik doch eine bekannte. Wie Generationen von Musikern vor ihnen verwandeln Drill-Künstler den Schmerz und die Verzweiflung ihrer Erfahrungen, die sie in einigen der ärmsten Viertel der Vereinigten Staaten gemacht haben, in eine besondere Form des musikalischen Ausdrucks.
Doch auch wenn einige Drill-Künstler zu musikalischem Ruhm aufsteigen und weltweit Anerkennung finden, sind viele von ihnen in ihrer Heimat einer falschen Darstellung durch die örtlichen Behörden ausgesetzt, die glauben, dass der gewalttätige Inhalt der Musik die Ursache und nicht die Wirkung der Kriminalität in ihren Städten ist. In New York City werden Drill-Künstler von Ermittlern des New York City Police Department (NYPD) ins Visier genommen, die ihre Songtexte und Musikvideos nach Beweisen für Bandenkriminalität durchsuchen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Künstlerinnen und Künstler mit dem Neid und der Rivalität von Gleichaltrigen in ihren eigenen Vierteln zu kämpfen haben.
Ashley Peña (geb. 2000) ist eine dominikanisch-amerikanische Künstlerin, die in New York lebt. Für ihre Porträtserie, die vom New York Magazine in Auftrag gegeben wurde, fotografierte sie ihre Protagonistinnen und Protagonisten in ihrer eigenen Nachbarschaft, in ihren Ateliers oder in anderen privaten Räumen, wobei sie intime Vertrautheit mit visuellen Bezügen zur religiösen Ikonografie verband. Das Ergebnis ist eine Serie von persönlichen Porträts, die im Gegensatz zu der Art und Weise stehen, in der viele dieser Künstler typischerweise in den Medien dargestellt werden.
The Price of Peace in Afghanistan
World Press Photo Story of the Year
Mads Nissen, Politiken/Panos Pictures
Das islamische Glaubensbekenntnis “Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Gesandter” ziert die Wand der ehemaligen US-Botschaft in Kabul, Afghanistan. Vor der Mauer verkaufen Straßenverkäufer Taliban-Fahnen und andere Waren. US-Diplomaten verhandelten im August 2021 mit den Taliban, die Botschaft nach der Evakuierung im Gegenzug für künftige Hilfe zu verschonen.
Die Foto-Serie von Mads Nissen fängt das tägliche Leben der Menschen in Afghanistan im Jahr 2022 ein. Im August 2021 markierte der Abzug der US-amerikanischen und verbündeten Streitkräfte aus Afghanistan das Ende eines 20 Jahre andauernden Versuchs eines demokratischen Staatsaufbaus. Kurz nach dem Zusammenbruch des afghanischen Staates kamen die Taliban, die im ganzen Land einen Aufstand geführt hatten, wieder an die Macht. Infolgedessen wurde die gesamte internationale Hilfe, die 2019 schätzungsweise 80 Prozent der Ausgaben des Landes ausmachte, gestoppt, und die Vermögenswerte des afghanischen Staates in Höhe von 7 bis 9 Milliarden Dollar wurden eingefroren. Ohne diese beiden Einnahmequellen der Regierung brach die ohnehin schwache afghanische Wirtschaft praktisch zusammen. Das Bruttoinlandsprodukt Afghanistans sank auf etwa 25 Prozent seines Höchststandes Anfang 2021. Schätzungen für 2022 gehen davon aus, dass 97 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und 95 Prozent der Menschen nicht genug zu essen haben. Neun Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht, und nach Angaben der UN sind über eine Million Kinder schwer unterernährt. COVID-19, schwere Dürreperioden und die Unfähigkeit der Hilfsorganisationen, die Bedürftigen zu versorgen, haben die Krise verschärft, die sich bis Ende 2023 voraussichtlich noch verschlimmern wird.
Mads Nissen (geb. 1979) ist ein in Kopenhagen, Dänemark, lebender Fotograf. Sowohl 2015 als auch 2021 wurden Nissens Fotos zum World Press Photo of the Year gewählt. Im Jahr 2015 fotografierte er einen intimen Moment zwischen einem jungen schwulen Paar aus Russland, und im Jahr 2021 zeigte er mit “The First Embrace” eine Umarmung zwischen zwei Frauen in einem Pflegeheim in Brasilien während der COVID-19-Pandemie. Seine Arbeiten wurden mit mehr als 80 internationalen Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet, darunter das Visa d’Or im Jahr 2022 und der erste Preis als “Internationaler Fotograf des Jahres” beim POY im Jahr 2023.
Mariupol Maternity Hospital Airstrike
World Press Photo of the Year
Evgeniy Maloletka, Associated Press
Iryna Kalinina (32), eine verletzte Schwangere, wird aus einem Entbindungskranken-haus getragen, das bei einem russischen Luftangriff in Mariupol, Ukraine, beschädigt wurde. Ihr Baby, das den Namen Miron (nach dem Wort für “Frieden”) erhielt, wurde tot geboren, und eine halbe Stunde später starb auch Iryna.
Russlands Angriffe auf ukrainische Städte haben nach Angaben des UN-Menschenrechtsbüros bislang zum Tod von mindestens 21.000 Zivilisten geführt. Als die russischen Streitkräfte am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierten, nahmen sie sofort den strategisch wichtigen Hafen von Mariupol am Asowschen Meer ins Visier. Der russische Beschuss verwüstete die Stadt, darunter auch zahlreiche zivile Ziele, wie das hier fotografierte Entbindungskrankenhaus.
Zunächst bezeichnete Russland Berichte über den Angriff auf das Krankenhaus, bei dem es drei Tote und etwa 17 Verletzte gab, als Fake News. Später erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow, es habe sich um einen vorsätzlichen Angriff gehandelt, da das Krankenhaus von Paramilitärs übernommen worden sei und Patienten und Personal evakuiert worden seien. Eine Untersuchung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kam zu dem Schluss, dass das Krankenhaus unter Verletzung des humanitären Völkerrechts absichtlich von Russland angegriffen wurde und dass die Verantwortlichen damit ein Kriegsverbrechen begangen haben.
Evgeniy Maloletka ist Kriegsfotograf, Journalist und Filmemacher aus Berdyansk, Ukraine. Seit 2014 berichtet er über den Krieg in der Ukraine. Er hat auch über die Euromaidan-Revolution, die Proteste in Belarus, den Berg-Karabach-Krieg und die COVID-19-Pandemie in der Ukraine berichtet.
World Champions
South America, Honorable Mention
Tomás Francisco Cuesta, Agence France-Presse
Jubelszenen in Buenos Aires, Argentinien: Die Argentinier feiern die Rückkehr ihres Landes an die Spitze der Fußball-Weltmeisterschaft.
Tomas Franciscos Bilder zeigen feierliche Szenen in Buenos Aires nach dem Sieg der argentinischen Fußballnationalmannschaft bei der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. Schätzungsweise fünf Millionen Menschen nahmen an der Parade teil und schlossen sich den Mitgliedern der Nationalmannschaft bei einer der größten öffentlichen Demonstrationen in der Geschichte Argentiniens an. Für Stürmer und Starspieler Lionel Messi festigte der Sieg sein Vermächtnis als einer der größten Fußballer aller Zeiten.
Der argentinische Fotograf Tomás Francisco Cuesta sagte über die Aufnahme dieser Fotos:
“Fußball in Argentinien ist so viel mehr als nur ein Sport. Er ist wichtiger als Weihnachten, wichtiger als das neue Jahr. Für viele Menschen ist er wichtiger als ihre Arbeit. Deshalb sah man auch fünf Millionen Menschen auf den Straßen von Buenos Aires. Es war das erste Mal, dass ich eine solche Menge von Menschen auf den Straßen sah – ohne jegliche Diskriminierung. Die Menschen waren wirklich vereint, um zu feiern und die Spieler wissen zu lassen, dass sie sie unterstützen.”
Tomás Francisco Cuesta ist Foto- und Videojournalist aus Buenos Aires, Argentinien, der sich auf Presse-, Sport-, Unterhaltungs- und Dokumentararbeiten konzentriert.
Da er mit der Fotografie aufgewachsen ist und bereits seine Mutter Fotojournalistin war, begann Cuesta seine Karriere schon in jungen Jahren. Heute arbeitet er für eine Reihe von Organisationen wie AFP, Getty Images, Reuters und La Nacion und produziert sowohl Foto- als auch Videoprojekte.
I Can’t Hear the Birds
South America, Long-Term Projects
Fabiola Ferrero
Ein Mann feuert sein Gewehr ab, um bei einem Wayuu-Ritual in der Guajira-Wüste an der Grenze zwischen Venezuela und Kolumbien seiner toten Angehörigen zu gedenken. Die indigene Gemeinschaft der Wayuu lebt auf beiden Seiten der Grenze und erkennt die Grenze nicht an.
Millionen von Venezolanern haben ihr Land verlassen, um im Ausland zu leben, getrieben vom wirtschaftlichen Zusammenbruch, politischen Unruhen, hoher Arbeitslosigkeit und extremer sozialer Ungleichheit. Als Mitglied dieser Diaspora kehrte die Fotografin Fabiola Ferrero, die das Land 2016 verlassen hat, an ihren Geburtsort zurück, um nach Spuren des Venezuelas ihrer Erinnerung zu suchen. Ihr Projekt kombiniert Bilder von Migration und vergangener politischer Gewalt mit denen des heutigen Venezuela – ein Zyklus vom Verfall und von der Widerstandsfähigkeit der Menschen, die in diesem Land leben.
Um die Jahrtausendwende war das ölreiche Venezuela wohlhabend, aber sein Wohlstand ging nach dem Verfall der Ölpreise, späterer wirtschaftlicher Misswirtschaft und politischer Instabilität zurück. Die Arbeitslosigkeit, die 2015 bei 7,4 Prozent lag, stieg nach Angaben des Internationalen Währungsfonds bis 2018 auf 35,6 Prozent und bis 2022 auf 51,5 Prozent. Die Hyperinflation erreichte 2021 686 Prozent, und obwohl diese Zahl zurückgeht, sind nach Angaben von HumVenezuela von 2021 bis 2022 rund 4,4 Millionen Menschen dringend auf Trinkwasser und 1,3 Millionen Menschen auf eine sanitäre Grundversorgung angewiesen.
Nach Jahren der Schrumpfung begann die Wirtschaft des ölreichen Landes 2022 wieder deutlich zu wachsen. Die Armut ging zurück, und obwohl die Inflation immer noch hoch ist, sind Hyperinflation und Nahrungsmittelknappheit weitgehend überwunden. Doch gleichzeitig bleibt die Kluft zwischen Arm und Reich groß. Nach Untersuchungen der Nationalen Umfrage zu den Lebensbedingungen (ENCOVI) verdienen die reichsten zehn Prozent der venezolanischen Bevölkerung 70 Mal mehr als die ärmsten zehn Prozent, und im Jahr 2022 lag das Einkommen von 81,5 Prozent der Haushalte weiterhin unter der Armutsgrenze.
Fabiola Ferrero (geb. 1991) ist eine in Caracas, Venezuela, geborene Journalistin und Fotografin.
Beautiful Poison
North and Central America, Long-Term Projects
Cristopher Rogel Blanquet
Eugene Smith Grant/National System of Art Creators FONCA/Getty Images
Die von Einheimischen mit Blumen geschmückte Kirche von San Miguel in Villa Guerrero, Mexiko.
Hinter den perfekten Blüten, die in Blumenläden auf der ganzen Welt ausgestellt werden, verbirgt sich eine dunklere Geschichte, die mit den Pestiziden zusammenhängt, die verwendet werden, um ihre makellose Schönheit zu erreichen. Mexiko hat einen florierenden Markt für Zierpflanzen und Schnittblumen. Auf den Bundesstaat Mexiko (der Bundesstaat um Mexiko-Stadt) entfallen etwa 52 Prozent dieses nationalen Marktes. Die EU, China, die USA und andere Länder, die bestimmte Agrarchemikalien aufgrund von Gesundheits- und Umweltrisiken verboten haben, verkaufen diese Substanzen manchmal immer noch legal an Länder wie Mexiko, wo Arbeitskräfte billig sind, und importieren dann die im Ausland angebauten Produkte. Obwohl die mexikanische Regierung begonnen hat, gegen diese Doppelmoral vorzugehen, indem sie ein Einfuhrverbot für Pestizide verhängt hat, die im Exportland verboten sind, kommen einige dieser giftigen Pestizide immer noch auf den mexikanischen Markt.
Bestimmte Agrarchemikalien werden mit Geburtsfehlern, Totgeburten und Krebs in Verbindung gebracht, obwohl ein direkter Kausalzusammenhang schwer zu beweisen ist. Die Pestizidhersteller behaupten, dass ihre Produkte bei richtigem Umgang keine Gefahr für den Menschen darstellen. Zur ordnungsgemäßen Handhabung gehört häufig das Tragen einer geeigneten persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und die Einhaltung bestimmter Ausbringungs-zeiten und Sprühabstände, aber diese Richtlinien werden nicht immer durchgesetzt.
Cristopher Rogel Blanquet (geb. 1984) ist Dokumentarfotograf und Journalist. Seine Arbeit konzentriert sich oft auf Themen in seinem Heimatland Mexiko und umfasst Berichte über Selbstverteidigungsgruppen in Michoacán, das gewaltsame Verschwinden von 43 Studenten in Ayotzinapa und Kinder, die in den Mohnfeldern in den Bergen von Guerrero arbeiten. Er hat auch die Situation syrischer Kriegsflüchtlinge und den Krieg in der Ukraine dokumentiert. Im Jahr 2021 erhielt er den Eugene Smith Grant, den zweiten Platz bei den International Photo Awards, Deeper Perspective, und wurde vom mexikanischen Kulturministerium als Mitglied des Nationalen Systems der Kunstschaffenden aufgenommen. Er erhielt den POY Award of Excellence für das gleiche Projekt, das im Rahmen des World Press Photo Contest 2023 ausgezeichnet wurde.
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Vorstellung der weltweiten Gewinner*innen des World Press Photo Contest 2023
Die diesjährigen globen Gewinner*innen stehen fest – World Press Photo of the Year, Story of the Year, Long-Term Project Award und Open Format Award –, die die Klimakrise, die Gemeinschaft, die Auswirkungen des Krieges auf die Zivilbevölkerung und die Bedeutung der Pressefotografie rund um die Welt hervorheben.