Wir freuen uns sehr, die Zeichnung von Alfred Bergel in die Familie von Anton Spielmann zurückzugeben. Auf der Farbstiftzeichnung von Alfred Bergel sind Hans Georg (1928–1945) und seine jüngere Schwester Liselotte Friedmann (1932–1944) zu sehen – die Kinder von Hilde (1902–1944) und Hugo Friedmann (1901–1945).
Das Bild entstand anlässlich von Hugo Friedmanns Geburtstag am 10. April 1944 in Theresienstadt, wo Alfred Bergel die Geschwister portraitierte und ihm die Zeichnung schenkte. Künstlerinnen und Künstler in Theresienstadt dokumentierten heimlich ihren Alltag und das erlittene Unrecht. Ein Teil ihrer Werke konnte, verborgen zwischen Büchern der „Ghettozentralbücherei“, vom Oberbibliothekar Hugo Friedmann gerettet werden. Diese besondere Zeichnung gehört zum Theresienstadt-Konvolut, das Käthe Starke-Goldschmidt 1944 verwahrte und 1945 nach Hamburg brachte.
Im September 2023 wandte sich Anton P. Spielmann an das Altonaer Museum mit der Bitte um Rückgabe der Zeichnung – denn die portraitierten Kinder sind seine Cousins.
Die Rückgabe solcher Erinnerungsstücke ist ein bedeutsamer Schritt zur Anerkennung des erlittenen Leids und zur Bewahrung der Erinnerung an die Opfer.
Die vorliegende Zeichnung aus der Sammlung des Altonaer Museums ist Bestandteil des Theresienstadt-Konvoluts, das Käthe Starke-Goldschmidt 1944 in Theresienstadt in Verwahrung genommen und 1945 nach Hamburg gebracht hat. Den Kernbestand des Konvoluts bilden 64 Zeichnungen, angefertigt im KZ Theresienstadt von dorthin verschleppten Kunstschaffenden.
Von 1939 bis 1945 war die Tschechoslowakei von NS-Deutschland besetzt. 1941 erklärten die Besatzer Theresienstadt zum „Durchgangslager“. Etwa 140.000 Jüdinnen und Juden aus der Tschechoslowakei, Österreich, Deutschland, Dänemark und Frankreich wurden dorthin verschleppt. In der NS-Propaganda wurde der Ort als „Altersghetto“ und „Mustersiedlung“ mit kulturellen Angeboten wie Theateraufführungen oder einer großen Bücherei dargestellt. Tatsächlich waren die Verschleppten Gewalt, Hunger und Krankheiten ausgesetzt. 33.000 Menschen starben in Theresienstadt, etwa 90.000 wurden in Vernichtungslager wie Auschwitz deportiert und ermordet.
Heimlich dokumentierten Künstlerinnen und Künstler ihren Alltag in Theresienstadt mit Zeichnungen. Sie versuchten, Belege für das erlittene Unrecht zu sammeln. Einen Teil der Bilder konnte Hugo Friedmann (1901-1945), der Oberbibliothekar der „Ghettozentralbücherei“ dort zwischen den Büchern verstecken. Die Altonaerin Käthe Starke-Goldschmidt (1905-1990) wurde am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie leistete Zwangsarbeit, unter anderem in der „Ghettozentralbücherei“. Dort lernte sie eine Reihe der Künstlerinnen und Künstler kennen, deren Zeichnungen ihr Kollege Hugo Friedmann in der Bibliothek versteckte. Unmittelbar vor seiner Deportation nach Auschwitz im September 1944 vertraute Hugo Friedmann seine Sammlung seiner Kollegin Käthe Goldschmidt an. Nach ihrer Befreiung in Theresienstadt brachte sie die Bilder und weitere Dokumente 1945 nach Hamburg. Heute sind die Selbstzeugnisse der Inhaftierten als „Theresienstadt-Konvolut“ in der Sammlung des Altonaer Museums. Nach Käthe Starke-Goldschmidts Tod erbte ihr Sohn Peter Michael Goldschmidt das “Theresienstadt-Konvolut” und übergab es dem Altonaer Museum 2002 als Dauerleihgabe. Im selben Jahr waren die Bilder vom Altonaer Museum unter dem Titel „Das Theresienstadt-Konvolut“ ausgestellt worden. Peter Michael Goldschmidt verstarb 2021 und hat das Konvolut der Stiftung Historische Museen Hamburg/Altonaer Museum vererbt.
Dargestellt auf Alfred Bergels Farbstiftzeichnung sind Hans Georg (1928-1945) und seine jüngere Schwester Liselotte (1932-1944) Friedmann, die Kinder von Hilde (1902-1944) und Hugo Friedmann (1901-1945). Der Vater, Hugo Friedmann, hatte Jura und Kunstgeschichte studiert. Nach der Hochzeit mit Hilde, geb. Kubie gründete er die Trikotwarenfabrik „Trifa“. Hilde war eine der beiden Töchter des Textilunternehmers Siegfried Kubie. Nebenberuflich betätigte Hugo Friedmann betätigte sich an der Wiener Jüdischen Volkshochschule und arbeitete als Kurator am Jüdischen Museum. Außerdem engagierte er sich in der Israelitischen Kultusgemeinde. 1939 wurde Friedmanns Unternehmen arisiert. Die Familie ließ ihre Kunstsammlung, ihre Bibliothek und ihrem Hausrat nach Triest transportieren, konnte ihre Fluchtpläne jedoch nicht umsetzen. 1941 fiel das Vermögen der Familie an den NS-Staat und sie musste sie ihr Haus räumen. Am 9. Oktober 1942 wurden Hugo Friedmann, seine Frau Hilde und die Kinder Hans Georg und Liselotte nach Theresienstadt deportiert. In Theresienstadt leistete Hilde Friedmann in der Poststelle Zwangsarbeit, Hugo Friedmann in der „Ghettozentralbücherei“. Die beiden Kinder wurden von ihren Eltern getrennt und in einem der vielen Kinderheime untergebracht. Am 28.9.1944 wurde Hugo Friedmann nach Auschwitz deportiert und im Januar 1945 in Landsberg ermordet. Hilde, Hans-Georg und Liselotte Friedmann wurden am 19. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Hilde und ihre Tochter wurden unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Hans Georg Friedmann starb am 15. oder 16. März 1945 im KZ-Außenlagerkomplex Kaufering bei Dachau. Auch der Künstler, Alfred Bergel, wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Alfred Bergel hat die Kinder Hans Georg und Liselotte zu Hugo Friedmanns Geburtstag am 10. April 1944 portraitiert und ihm die Zeichnung zum Geschenk gemacht. In einem 1946 verfassten Brief an die Großeltern der Dargestellten schreibt Käthe Starke-Goldschmidt: „Von beiden Kindern gibt es eine Zeichnung, die Alfred Bergel 1944 gemacht hatte und die er [Hugo Friedmann, V.H.] mir anvertraute, als er weggehen musste. So wie es die Verhältnisse erlauben, werde ich sie Ihnen schicken.“ Wie der Brief an Hugo Friedmanns Eltern belegt, hat Käthe Starke Goldschmidt ihren Besitz an der Zeichnung offenkundig nur als treuhänderisch empfunden. Die angekündigte Rückgabe des Blattes an die Großeltern der Portraitierten hat sie jedoch nicht umgesetzt. Die Gründe sind nicht bekannt.
Im September 2023 nahm Anton P. Spielmann mit dem Altonaer Museum Kontakt auf und bat um die Herausgabe der Zeichnung. Bei den Portraitierten handelt es sich nämlich um seine Cousins. Anton P. Spielmanns Mutter Elsa Spielmann geborene Kubié (1900-2001) und Hildegard Friedmann geborene Kubié waren Schwestern. Weitere überlebende Verwandte sind nicht bekannt. Der Stiftungsrat der Stiftung Historische Museen Hamburg hat der Restitution im Dezember 2023 zugestimmt.
Anton P. Spielmann war damit einverstanden, dass die Zeichnung in der jüngst im Altonaer Museum gezeigten Ausstellung „Altona – Theresienstadt. Die Lebenswege von Leon Daniel Cohen und Käthe Starke-Goldschmidt“ im Original gezeigt werden durfte. Freundlicherweise stellte Anton P. Spielmann für die Sonderausstellung noch weitere Exponate zur Verfügung, nämlich 13 Hefte mit jeweils einer Abenteuergeschichte um den Superdetektiv Tom Lasker, die Hans Georg Spielmann zwischen 1938 und 1942 verfasst hatte. Auf diese Weise erschrieb sich Hans Georg Friedmann eine Welt, in der die Demütigungen, denen er im Alltag ausgesetzt war, nicht existierten. Eine Hausangestellte der Friedmanns bewahrte nach deren Deportation einen Koffer mit Erinnerungsstücken an die Kinder auf und übergab ihn nach 1945 an Anton Spielmann. So blieb Hans-Georgs Krimireihe der Familie im Original erhalten. Neben den von der Hausangestellten geretteten Dokumenten erinnert auch die Zeichnung aus dem „Theresienstadt-Konvolut“ an Hans Georg und Lieselotte Friedmann.
Die Übergabe der verfolgungsbedingt entzogenen Zeichnung an den Eigentümer Anton P. Spielmann erfolgte nach dem Ende der Laufzeit der Sonderausstellung, am 16. Juni 2025 im Altonaer Museum.