Zum Inhalt springen

Identität Marscha, 65 Jahre, Altona

Eine orangefarbene Rettungsboje mit Seil hängt an einer Wand, die mit bunten Graffiti und Straßenkunst bedeckt ist.

Geboren bin ich im Sommer 1960 in Hamburg-Altona. Gerade einmal 20 Jahre waren vergangen, dass die Nationalsozialisten Deutschland und die Welt drangsalierten. Weitere 20 Jahre sollten vergehen, bevor ich die Antwort auf eine Frage erhielt, die mich bis dahin immer wieder beschäftigte: “Warum sehe ich so anders aus?” Eben nicht wie “sonne typische Hamburger Deern”, sondern etwas exotisch, mit einem ordentlichen Schlag bei den Jungs und hin und wieder Schlägen ins Gesicht von einer betagten Grundschullehrerin im ersten Schuljahr. Die Antwort kam von meiner Cousine. Eine gemeinsame Tante hat versehentlich ein bis dahin gut gehütetes Familiengeheimnis ausgeplaudert, und die Cousine hat dieses Geheimnis brühwarm an mich weitergegeben, denn es betraf mich und sollte Licht in das Dunkel meiner Identität und meines für die damalige Zeit untypischen Aussehens bringen: “Dein Großvater ist ein Chinese und hat eine Wäscherei auf dem Kiez. Sein Name ist …” Ich ab zum Kiez (St. Pauli), Wäscherei gefunden, aber leider nicht rechtzeitig. Einen Monat vorher wurde die Wäscherei geschlossen.

Ein Schwarz-Weiß-Foto eines kleinen Kindes, das im Freien auf unebenem Boden steht, ein helles Hemd, eine dunkle Hose und eine offene Strickjacke trägt und mit ernster Miene in die Kamera blickt. Ringsherum sind Gartengeräte und Pflanzen zu sehen.

Mich hat dann der Mut verlassen und ich habe nicht weitergesucht. An China hatte keiner gedacht, eher an die Türkei, Spanien oder Brasilien. Mittlerweile weiß ich, dass es von 1919–1944 ein sogenanntes “Chinesenviertel” auf St. Pauli gab und dass die dort lebenden und arbeitenden Chinesen von der Gestapo verhaftet wurden (Dr. Lars Amenda: Fremde–Hafen–Stadt, 1897–1972, 2006). Mein Großvater hat seine Tochter (meine Mutter) nicht anerkannt. Das hat zum Glück für meine Großmutter ein Deutscher gemacht. Meine Großmutter wäre sonst unverheiratet schwanger gewesen. Zu der Zeit, von einem “Ausländer”! Und es wundert mich nicht mehr, dass ich ein ziemlich ängstlicher Mensch geworden bin.

Hamburg ist vielfältig und voller Geschichten. Deine ist eine davon! Erzählst Du uns Deine Geschichte?

Viele Perspektiven von Menschen der Hamburger Stadtgesellschaft finden sich im Museum für Hamburgische Geschichte (MHG) bislang nicht wieder. Wir wollen dies mit dem Stadtteilprojekt ändern.

Mithilfe von Beteiligungsformaten – das können digitale Formate, aber auch mobile Anker oder Treffpunkte an öffentlichen Orten in den verschiedenen Stadtteilen sein – möchten wir Hamburger*innen ermutigen, ihre Lebenswirklichkeiten zu teilen.

Während seiner baulichen und inhaltlichen Modernisierung lädt das MHG Menschen dazu ein, ihre Geschichten zu erzählen, damit einige davon langfristig Eingang in die Sammlungen und Ausstellungen finden können.

Wir laden Dich ein, Deine Geschichte mit uns zu teilen. Ob kurz, lang, ernst oder humorvoll – alles ist willkommen. Was verbindet Dich mit Hamburg? Was hat Dich hierher geführt? Was hält Dich hier? Wo ist Dein Hamburg? Teile gerne etwas über Dein Leben und Deinen Alltag in der Stadt oder in Deinem Stadtteil, Deine Wünsche und Hoffnungen für Hamburg.