Der Start in dieser Stadt war mehr als holprig: Mein Großvater wurde in den 1940er Jahren nach Hamburg verschleppt: Er (über)lebte fast vier Jahre im KZ Neuengamme, in das er vom Balkan aus verschleppt wurde. Danach ging er wieder zurück nach Jugoslawien. Er sprach nie über diese Zeit. — Meine Mutter wurde nach dem 2.Weltkrieg geboren und wollte als junge Frau raus aus der ländlichen Umgebung des Dinarischen Gebirges und ihrer eher aufgezwungenen Ehe mit jungen 17 Jahren: Sie verschlug es als sogenannte „Gastarbeiterin“ alleine nach Deutschland. Und zwar genau dahin, wo ihr Vater schon einmal war: nach Hamburg! — Was er wohl darüber dachte? — Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nie getroffen.
Meine Mutter arbeitete hier in einem Schlachthof, dann in einer Fabrik, immer im Akkord. Mit 23 wurde sie hier überraschend von einer kurzen Liaison mit einem jugoslawischen Kollegen schwanger und erzählte aus Vorsicht niemandem davon; ihren Bauch sah keiner. Am Samstag arbeitete sie noch, am Sonntag gebar sie mich in der Wohnung einer Freundin: Ich kam zu früh zur Welt! — Zum Glück kam ich danach gleich in ein Krankenhaus und in ein Baby-Heim, wo mich meine Adoptiv-Mutter knapp zwei Monate später abholte: Sie wurde zu meiner Herzens-Mutter und gab mir so viel Liebe mit, wir nur wenige Menschen von ihren Eltern bekommen…
So wuchs ich als richtiger „Hamburger Fischkopf“ hier auf. Einige Jahre im Ausland bereicherten nicht nur meine innere Welt, sondern auch die distanzierte Sicht auf diese Stadt: Ist Hamburg Heimat oder doch nur ein „Zuhause“? Gehöre ich dazu, oder bin ich immer noch „Gastarbeiterinnen-Kind“? Wozu soll/will man denn eigentlich gehören? Sind wir nicht alle „Gäste“ auf diesem Planeten? Und was ist das zudem für eine bittere Kolonialvergangenheit der Hamburger Pfeffersäcke, Kaufleute, Senatoren, Tierparkbesitzer, Mediziner usw. dieser Stadt?
Sie stellen sich der Vergangenheit nicht. Daran habe ich zwar keinen Anteil, bin aber hier geboren, und sofort ergibt sich: Verantwortung. Dafür, dass sich erinnert wird, vollständig, um die ganze Geschichte zu erzählen. Sachbücher lesen, darüber reden, aufklären, kämpfen. Und die fehlenden 50% der Geschichte benennen. Alle Wahrheiten. Warum wurde wer durch wen reich und somit: mächtig! — Weder den Ort der Geburt noch die Herkunftsfamilie sucht sich einer/eine aus, dafür kann man nichts, also kann man nicht auf etwas „stolz“ sein, was nicht von einem selber erschaffen wurde. — Alles andere wäre geradezu sträflich, meine Meinung. — Alle Orte, austauschbar. Alle sind gleich wichtig. Alle leben ihr Leben. Sich als Mensch zu benehmen, mitfühlend, umsichtig, im Austausch mit anderen, das ist unser aller Aufgabe und Sinn.
Da ist es egal, aus welcher Stadt oder Region jemand kommt. — Verbindung zu Orten habe ich, zum Hafen, einzelnen Straßen, Häusern, Plätzen, wo wir zusammen waren; sie verbinden mich mit den nun Verstorbenen. Leer und allein stehe ich an diesen Orten und erinnere mich… Meine Mutter (welche mich adoptierte) erlebte das selbe, sie floh aus der DDR (Leipzig) und fing in Hamburg mit 27 Jahren ganz alleine an. Sie wiederholte oft folgenden Satz aus einem Lied: „…die alten Straßen noch, die alten Häuser noch, die alten Freunde aber sind nicht mehr…“ — Verschleppung, Einwanderung, Flucht, Migration: Wir sind alle in einer Stadt gelandet, haben uns über die Jahrzehnte mit dem Ort verbunden, daran gewöhnt, man kennt jeden Zentimeter … und die Orte kennen dich! Nicht du die Umgebung. — Unser Leben: wie kleine Steinchen in einem Mosaik; von weiter weg betrachtet, könnte es sogar ein Bild ergeben, muss es aber nicht. Es reiht sich ein Moment an den anderen. Wer weiß schon genau, was ihn oder sie morgen erwartet, also: lebe jetzt! – „Sei ein Mensch!“ wie Marcel Reifs Vater zu ihm sagte – und nicht nur Hanseat*in.
Viele Perspektiven von Menschen der Hamburger Stadtgesellschaft finden sich im Museum für Hamburgische Geschichte (MHG) bislang nicht wieder. Wir wollen dies mit dem Stadtteilprojekt ändern.
Mithilfe von Beteiligungsformaten – das können digitale Formate, aber auch mobile Anker oder Treffpunkte an öffentlichen Orten in den verschiedenen Stadtteilen sein – möchten wir Hamburger*innen ermutigen, ihre Lebenswirklichkeiten zu teilen.
Während seiner baulichen und inhaltlichen Modernisierung lädt das MHG Menschen dazu ein, ihre Geschichten zu erzählen, damit einige davon langfristig Eingang in die Sammlungen und Ausstellungen finden können.
Wir laden Dich ein, Deine Geschichte mit uns zu teilen. Ob kurz, lang, ernst oder humorvoll – alles ist willkommen. Was verbindet Dich mit Hamburg? Was hat Dich hierher geführt? Was hält Dich hier? Wo ist Dein Hamburg? Teile gerne etwas über Dein Leben und Deinen Alltag in der Stadt oder in Deinem Stadtteil, Deine Wünsche und Hoffnungen für Hamburg.