von Leonor Rasch und Pascale B. Richter

Max Weiss war ein jüdischer Künstler aus Hamburg Ottensen und Zeitzeuge beider Weltkriege. Während des Nationalsozialismus zunächst entrechtet und später nach Theresienstadt deportiert, verarbeitete er seine traumatischen Erfahrungen auch künstlerisch. Der Großteil seines Werks besteht jedoch aus Landschafts- und Stadtansichten, von denen viele das Gesicht Hamburgs vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs dokumentieren. Das Altonaer Museum verfügt seit 2003 über ein rund 250 Objekte umfassendes Konvolut an Grafiken und Dokumenten, die einen guten Einblick in das Leben und Werk des Künstlers geben. Es stammt ursprünglich aus dem Besitz seiner Tochter Elisabeth Weiss, die das Konvolut Ebba Maria Steinmetz, einer befreundeten Bibliothekarin, hinterließ.
Bislang ist Max Weiss in der Fachliteratur kaum in Erscheinung getreten. Einzig die Kunsthistorikerin Maike Bruhns hat sich in ihrem 2001 erschienen Werk „Kunst in der Krise. Künstlerlexikon Hamburg 1933–1945“ eingehend mit der Biografie und der Kunst von Weiss befasst. Dabei liegt ihr Forschungsschwerpunkt auf der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung während des Nationalsozialismus und den Auswirkungen dieser Zeit auf die Kunst und Kunstschaffenden.

Biografie

Max Weiss (Weisz, Weiß) wurde am 2. Februar 1884 in Ottensen – Großen Brunnenstr. 87 – als Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein Vater, Ignatz Weiss (1857 – 1923) kam aus Prag. Ursprünglich Klempnermeister von Beruf, war er auch als Blechspielzeugfabrikant tätig und hatte zeitweilig ein Geschäft für „Hausstandswaren“. Seine Mutter Henriette Weiss, geb. Goldschmidt (1860 – 1942) stammte aus Hamburg und war am Großneumarkt aufgewachsen. Beide Eltern gehörten der jüdischen Gemeinde an. Die Familie Weiss zog kurz nach der Geburt von Max Weiss in die Hamburger Neustadt. Es folgten zahlreiche Umzüge.
Um 1900 erhielt Max Weiss eine Ausbildung zum Lithographen. Wenig später, etwa von 1902 bis 1905, studierte er an der Kunstgewerbeschule in Hamburg, wo er – nach Dokumenten der Hochschule für bildende Künste – unregelmäßig an Veranstaltungen teilnahm.
1911 heiratete er Wilhelmine K. C. Schuchardt (1891 – 1966) aus der Langen Reihe. Sie bekamen drei Kinder: Leonore, Elisabeth und Max Otto.
Während des Ersten Weltkriegs wurde Max Weiss als Rekrut in ein tschechisches Regiment einberufen, da sein Vater aus Prag stammte. Seine Einsatzgebiete waren die Dolomiten und Südtirol. Später diente er als Lithograph im Stab des österreichischen Erzherzogs Karl I. Seit 1914 war er in der Pestalozzistr. 42 in Hamburg Barmbek gemeldet, wo seine Familie mutmaßlich die Kriegsjahre verbrachte. Nach dem Krieg erwarb Weiss die deutsche Staatsangehörigkeit.
Anfang der 1920er Jahre trat Weiss der Hamburgischen Künstlerschaft bei. Offizielle Anerkennung erlangte er 1924 mit einem Werbeplakat, das im Rahmen eines Wettbewerbs prämiert wurde. Außerdem nahm Weiss an verschiedenen Gemeinschaftsausstellung teil, bevor er 1933 – nach der Gleichschaltung der Hamburgischen Künstlerschaft – aus dem Dachverband ausgeschlossen wurde.
1925 erfolgte ein Umzug nach Langenhorn in die kurz zuvor erbaute Fritz-Schumacher-Siedlung, Laukamp 8. Dort bezog die Familie ein Haus mit Garten und lebte als Selbstversorger. Max Weiss arbeitete als Künstler von zu Hause aus. In dieser Zeit entstanden die meisten seiner Radierungen von Hamburger Motiven.
1938 Berufsverbot durch die Nationalsozialisten. Anfang 1939 fand Max Weiss eine Beschäftigung als Malergehilfe und ab Ende 1941 musste er Zwangsarbeit in einer Harburger Firma leisten. Während der Arbeitseinsätze war er kaserniert und arbeitete unter unmenschlichen Bedingungen, was schwerwiegende gesundheitliche Folgen hatte.
1942 Deportation der Mutter Henriette Weiss nach Theresienstadt, wo sie im selben Jahr verstarb. Ihr zu Ehren wurde 2005 am Eilbecker Weg 158 ein „Stolperstein“ gesetzt (H. Thevs 2014, Stolperstein zu Henriette Weiss). 1943 musste die Familie Weiss auf Druck der Nationalsozialisten das Haus in Langenhorn aufgeben und in ein sog. Judenhaus in der Bundesstr. 6 übersiedeln. Dort wohnten sie mit vier Personen in anderthalb Zimmern. 1945 Deportation von Max Weiss nach Theresienstadt.
Im Juni 1945 kehrte Max Weiss nach Hamburg zurück. Zwei Jahre später bezog er erneut sein Haus in Langenhorn, wo er auf dem Dachboden die meisten seiner Arbeiten wiederentdeckte. Im Wiedergutmachungsverfahren erhielt er eine vergleichsweise kleine Entschädigung sowie ab 1948 eine Rente der Stadt Hamburg von ca. 230 DM. Nach der Währungsreform 1948 war die wirtschaftliche Situation auch für Max Weiss zunächst schwierig. Es fehlte an Allem, u.a. an Papier. Später konnte er die künstlerische Arbeit wieder aufnehmen.
Max Weiss war Sozialdemokrat. Er wird als ruhiger, gütiger und humorvoller Mensch beschrieben. Seine vielseitigen Talente und Begabungen halfen ihm, immer wieder neue Überlebensstrategien zu entwickeln. Max Weiss starb am 22. Mai 1954 in Hamburg. Er liegt auf dem jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs zusammen mit seiner Ehefrau begraben.
Der Nachlass Max Weiss´ im Altonaer Museum
Hamburger Stadtansichten
Auch wenn der Hamburger Künstler Max Weiss ein facettenreiches Werk hinterlassen hat, so sind doch die grafischen Ansichten seiner Heimatstadt sein wichtigstes Erbe. Die Zeichnungen und Radierungen vermitteln einen lebendigen Eindruck des „Alten Hamburgs“ vor dem Teilabriss der Altstadt im Jahre 1936 und dem Bombenangriff von 1943 während des Zweiten Weltkriegs. Damit dokumentieren seine Stadtansichten einen historischen Moment, der heute vielfach verloren gegangen ist.
Obgleich im Konvolut des Altonaer Museums nur 22 Blätter mit Hamburger Stadtansichten existieren, ist davon auszugehen, dass Weiss genau damit maßgeblich seinen Lebensunterhalt bestritt. Zum einen waren die Radierungen reproduzierbar, zum anderen gab es eine rege Nachfrage nach historischen Stadtansichten. Auch heute werden seine „Hamburgensien“ gelegentlich von Galerien angeboten und immer wieder im Internet gehandelt.
Als Motiv wählt Weiss den Hamburger Hafen, die Binnen- und Außenalster sowie Gebäude der Hamburger Innenstadt. Außerdem hält er verschiedene Gassen und Straßenszenen aus dem Alten Hamburg fest.
Unter den Hafenansichten dominieren Zeichnungen und flüchtige Skizzen. Seine Bilder zeigen Barkassen, Schlepper, Schuten oder Frachtschiffe, die das Hafenbecken beleben, auf der Werft liegen oder an einer Kaimauer zum End- und Beladen durch Lastkräne festgemacht haben.
Mehrfacht zeichnet Weiss die Kehrwiederspitze, die die Einfahrt zum Binnenhafen markiert, zusammen mit dem benachbarten Kaiserspeicher. Der sog. Kaiserspeicher A galt lange Zeit als Wahrzeichen des Hamburger Hafens. Im Kaiserreich errichtet, diente das Bauwerk nicht nur als Speicher, sondern erfüllte gleichzeitig die Funktion einer Uhr. Der hohe Turm enthielt eine große Kugel, den sog. Zeitball, der zur festgelegten Stunde herunterfiel und durch den Lärm beim Aufprall eine zeitliche Orientierung bot. Nach dem Krieg wurde der Turm abgerissen und auf den Grundmauern des Gebäudes zunächst ein neuer Speicher, später die Hamburger Elbphilharmonie erbaut.
Im Konvolut sind lediglich zwei Zeichnungen mit Alsteransichten vorhanden. Dennoch kann es als gesichert gelten, dass Weiss das Alstermotiv zu Radierungen weiterverarbeitete und diese – teilweise koloriert – in den Handel brachte.
Von besonderem Interesse sind die Darstellungen der Hamburger Altstadt. Schnelle Skizzen und Zeichnungen dienen dem Künstler als Ausgangspunkt für sehr sorgfältig ausgearbeitete Radierungen. Als Motiv wählt Weiss öffentliche Gebäude und Kirchen sowie von Fachwerkhäusern gesäumte, verwinkelte Gassen und Fleete, die heute zumeist aus dem Stadtbild verschwunden sind.
Weitere Stadtansichten
Max Weiss hat neben seine Heimatstadt Hamburg auch andere Städte dokumentiert. So liegen beispielsweise Arbeiten aus Lübeck, Rothenburg ob der Tauber, Heidelberg, Goslar und Cuxhaven vor. Anders als in Hamburg sind diese Stadtansichten nur äußerst selten als Radierung angelegt, was dafür spricht, dass Weiss hier nicht unmittelbar mit einer Vermarktung rechnete.
Häuser und Dörfer in der Natur – Landschaftsdarstellungen
Neben den Stadtansichten widmete sich der Künstler immer wieder auch dem ländlichen Raum. Es ist offenkundig, dass Max Weiss viel Zeit in der Natur verbracht haben muss. Seine Arbeiten sind hinsichtlich der Motivwahl – von Meeresküsten, Flach- und Hügelland bis hin zu Gebirgsregionen – durchaus abwechslungsreich. Parkähnliche Landschaften mit Flüssen oder kleinen Bachläufen sind ebenfalls ein beliebter Bildgegenstand.
60 Blätter unseres Konvoluts zeigen Häuser oder Dörfer, die in eine Naturlandschaft eingebunden sind. Dabei fällt die Motivwahl häufig auf Szenen aus dem Hamburger Umland bzw. aus dem Norddeutschen Raum. Leider lassen sich zahlreiche Bilder nicht näher verorten, sodass wir den Radius seines Schaffens nicht genau kennen. Aus den Alpen stammt der Blick auf ein Dorf mit Zwiebelkirchturm und Bergpanorama. Weitere Blätter sind immerhin mit „Kärnten“ oder „Südtirol“ betitelt und gehen möglicherweise auf seine Zeit im ersten Weltkrieg zurück, wo der Künstler nachweislich in diesen Regionen stationiert war.
Als Technik wählte Weiss in der Regel die Zeichentechnik bzw. das Aquarell. Anders als bei den Stadtansichten verlässt der Maler hier zuweilen seine streng dokumentarische Arbeitsweise und legt einige Werke mit leichtem, schnell ausgeführtem Pinselstich im impressionistischen Stil an.
Portraits und Menschendarstellungen
Max Weiss war auch ein sehr guter Porträtist. Unter den rund 30 Porträts im Bestand des Museums, finden sich meist Kinder- und Frauendarstellungen. Dabei handelt es sich in der Regel um Bleistiftzeichnungen und schnelle Skizzen. Es ist davon auszugehen, dass Weiss hier seine Familie zeichnete, ohne dass dies belegbar wäre. Überhaupt dürften diese Arbeiten rein privater Natur gewesen sein.
Das Ghetto Theresienstadt
Am 14. Februar 1945 wird Max Weiss im Alter von 61 Jahren aus Hamburg deportiert. Es ist der letzte Transport von Hannoverschen Bahnhof in Hamburg nach Theresienstadt. Mit ihm befinden sich vorwiegend jüdische Personen aus sog. „einfachen oder privilegierten Mischehen“ im Zug. Die Ehe mit Wilhelmine Weiss hatte ihn lange Zeit vor einer Deportation schützen können, wenngleich er nach seinem Berufsverbot und der mehrjährigen Zwangsarbeit die Reise bereits deutlich geschwächt antritt. Der Transport erreicht sein Ziel erst am 23. Februar 1945.
Im Ghetto Theresienstadt, einer Garnisonstadt mit Festungsbau aus dem 18. Jahrhundert, sind vor allem alte und kriegsversehrte Menschen inhaftiert, weshalb das Ghetto seinerzeit auch geringschätzig als Altersheim bezeichnet wird. Dazu kommt ein Personenkreis der als „Promiente“ ausgewiesen ist. Weiss erhält eine Stellung in der jüdischen Selbstverwaltung, was kleinere Vergünstigungen mit sich bringt. Aufgrund seiner Begabungen wird er dort auch als Porträtzeichner eingesetzt. Porträtarbeiten aus dieser Zeit lassen sich in seinem Nachlass jedoch nicht feststellen. Er erlebt das Kriegsende und wird am 08. Mai durch die Rote Armee befreit. Wochen später kehrt er in seine Heimatstadt Hamburg zurück.
Erhalten geblieben sind 42 Arbeiten, die das Leben im Lager thematisieren. Weiss skizziert und zeichnet wiederholt die Festungsgräben, Stadtmauern und ein Eingangstor, aber auch Straßenzüge mit den Bewohnern des Ghettos. So entsteht in Theresienstadt beispielsweise eine Straßenszene, die er später erneut aufgreift und verändert. Dabei stellt er eine der beiden gebeugten Gestalten im Bildvordergrund nunmehr skelettiert somit als „der Tod“ dar (vgl. 2013-47,19 + 20).
Eine allegorische Darstellung stammt aus der Nachkriegszeit und ist in das Jahr 1949 datiert. Im Zentrum des Bildes befindet sich ein deutlich überhöhter Festungsbau. Um diesen windet sich eine von Wachmännern begrenzte Menschenschlange, die in das Inneren der Bastion einmündet. Max Weiss hat diese Allegorie mutmaßlich zur Bewältigung des Erlebten – gleichsam als Synthese – gefertigt.
Nur vier Arbeiten des Theresienstadt-Konvoluts sind datiert. Interessanterweise stammen diese Blätter alle aus der Zeit unmittelbar nach der Befreiung. Ob dies darauf hinweist, dass für den Künstler die Zeit im Lager stillstand und erst in Freiheit erneut einsetzt, kann nur vermutet werden.